Die Landschaftspfleger

WANDEL In keiner anderen Partei sind Provinzfürsten so mächtig. Wenn die Bayern am Sonntag Bürgermeister und Landräte wählen, stimmen sie auch über das neue Gesicht der CSU ab. Manchen Amtsträger haben sie schon vorher abserviert

■ Die Wahl: Am Sonntag werden in Bayerns Kommunen Bürgermeisterinnen, Landräte, Kreis- und Stadträtinnen gewählt. Es geht um mehr als 39.000 kommunale Mandate. 2008 hatte die CSU mit 40 Prozent eines ihrer schlechtesten Ergebnisse erzielt, auch weil die Freien Wähler stark abschnitten.

■ Die Quote: Unter den 71 Landräten Bayerns sind zwei Frauen. Eine gehört den Freien Wählern, eine der SPD an. Das ist ein Anteil von 2,8 Prozent. Der Anteil kann höchstens auf 1,4 Prozent und eine Frau sinken. Tamara Bischof steht für die Freien Wähler in Kitzingen zurzeit nicht zur Wiederwahl.

■ Die Hauptstadt: Gewählt wird in 58 Landkreisen und 19 kreisfreien Städten. Eine der spannendsten Auseinandersetzungen findet in der bayerischen Landeshauptstadt München statt. Nach mehr als zwanzig Jahren darf Oberbürgermeister Christian Ude aus Altersgründen nicht mehr antreten. CSU-Kandidat Josef Schmid, SPD-Wirtschaftsreferent Dieter Reiter und die Grünen-Kandidatin Sabine Nallinger kämpfen um seine Nachfolge.

AUS MIESBACH, MÜNCHEN UND STARNBERG TOBIAS SCHULZE

Der Showdown beginnt zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Es ist 20.01 Uhr und der Landrat sitzt steif auf seinem Stuhl, dem dritten von rechts. Seine Hände klammert er um die Oberschenkel. Seine Augen starren auf die Holzdielen. Seine Stirn glänzt vor Schweiß, obwohl die Techniker das Scheinwerferlicht gedimmt haben. Seit Wochen setzt Jakob Kreidl all seine Hoffnung auf diesen Moment. Er ist so gut wie erledigt, seine Parteifreunde haben ihn aufgegeben, aber er selbst kämpft weiter. Er möchte die ganze Angelegenheit klarstellen und die nächste Antwort ist seine große Chance. Vielleicht die letzte.

Der Saal ist voll bis auf die Empore. Die Miesbacher wollen sehen, wie sich der Landrat aus seinen Skandalen herausredet. Drei Wochen dauert der Wahlkampf noch, aber dieser Abend Ende Februar ist der Höhepunkt: Podiumsdiskussion der Kandidaten in der Stadthalle Miesbach, Oberbayern, eine gute halbe Autostunde südlich von München. Eben hat der Moderator nach der Feier zu Kreidls 60. Geburtstag gefragt, die Rechnung ging auf die Kreissparkasse. Jetzt richtet sich der Landrat auf. Jetzt kommt sein Verteidigungsplädoyer, seine Version der Geschichte.

Darin ahnte er nichts von den Kosten. Genau genommen wollte er, damals noch Dr. Kreidl, gar kein großes Fest. Aber der Sparkassenvorstand ließ sich nicht aufhalten. „Es hieß: Wir machen aus der Geburtstagsfeier eine Kundenveranstaltung“, sagt Kreidl.

Das Publikum lacht. So schallend, als wäre der Landrat Hauptdarsteller im Bauerntheater und hätte gerade einen Riesenwitz gerissen. „450 Gäste waren auf der Feier. Glauben Sie, dass das alles meine Freunde waren?“, ruft er noch in den Saal. Aber die Worte gehen im Gejohle unter.

Dass ihm niemand zuhört, ist neu für Jakob Kreidl. Er leitet das Landratsamt Miesbach, und in Bayern heißt das etwas. „Früher hatten wir einen König, heute haben wir die Landräte“, sagt Horst Seehofer manchmal. Der CSU-Chef kennt diese Könige. Jede andere Partei besetzt ihren Vorstand mit Ministerpräsidenten und Landeschefs. Die CSU existiert nur in Bayern, also bestimmen die Provinzfürsten ihre Führungsetage. Sechs Kommunalpolitiker sitzen im Vorstand und entscheiden über die großen Fragen der Partei, Bayerns – und der Republik.

