Von Portugal nach Mosambik: Jenseits von Europa

Die Krise in Südeuropa kehrt die Migration teilweise um: Die hohe Arbeitslosigkeit treibt Portugiesen in die ehemaligen Kolonien.

Erfreut über Portugiesen? Kind in Maputo. Bild: reuters

MAPUTO taz | Am Anfang lief für Ricardo Jorge Martins Brito alles perfekt. Über einen privaten Kontakt bekam er den Job bei einer Baufirma in Maputo, er sollte die Innengestaltung des neuen Bürogebäudes einer großen Bank übernehmen. Sie bezahlten ihn gut, er wohnte in einem Dreisternehotel, die Arbeit ging voran. Doch nach drei Monaten erhielt der Architekt die Ansage, man brauche ihn nicht mehr.

Jetzt sitzt der 42-Jährige auf einem Sofa im Innenhof eines Hostels an der Avenida Mao Tse-tung, die Wand hinter ihm ist mit bunten Figuren bemalt. Er telefoniert und raucht. Er lebt jetzt von seinen Ersparnissen. Aber die 1.000 Meticais, die er pro Nacht als Zimmerpreis im Hostel ausgehandelt hat, umgerechnet 26 Euro, werden ihm nun auch zu viel. Er muss sich eine billigere Unterkunft suchen. „Es ist alles komplizierter, als ich dachte.“

Ricardo Jorge Martins Brito ist ein drahtiger, lässiger Mann mit Halbglatze. Früher war er mal Fußballprofi, dann hat er die Hochschulreife nachgeholt und Architektur studiert, sechs Jahre lang, in Porto. Fast ein Jahr lang war er arbeitslos, bevor es ihn nach Mosambik zog. „Die Krise“, sagt er. „Es gibt zu Hause einfach keine Jobs.“

Günstiger als Angola

Viele Portugiesen schauen nun woandershin. Die Zukunft liegt für sie jenseits von Europa. Für manche liegt sie in Afrika.

Die Krise in Südeuropa hat den Migrationsstrom umgedreht: Die hohe Arbeitslosigkeit und schlechte Zukunftsaussichten treiben Portugiesen in die ehemaligen Kolonien. Vor allem Mosambik ist beliebt. Das Leben ist hier nicht so teuer wie etwa in Angola, zumindest noch nicht. Die Wirtschaft wächst rasant, zuletzt 8 Prozent im Jahr, es gibt Rohstoffe fast ohne Ende. Seitdem die allermeisten Portugiesen 1975 mit der Unabhängigkeit aus dem Land geschmissen wurden, wurden fast keine neue neuen Häuser gebaut. Das ändert sich jetzt. Es bewegt sich etwas im Land. Boom.

Ricardo Jorge Martins Brito traf mit zwei Koffern in Maputo ein, ein paar Anziehsachen, Laptop, einige Bücher. Ein Arbeitsvisum zu beantragen, dafür hatte er gar keine Zeit, der Rohbau des Bankgebäudes stand schon, er wurde gebraucht.

Vorher wusste er gar nichts über Mosambik, das sagt er ganz offen. „Aber es war Liebe auf den ersten Blick.“ Er mag die spezielle Atmosphäre in Maputo, dass alles stressfreier abläuft, das Bier, die Musik, dass man nachts sicher auf der Straße laufen kann. Die Wärme. Die angenehme Brise vom Meer.

Viele Portugiesen haben Leitungsfunktionen

In seiner Firma arbeiteten hauptsächlich Mosambikaner, nur die Leitungsebene kam aus Portugal. Die Atmosphäre sei nicht so gut gewesen, sagt er. Aber über diese Zeit will er gar nicht mehr sprechen. Er schaut nach vorn, sucht einen neuen Job. Sechs oder sieben Bewerbungen schreibt er pro Tag. „Du musst hingehen, dich zum Chef durchfragen und die Mappe persönlich überreichen.“ Bislang ohne Erfolg.

