Thomas de Maizière über Afghanistan: „Man kann nicht einfach wieder raus“

Sicherheit für den Wiederaufbau will Verteidigungsminister de Maizière. Deshalb sollen nach dem offiziellen Abzug bis zu 800 deutsche Soldaten in Afghanistan bleiben.

Die Bundeswehr soll auch nach 2015 im Norden Afghanistans bleiben, sagt der Verteidigungsminister. Bild: dpa

taz: Herr de Maizière, erst wollten Sie noch im Frühling über den Kauf einer Kampfdrohne für die Bundeswehr entscheiden. Dann wurden Sie öffentlich von Ihrer Fraktion und von Wirtschaftsminister Philipp Rösler zurückgepfiffen …

Thomas de Maizière: Nein. Ich habe selbst die Debatte über die Drohnen im vergangenen Sommer eröffnet. Dann wachte die Opposition auf und monierte, man solle keine überstürzte Entscheidung treffen, sondern ethische Fragen klären und die Wahl abwarten.

Sie sagen, Sie geben bloß der Opposition ihren Willen?

Nein. Aus vielen Gründen ist so eine Beschaffung auch so schnell gar nicht möglich. Deshalb haben wir in der Koalition schon vor Wochen beschlossen, den Bundestag erst nach der Wahl damit zu befassen. Meine Fraktion, die FDP und ich waren uns darin immer vollkommen einig.

Trotzdem bleibt nach Ihrem Plädoyer für die Kampfdrohne nun der Eindruck, Sie wüssten nicht, wie empfindlich die Öffentlichkeit auf solche Waffenkäufe reagiert.

Ich mahne ja stets, dass wir in Deutschland – jenseits der Expertenzirkel – mehr über Krieg, Frieden und Sicherheitspolitik diskutieren sollten. Jetzt haben wir am Beispiel der Kampfdrohne eine solche Debatte, da werde ich darüber nicht meckern. Im Gegenteil, ich begrüße diesen Diskurs.

59, ist seit 2011 Verteidigungsminister. Er wurde in Bonn geboren, trat als Schüler in die CDU ein, studierte in Münster und Freiburg. Nach 1990 leitete der promovierte Jurist diverse Ministerien in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, und dann im Bund. 2005 war er Chef des Kanzleramts unter Angela Merkel, 2009 bis 2011 Innenminister. De Maizière ist auch Oberleutnant der Reserve.

Wollten Sie mit dem Thema Drohnen-Beschaffung bloß ein bisschen provozieren?

Natürlich nicht. Wir müssen aber lernen, auseinanderzuhalten, dass der Besitz von bewaffneten Drohnen nicht identisch ist mit der Art, wie sie derzeit mit hoher medialer Aufmerksamkeit von den Amerikanern angewendet werden. Diese Art des Einsatzes – die gezielten Tötungen von Gegnern etwa in Pakistan – käme für uns nicht infrage. Wenn wir bewaffnete Drohnen haben, werden sie uns bei unseren vom Deutschen Bundestag mandatierten Einsätzen im grundgesetzlichen Rahmen helfen.

nicht mehr aber in Afghanistan. 600 bis 800 deutsche Soldaten sollen nach 2014 noch im Land bleiben. Das haben Sie angekündigt, ohne dass Nato oder USA darum gebeten hätten. Bislang hat die Bundesregierung in Afghanistan immer bloß auf US-Vorgaben reagiert. Warum preschen Sie jetzt vor?

Wir haben ein konditioniertes Angebot abgegeben, das auf den bisherigen Nato-Planungen basiert. Diese gehen von 8.000 bis 12.000 Soldaten insgesamt ab 2015 aus. Diese sollen außer in Kabul auch in Norden, Osten, Süden und Westen vertreten sein – deshalb reden wir von einem „Speichenmodell“ mit der Hauptstadt Kabul als Nabe. Wir haben jetzt frühzeitig, vorausschauend und ermutigend gesagt, mit wie viel Kräften wir auch im Norden Verantwortung zu übernehmen bereit sind. Wenn nun aber die USA, Italien oder andere von diesem Modell abrücken, werden wir auch nicht dabeibleiben können. Wir werden nicht als einziges Land außerhalb Kabuls präsent sein.

Gibt es Befürchtungen?

Keine Befürchtungen, sondern einen Blick nach vorn. Wir wollen dazu beitragen, dass es bei der beschriebenen Planung auch bleibt. Manche meinen, 8.000 bis 12.000 Soldaten seien zu viel. Das finden wir nicht.

Bedeutet „konditioniertes“ Angebot demnach, von Ihnen aus kann der deutsche Anteil auch höher sein als 800 Soldaten?

Wir haben gesagt: circa 600 bis circa 800 Soldaten. Das ist unser Korridor.

Ist das realistisch? Ein paar hundert Leute für Wartung der Hubschrauber, Betrieb des Lazaretts bis zur Frage, wer für Sicherheit sorgt, wenn die Amerikaner abziehen?

So rechnen wir nicht. Das Mandat lautet ab 2015 Beratung, Unterstützung, Hilfe – für eine begrenzte Zahl und einen noch zu bestimmenden hohen Rang der afghanischen Kräfte. Für Schutz und Logistik braucht man natürlich auch noch Kräfte. Aber das müssen ja nicht alles die Deutschen machen. Auch aktuell wird das deutsche Lager in Masar-i-Scharif von der Mongolei hervorragend geschützt. Es muss aber auch nicht alles vor Ort von Soldaten gemacht werden.

Moment – Sie wollen bislang militärische Funktionen outsourcen?