Wenn die Bayern an diesem Sonntag neue Bürgermeister und Landräte wählen, stimmen sie also auch über das Gesicht der CSU ab.

Sie können sich für CSU-Kandidaten entscheiden, die Windräder planen und auf dem Christopher Street Day mitmarschieren. Diese Kandidaten haben es bisher schwer mit ihrer Partei.

Sie können aber auch für CSU-Kandidaten stimmen, die Politik machen, als säße noch immer Franz Josef Strauß in der Staatskanzlei. Mit diesen Kandidaten hat es die Partei inzwischen schwer.

Mit Jakob Kreidl beispielsweise. Sein Absturz beginnt im März 2013. Die Plattform Vroniplag findet auf 260 von 286 Seiten seiner Doktorarbeit Plagiate. Er gibt seinen Doktortitel vorläufig ab – und bleibt Landrat.

Wenig später die nächste Enthüllung. Als Landtagsabgeordneter beschäftigte er 14 Jahre lang seine Frau. Eine umstrittene Praxis, inzwischen verboten – aber Kreidl bleibt.

Die Bundeswehr-Universität entzieht ihm endgültig den Doktortitel. Die Regierung von Oberbayern prüft ein Disziplinarverfahren. Die Zeitungen berichten, dass die Geburtstagsfeier 118.123 Euro kostete. Und immer noch sieht Jakob Kreidl, der nun endgültig nicht mehr Dr. genannt werden darf, keinen Grund, sich von seinem Amt zu trennen.

Im Februar weigern sich dann die CSU-Ortsverbände in seinem Landkreis, seine Plakate aufzuhängen. Der Kreisverband fordert seinen Rücktritt. Nur wenige halten da noch an ihm fest. Allen voran er selbst: Jakob Kreidl, CSU-Mitglied seit 1980.

Er wirkt da längst, als wäre er übrig geblieben aus einer alten Zeit, in der man in der CSU noch betrunken Menschen totfahren und anschließend Verkehrsminister werden konnte. Und so stellt sich mit einem wie Jakob Kreidl vor dieser Kommunalwahl auch die Frage, wie sehr diese Zeiten schon vorbei sind.

„Wir verstehen uns nicht als bloßes Bundesland. Wir sind der Freistaat Bayern“, hat Kreidls Parteikollege Peter Gauweiler einmal gesagt. Die höchsten Berge, die meisten DAX-Unternehmen. Ja, auch den größten Steuerbetrüger, aber mei. Und über allem die CSU: die dieses Idyll schützt. Die einzige Partei, für die Bayerns Interessen wirklich an erster Stelle stehen. Die den Freistaat gegen den Länderfinanzausgleich und die EU-Kommission verteidigt.

In jedem Vereinsheim und an jedem Stammtisch sitzen Mitglieder der Partei. So bringt sie ihre Argumente unters Volk und hört die Probleme der Wähler. Man spricht in der CSU vom „vorpolitischen Raum“. Keine andere Partei pflegt ihre Kontakte so intensiv. Schon im Wahlkampfleitfaden der Jungen Union Niederbayern steht: „Achtung, nicht erst kurz vor den Wahlen im vorpolitischen Raum aktiv werden!“

Lange Zeit hatte die CSU auch dank dieses Einsatzes so viele Stammwähler, dass sie sich anstellen konnte, wie sie wollte – am Ende gewann sie sowieso. Dass Jakob Kreidl, dessen Trachtenjanker immer perfekt sitzt und der doch in seinem Landkreis in Holzkirchen gerade erst ein Gymnasium hatte bauen lassen, trotzdem immer stärker unter Druck geriet, zeigt: Es muss sich doch etwas geändert haben.

In Miesbach deutete sich das schon vor drei Jahren an. An einem Frühlingstag zogen knapp hundert Jugendliche mit Schildern und Bannern durch die Innenstadt. Sie protestierten gegen ein geplantes Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Vereine interessieren diese Jugendlichen nicht. Zum Trinken treffen sie sich lieber im Park.

Auch anderswo im Freistaat protestieren bayerische Wutbürger neuerdings. In Garmisch etwa: Nicht gegen das Alkoholverbot, sondern gegen die Olympiabewerbung, die dann auch scheiterte. Oder gegen neue Stromtrassen in der Oberpfalz.