Mehrere hundert Portugiesen treffen jede Woche in Mosambik ein auf der Suche nach einer besseren Zukunft. 2012 waren es etwa 140 pro Woche, sagt der Soziologe Horencio Lopes vom Zentrum für mosambikanische und internationale Studien in Maputo. „Jetzt sind es mehr, mindestens 200.“ Offizielle Zahlen gibt es kaum. Bekannt ist: Allein die portugiesische TAP hat 2012 ein Viertel mehr Passagiere nach Mosambik geflogen als im Vorjahr. Die Zahl der registrierten Portugiesen in Maputo ist zuletzt um 10 Prozent im Jahr gestiegen. Mehr als 20.000 Portugiesen leben demnach hier. Wahrscheinlich sind es viel mehr, denn viele kommen als Touristen und bleiben einfach.

Für manche ist es ein Abenteuer. Sie kommen, weil sie die Lethargie in Portugal bedrückt und weil sie ein Land suchen, in dem gerade viel passiert. Mosambik ist ein vergleichsweise einfaches Ziel. Die Sprache ist dieselbe, das Klima super, die Landsleute helfen sich gegenseitig. Für andere ist es die letzte Chance. Sie fliehen vor der Arbeitslosigkeit, die vor allem unter jungen Erwachsenen in Portugal sehr hoch ist. Die jüngste Quote der Jugendarbeitslosigkeit: 42,1 Prozent.

Die alten Kolonialherrn

Beliebt sind die Portugiesen in Mosambik nicht bei allen. Die Portugiesen nehmen doch nur den Einheimischen die Arbeitsplätze weg, klagen manche. Und benehmen sich, als seien sie immer noch die Kolonialherren! Oft arbeiten Portugiesen tatsächlich in höheren Positionen und verdienen mehr als ihre mosambikanischen Kollegen.

So wie Diana Costa. Sie ist 22 Jahre alt und hat Sportwissenschaften studiert. Eine Arbeitsstelle hat sie nicht gefunden, andere aus ihrem Jahrgang gingen nach Brasilien oder Schweden. Seit Anfang des Jahres leitet sie eine Bäckereifiliale in Maputo. Ihr Vater verschaffte ihr den Job.

Diana Costa ist eine elegante junge Frau, die Kleid und Perlenohrstecker trägt. Sie lächelt, etwas unsicher. „In der Bäckerei bin ich der Boss“, sagt sie. „Das ist eine böse Rolle, denn ich muss ja bestimmen.“ Aber ansonsten gefalle es ihr hier schon. Die Kultur sei ja ähnlich. Aber manchmal sei es auch anstrengend: „Die Mosambikaner denken so langsam.“

Bei Bier und Spielfilmen

Freitagabend, Diana Costa trifft sich mit Freunden in deren WG. Die Wohnung liegt in der Avenida Ho-Chi-Minh im Zentrum, 9. Stock, durchs Fenster sieht man die Lichter der Stadt. Im Fernseher ist ein Spielfilmkanal eingeschaltet. Die jungen Leute sitzen auf einem schwarzen Ledersofa.

Barbara und Ana, beide Mitte 20, sind hier. Sie haben Hunderte Bewerbungen geschrieben – und das Einzige, was sie ergattern konnten, war ein halbjähriges Praktikum in Maputo, organisiert über ein Programm der portugiesischen Regierung. „Nur zu einer Handvoll Bewerbungsgesprächen wurde ich überhaupt eingeladen“, sagt Ana. „Das hier war meine einzige Chance.“ In Portugal hatte die Ingenieurin schon fünf Jahre in ihrem Beruf gearbeitet, in zwei unterschiedlichen Firmen. Jetzt hofft sie, dass ihr Vertrag bei der Consultingfirma verlängert wird.

Die Gäste fangen an zu diskutieren über die Vorurteile gegenüber Portugiesen und was da dran ist. „Das sind die Älteren, die sich aufführen wie Kolonialherren“, sagt eine Frau. „Natürlich gibt es auch junge Menschen, die keinen Respekt haben“, erwidert eine andere. Sie diskutieren eine Weile hin und her, laut und heftig, Portugiesen unter sich. Dann wischen sie wieder über ihre Smartphones und trinken weiter.