Die Logistik in Masar-i-Scharif ist bislang auf einen Lagerbetrieb mit mehreren tausend Soldaten samt Flughafen bezogen. Der Flughafen wird hoffentlich zunehmend zivil genutzt werden und braucht dann auch nicht zwingend militärisch betrieben und geschützt werden.

Alles weitere sollen dann ja die afghanische Armee und Polizei besorgen. Gibt es historische Beispiele, dass so eine „Übergabe in Verantwortung“, wie die Regierung das nennt, je funktioniert hat?

Ein Negativbeispiel ist die Sowjetunion: Sie ist 1989 ersatzlos aus Afghanistan rausgegangen und sagt uns heute sehr offen und deutlich, dass das ein Fehler war.

Auch der Abzug samt Verantwortungsübergabe der USA aus Vietnam ist missglückt. Ist es nicht blanker Zweckoptimismus, zu behaupten, diesmal könnte es in Afghanistan klappen?

Das können Sie nicht vergleichen. Die Frage ist doch, was wir gelernt haben. Klar ist: Man kann nicht einfach „rein“ und wieder „raus“. Man muss dafür sorgen, dass das, was erreicht wurde, nicht wieder preisgegeben, sondern gesichert wird.

Das haben auch die USA in Vietnam versucht. Sie wollten eine „Vietnamisierung des Kriegs“ …

… und mussten dann unter Hochdruck ihre letzten Leute mit dem Hubschrauber herausholen. Sie haben damals keine vietnamesischen Soldaten über Jahre partnerschaftlich ausgebildet – so wie wir das jetzt in Afghanistan machen. Die internationale Gemeinschaft wird die afghanische Armee sogar noch für einige Jahre bezahlen.

Nach dem Vietnamkrieg gab es in den USA das „Vietnam-Syndrom“. Man schreckte vor Auslandseinsätzen lange zurück. Wird es in Deutschland ein „Afghanistan-Syndrom“ geben – oder wird man eher wagemutiger werden, Motto: „Schlimmer als Afghanistan wird’s nimmer“?

Zunächst einmal ist die Anerkennung für die deutschen Soldaten durch den Afghanistan-Einsatz national wie international gewachsen. Die Bundeswehr ist eine andere geworden durch Afghanistan – selbstbewusster, internationaler. Und sie wird auch anders betrachtet.

Andere Einsätze – der Anti-Piraten-Einsatz Atalanta oder der im Kosovo – zeigen uns aber, dass wir von Fall zu Fall entscheiden müssen, was leistbar und was nötig ist. Ich kann nicht erkennen, dass diese Entscheidungen nun davon abhängig gemacht werden, wie schwierig der Afghanistan-Einsatz war, ist und auch bleiben wird.

Jeder Einsatz ist plötzlich und jeder ist anders? Kann es dann überhaupt die viel zitierten lessons learned, die Lehren für den nächsten Einsatz geben?

Natürlich, das ist ja schon die erste lesson learned. Viele sogenannte Experten ereifern sich in der Momentaufnahme: „In Zukunft wird alles wie in Libyen sein– alles Lufteinsätze.“ Oder: „In Zukunft wird alles wie in Mali sein – Ertüchtigung der örtlichen Kräfte.“ Doch ist es eben eine wichtige Lektion, dass wir uns nicht umfassend auf den nächsten Einsatz vorbereiten und gewesene Einsätze nicht einfach kopieren können.

Wir haben demnach nichts Konkretes aus Afghanistan gelernt.

Doch, selbstverständlich, etwa: Die Nato hat gelernt, wie wichtig es ist, dass die Hubschrauber miteinander funken können und die Krankentragen in alle Fahr- und Flugzeuge passen müssen. Auch ist klar geworden: Je weiter man weg ist, umso mehr braucht man Partner vor Ort. Man muss Andersheit von Kultur berücksichtigen. Ziele müssen realistisch sein, nicht überschwänglich. Der Menschenrechtsaspekt ist wichtig, aber ist mit militärischen Mitteln allein am schwierigsten zu erreichen.

Wieso sollen ausgerechnet bei der Durchsetzung von Menschenrechten die militärischen Mittel versagen?

Mit Gewalt kann fortgesetztes Morden unterbunden werden, können Menschen entwaffnet werden. Aber dann geht noch kein Mädchen zur Schule, und dann ist noch keine Regierung im Amt, die Menschenrechte auch achtet. Wir haben das in Afghanistan lernen müssen: Man kann ein Gebiet zurückerobern, aber dann muss man es halten und aufbauen, indem man Straßen und Schulen baut und Sicherheit gewährleistet.

Wenn sich an Afghanistan vor allem zeigt, wie abstrakt die Lehren daraus bleiben: Ist Verteidigungspolitik überhaupt Politik oder nicht viel mehr bloßes Ad-hoc-Krisenmanagement?

Nun, immerhin haben wir eine Bundeswehrreform beschlossen und setzen sie um. Sie ist auf verschiedene, unvorhersehbare Einsätze ausgerichtet. Auslandseinsätze sind Gott sei Dank ein reaktives Instrument. Deutschland hat jedenfalls nicht die Absicht, aktiv und anlasslos ins Weltgeschehen einzugreifen. In Afghanistan ist es gelungen, nach einem reaktiven Beginn eine aktive Strategie zu finden. Aber insofern Sicherheitspolitik in Form militärischen Eingreifens dazu da ist, Unsicherheiten und damit Unvorhersehbarem zu begegnen, ist sie reaktiv, das ist wahr.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ, STEFAN REINECKE UND ULRIKE WINKELMANN

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