Die konservative Tegernseer Zeitung wiederum verliert Leser an die Tegernseer Stimme. Das neue Onlinemagazin fragte vor allen anderen, wer Kreidls Geburtstagsfeier bezahlt hatte.

Die Gesellschaft wandelt sich. Regelmäßig fragt die Hanns-Seidel-Stiftung die Bayern, was sie für typisch bayerisch halten. Biergarten, Weißwurst und Dialekt nennen die Befragten inzwischen nur noch halb so häufig wie früher. Die bayerische Identität, sie scheint sich aufzulösen. In den Neunzigern besaß die Hälfte der Bayern einen Vereinsausweis. 2011 waren es nur noch 43 Prozent. Der vorpolitische Raum, er schrumpft. Die Anzahl der CSU-Stammwähler sinkt.

Wenn sie zufrieden sind, machen die Bayern ihr Kreuz noch immer bei den Christsozialen. Dem Land geht es schließlich gut und daran hat die Partei ihren Anteil. Aber wenn ein Kandidat nicht mehr überzeugt und die CSU zu lange an ihm festhält, stimmt das Volk für jemand anderen. So wie 2008, als sie Edmund Stoiber zu spät abservierte und anschließend ihre absolute Mehrheit verlor.

Deshalb wurde in Miesbach die Angst vor einer Wahlniederlage irgendwann so groß, dass der Vorsitzende Horst Seehofer Jakob Kreidl zum Rücktritt auffordern musste.

In München dagegen, nicht einmal 50 Autobahnkilometer von Miesbach entfernt, wirkt die CSU, als wäre eine ganz andere, und vielleicht kann sie auch deshalb mit einem guten Ergebnis rechnen. Wegen ihres Bürgermeisterkandidaten.

Am Faschingsdienstag fährt er auf einem Traktoranhänger durch Allach, ein Viertel am Stadtrand. „Da steht ein Pferd auf dem Flur“, singt er und winkt in Richtung Bürgersteig. Sein Kostüm ist schlicht. Eine blaue Collegejacke, wie sie die Mitglieder der Jungen Union derzeit im Wahlkampf tragen. „JS“ steht in weißen Buchstaben auf der Brust, Josef Schmids Initialen. Nur wenige dürften dabei an FJS denken, an Franz Josef Strauß. Die Allacher kennen solche Jacken aus dem Fernsehen: Der Monaco Franze trug im Vorspann seiner TV-Serie ein ähnliches Modell. Ein Stenz war der Franz, stets lässig, zu ihm passte die Jacke. Er war aber im Westend daheim, nicht am Stadtrand. Allach ist das Gegenteil von lässig, und eine Collegejacke taugt hier nur als Verkleidung an Fasching.

An der Peripherie ist München ein Dorf. Mit Landwirten, die ihre Kartoffeln direkt vom Hof verkaufen, und einem Veteranenverein, der in einer Vitrine Ritterkreuze ausstellt. Am Stadtrand gibt es mehr solcher Viertel, sie heißen Feldmoching oder Trudering und sind die Heimat der Münchner CSU. Josef Schmid ist in Allach aufgewachsen, als Sohn des Metzgers. Auch er weiß, was ein Trachtenjanker ist, und als er vor sechs Jahren schon einmal kandidierte, kam er in seinem Stimmbezirk auf 51 Prozent.

Stadtweit erzielte er damals nur 24 Prozent. Seitdem hat er als Chef der Stadtratsfraktion die Münchner CSU auf den Kopf gestellt. Die Partei kämpft jetzt für Moscheen, wettert gegen den Parteienfilz und gibt sich so modern, dass sich viele Wähler fragen, ob das alles echt ist – oder nur ein gutes Kostüm.

„Wenn wir noch auf dem Stand von 2008 wären, hätten wir was falsch gemacht“, sagt Schmid. Will er gegen den Münchner Wirtschaftsreferenten Dieter Reiter von der SPD gewinnen, muss er neue Wähler finden.

Die CSU sucht sie in der Innenstadt, in den Vierteln des Monaco Franze. Wer dort punkten will, muss was hermachen. Zu viel Chic darf es aber auch wieder nicht sein, darunter leidet die Lässigkeit. „Ich mache vielleicht einen Coq au Vin“, schlägt der Monaco Franze seinem Spezl in einer Folge vor. „Einen was?“, fragt der. „So ein Hendl in einer schönen Weinsoß“, erklärt der Franz.