Spezialausbildungen sind gefragt

Diana Costa sagt, die Arbeit in der Bäckerei mache ihr nicht besonders viel Spaß. Sie würde lieber etwas anderes machen. Etwas, das mehr mehr mit ihrem Studium zu tun hat. Am liebsten, sagt sie, würde sie Inlineskate-Kurse anbieten. „Viele Portugiesen finden einen Job“, hat der Soziologe Lopes beobachtet, „aber oft nicht in dem Bereich, in dem sie ausgebildet sind.“

Überhaupt ist es mit den Arbeitsplätzen so eine Sache. Natürlich braucht Mosambik Arbeitskräfte mit spezieller Ausbildung, etwa Ingenieure für den Bergbau. Aber das sind vergleichsweise wenige. Denn es kommen vor allem Marketingleute und Architekten. Gerade die braucht hier doch niemand, sagt Carla Cortêz. Sie ist Anfang 30 und arbeitet in Maputo als selbstständige Architektin. Den Portugiesen fehle auch der kulturelle Hintergrund, sagt sie, um die Stadt auf eine angemessene Art und Weise neu zu gestalten.

Ihr Kollege Ricardo Jorge Martins Brito kann dem nicht zustimmen. „Wir helfen bei der Entwicklung, sie brauchen unsere Expertise.“

Kein Sofortvisum

Die arbeitsuchenden Portugiesen haben nicht nur mit Vorurteilen zu kämpfen, sondern auch mit einer mosambikanischen Regierung, die streng geworden ist. Offiziell ist die Beschäftigung von Ausländern ohnehin reglementiert. Je nach Größe der Firma dürfen nur 5 bis 10 Prozent Ausländer angestellt werden, so steht es im Artikel 31, Arbeitsgesetz.

Deshalb arbeiten viele ohne Vertrag, so wie Ricardo Jorge Martins Brito. Inzwischen wird auch die Vergabe der Touristenvisa genauer geprüft. Ad hoc an der Grenze erhalten Portugiesen keines mehr. Ende Juli etwa wurden auf dem Flughafen 27 Portugiesen erwischt, die offenbar keine gültigen Visa besaßen. 19 wurden gleich mit dem Flugzeug nach Hause geschickt.

Am nächsten Tag sitzt Ricardo Jorge Martins Brito wieder im Hostel, die Sonne scheint, er raucht, er wartet. Vor ihm liegt ein Ordner auf dem Tisch, Lebenslauf, Zeugnisse, Empfehlungsschreiben. Um halb acht wollten Freunde kommen, um ihm dabei zu helfen, ein Jahresvisum zu beantragen. Jetzt ist es 10 Uhr, und sie sind immer noch nicht da.

Er müsse seinen Flug umbuchen, sagt er. Aber geht das überhaupt? Er sucht das Kleingedruckte und findet nichts. Egal. Dann verfällt das Ticket eben. Wird schon klappen mit dem Visum. Er will nicht zurück.

Teures Maputo

Dem Architekten gefällt das Leben in Maputo, auch wenn alles teuer ist. 15 Euro kostet etwa ein Mittagessen, aber man kann auch locker 50 ausgeben in einem der netten portugiesischen Restaurants. Die Mieten sind stark gestiegen. Ein Einzimmerapartment kostet mitunter bis zu 1.000 Euro. Alles ist teuer hier – außer Zigaretten.

Ricardo raucht. Ihm gefällt es hier so sehr, dass seine Sicht auf die alte Heimat etwas verzerrte Züge annimmt. „Hier haben die Leute wenigstens etwas zu essen“, sagt er. „In Portugal gibt es Leute, die haben das nicht.“ Ricardo will in Mosambik bleiben, komme, was wolle. „Besser nichts tun in Maputo“, sagt er, „als nichts tun in Portugal.“

Ein paar Wochen später schreibt er eine E-Mail. Einen Job hat er nicht gefunden. Das Visum hat er auch nicht bekommen, er musste das Land verlassen. Aber sehr bald wird er wiederkommen, da ist sich Ricardo Jorge Martins Brito, der Arbeitsmigrant aus Portugal, sicher. Er möchte am Strand des Indischen Ozeans eine Lodge eröffnen.

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