Schmids Wahlkampfagentur hat das Prinzip verstanden. Auf seinen Veranstaltungen im Zentrum läuft kein Defiliermarsch, sondern Funk. Der Kandidat tritt mit Sakko, aber ohne Schlips auf, während seine Frau im Publikum sitzt und in die Kamera der Agenturleute zwinkert. Es sind tolle Bilder, die Natalie und der Josef, die Isar-Obamas.

Zwischen dem Idyll der Miesbacher und dem der Münchner Innenstadt gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Die CSU ist hier nicht die Partei, die das Idyll bewahrt. Sie ist die Partei, die das Idyll bedroht.

Vor zwei Jahren redete Schmid als erster CSU-Politiker überhaupt auf der Bühne des Christopher Street Day. Nachdem er um einen Auftritt gebeten hatte, diskutierten die Organisatoren tagelang. Die achtziger Jahre haben sie nicht vergessen. Damals kämpfte die CSU-Regierung mit allen Mitteln gegen die Homo-Szene.

Drei Minuten dauerte Schmids Auftritt auf der Parade. Er bekam wenig Applaus und einige Pfiffe. „Ich kann Sie verstehen“, rief der CSU-Kandidat von der Bühne und hielt sich an seinem Manuskript fest. „Es gibt in meiner Partei immer noch einige, die sich der Öffnung für Schwule, Lesben und Transgender verwehren.“ Transgender. Keine CSU-Vokabel.

Als Schmid ein Jahr später wieder auftrat, war der Applaus etwas lauter. Im Stadtrat stimmt seine Fraktion inzwischen zu, wenn ein queeres Jugendzentrum um Subventionen bittet. Das Misstrauen gegen seine Partei bleibt. Im Landtag lehnten die Konservativen erst im Februar einen Antrag ab, der die Akzeptanz von Homosexuellen in den Lehrplänen verankern sollte. Auch in der Stadtratsfraktion sitzen Männer, die dem Pfarrgemeinderat näherstehen als dem queeren Jugendzentrum.

Noch vor sechs Jahren hatte Schmid eine Prügelszene aus der U-Bahn plakatieren lassen. „Damit Sie nicht der Nächste sind“, stand darunter. Heute verzichtet er auf Law-and-Order-Plakate. „Ich habe gelernt, auf die Bild- und Formensprache zu achten“, sagt er. Den Chef der Senioren-Union, der zu Beginn des Wahlkampfs gegen Moscheen wetterte, schickte er zu einem Imam nach Oberbayern.

Die CSU-Spitze lässt dem Münchner Kandidaten freie Hand. Das Wahlergebnis wird sie sich genau anschauen: Wenn die CSU mit einem liberalen Kurs sogar in der Großstadt scheitert, bleibt sie eben die Partei der Prügelplakate. Wenn Schmid Erfolg hat, könnte sein Einfluss wachsen. Dann wird auch er ein Kandidat für den Parteivorstand.

Um das Seepanorama wäre es auch wirklich schade

Vom Marienplatz an den Starnberger See braucht die S-Bahn 36 Minuten. Die Gleise am Starnberger Bahnhof grenzen an die Uferpromenade. Wenn die Einheimischen mit Sonnenbrille auf dem Bahnsteig sitzen, auf ihren Zug warten und aufs Wasser blicken, sehen sie aus wie Nizza-Urlauber im Strandkorb. Die Starnberger leben nicht nur im schönsten Freistaat, sie haben auch noch den idyllischsten S-Bahnhof.

Vielleicht ist das der Grund, warum die Energiewende in Starnberg früher begann als im Rest des Landes: Um das Seepanorama wäre es im Fall einer nuklearen Katastrophe wirklich schade.

Schon im Jahr 2005 beschloss der Starnberger Kreistag den Atomausstieg, lange vor Fukushima. Bis 2035 will der Landkreis seinen Strom komplett aus erneuerbaren Energien gewinnen. Am Geld wird das Projekt nicht scheitern. Die Region gehört zu den reichsten in Deutschland. Selbst die Alkoholiker am Bahnhof trinken kein Oettinger für 49 Cent die Flasche, sondern Schneider Weiße für einen Euro. Aber alles Geld hilft nicht, wenn sich der Ministerpräsident etwas in den Kopf setzt. Der Energieplan steht auf der Kippe, seit Horst Seehofer im vergangenen August beschloss, den Bau von Windrädern zu verhindern.

„Das hätte es nicht gebraucht“, sagt Karl Roth. Er ist Landrat von Starnberg, verheiratet, zwei Söhne, vier Trachtenjanker. Er möchte die CSU nicht umkrempeln. Aber wenn jemand eine gute Idee hat, hört er zumindest zu. Lange Zeit war er Bürgermeister von Andechs, damals hatte er mit Umweltpolitik noch nichts am Hut. Vor zehn Jahren kam er dann in den Kreistag, und dort saßen sechs Grüne, die pausenlos Ökothemen anschleppten. Gentechnikfreie Zone. Fahrradfreundliche Kommune. „Plötzlich hat mir das richtig Spaß gemacht“, sagt Roth.

Karl Roth begann die Starnberger CSU zu öffnen.

Als der Landkreis vor neun Jahren die Energiewende beschloss, war die Windkraft noch kein Thema. Erst in 200 Metern Höhe weht der Wind hier stark genug, um ordentlich Strom zu erzeugen. Und so hohe Anlagen sind erst seit Kurzem auf dem Markt. Es sind monströse Türme, fünfmal so hoch wie ein Maibaum, und den Starnbergern waren sie am Anfang nicht geheuer. Zwei dieser Dinger auf die Hügel am Ufer, eins im Osten, eins im Westen, und die Aussicht wäre im Eimer. Verbieten können die Gemeinden solche Windräder aber kaum.

Um ihr Idyll trotzdem zu schützen, haben die Kommunen nur eine Chance. Sie müssen an einem Strang ziehen: Wenn sie an einer Stelle im Landkreis Windräder erlauben, können sie woanders ein Veto einlegen. Zwei Jahre lang arbeiteten die Lokalpolitiker an einem Kompromiss. Sie diskutierten im Kreistag, dann in den Gemeinderäten und am Ende wieder im Kreistag. Am Ende waren 11 von 14 Gemeinden bereit, Windräder aufzunehmen. Gilching ja, Andechs nein.

Dann kam Seehofer.

In den Koalitionsvertrag ließ er eine Klausel aufnehmen: Der Abstand zwischen Windrädern und Wohnhäusern muss künftig zehnmal so groß sein, wie die Masten hoch sind. Im Fall der Starnberger Anlagen: zwei Kilometer. Die Beamten des Landratsamts holten Karten und Zirkel hervor und fanden exakt einen Standort, der dann übrig bleibt: die Roseninsel, mitten im See. Und dort brütet der Rotmilan. Geht nicht.

So hat in der CSU also jeder sein eigenes Verhältnis zum Bewahren und zum Wandel. Horst Seehofer stemmt sich nicht aus Prinzip gegen Reformen. 77 Prozent seiner Wähler fordern sogar, die Windkraft auszubauen. Aber die restlichen 23 Prozent gründen Bürgerinitiativen, und von ihnen hat sich der Ministerpräsident überzeugen lassen: Nichts soll sich ändern, kein Windrad die Aussicht versperren.

Karl Roth wäre es auch recht, wenn alles beim Alten bliebe. Aber manchmal kann ein Landrat sein Idyll nur bewahren, wenn er den Wandel zulässt. Wohl dosiert und dort, wo es die Landschaft verschmerzt. Er will möglichst viele Windräder genehmigen lassen, bevor Seehofers Abstandsregel im Sommer in den Bundestag kommt.

Josef Schmid steht dem Wandel nicht im Weg. Wer in der Stadt wohnt, gewöhnt sich schneller an Veränderungen. Auf seinem Schreibtisch im Rathaus stehen vier Fahnen: eine deutsche, eine bayerische, eine von der CSU und eine türkische. Das Geschenk eines Hoteliers aus dem Bahnhofsviertel. „Weite Teile der türkischstämmigen Bevölkerung wollen hier bleiben. Da wird es doch höchste Zeit, dass wir diese Menschen ansprechen“, sagt er.

Und Jakob Kreidl? Selbst als Horst Seehofer persönlich seinen Rücktritt fordert, wartet Kreidl einen ganzen Tag lang. Erst dann gibt er auf und kündigt an, abzutreten.

Offiziell kann er seine Kandidatur aber nicht mehr zurückziehen. Die Wahlzettel sind gedruckt.

In Miesbach wird die CSU am Sonntag alt aussehen müssen.

Tobias Schulze, 25, ist Bayernkorrespondent der taz