Bloß nicht bloßstellen

JUSTIZ Wer andere in peinlicher oder entwürdigender Lage zeigt, muss künftig mit Geld- oder Gefängnisstrafe rechnen. Das sieht ein Gesetzentwurf vor

■ Der Gesetzentwurf des Justizministeriums hat 48 Seiten und enthält eine Vielzahl von Vorschlägen. Einige dienen der Umsetzung von EU-Richtlinien sowie von Konventionen des Europarats.

■ Bei Sexualstraftaten soll die Verjährung künftig erst beginnen, wenn das Opfer 30 Jahre alt ist. Bisher lag der Startpunkt bei 21 Jahren. Schwere Sexualstraftaten wären dann erst verjährt, wenn das Opfer 50 Jahre alt ist. Opfer sexueller Gewalt in der Kindheit brauchen oft viele Jahre, bis sie sich mit der Tat auseinandersetzen und den Täter anzeigen können.

■ Die Strafvorschrift zum „sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen“ soll künftig auch Vertretungslehrer erfassen. Damit wird auf ein Urteil des Oberlandesgericht Koblenz von 2011 reagiert, das bei stundenweisem Unterricht noch kein Obhutsverhältnis annahm.

■ In die gleiche Strafvorschrift sollen künftig neue Lebenspartner der Mutter aufgenommen werden, die keine Erziehungsverantwortung übernehmen. Bisher galt: Je egoistischer der Mann, desto größer die Freiheit zu sexuellen Übergriffen auf Kinder seiner Partnerin.

■ Künftig wird schon der „Abruf“ von Kinderpornografie durch Telemedien ausdrücklich bestraft. Gemeint ist damit das Ansehen solcher Seiten im Internet. Bisher war umstritten, ab wann jemand im „Besitz“ von Kinderpornografie ist. Die Rechtsprechung ließ es schon gelten, wenn solche Bilder im Arbeitsspeicher oder Cache des Computers gespeichert werden. Künftig soll es auf solche Spitzfindigkeiten nicht mehr ankommen.

■ Die Strafvorschrift zum Cybergrooming soll ergänzt werden. Bisher war schon strafbar, ein Kind im Internet aus sexuellen Interessen zu kontaktieren. Künftig soll auch eine solche Kontaktaufnahme per Telefon strafbar sein.

■ Bei der Volksverhetzung soll künftig auch der Versuch strafbar sein. (chr)

VON CHRISTIAN RATH

BERLIN taz | Justizminister Heiko Maas will „bloßstellende Bildaufnahmen“ aller Art unter Strafe stellen. Dazu gehören auch Fotos von Betrunkenen oder Opfern von Gewalt, die ohne deren Einwilligung gemacht und übertragen werden. Diese weitreichende Vorschrift findet sich in einem Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch, der der taz vorliegt.

In der Begründung heißt es: „Unter bloßstellenden Bildaufnahmen versteht man solche, die die abgebildete Person in peinlichen oder entwürdigenden Situationen oder in einem solchen Zustand zeigen.“ Als Beispiele werden „betrunkene Personen auf dem Heimweg“ genannt oder „Opfer einer Gewalttat, die verletzt und blutend auf dem Boden liegen“.

Das Herstellen solcher Fotos soll laut Begründung immer strafbar sein, wenn „angenommen werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran besteht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Dritten zugänglich gemacht werden“.

Es käme also nicht darauf an, dass die Fotos heimlich oder gegen den ausdrücklichen Willen der Betroffenen aufgenommen werden. Umgekehrt könnte die Strafbarkeit aber entfallen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung vorläge.

Als Strafe für ein derartiges Foto wird Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe angedroht. Wer das Bild auch noch „verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht“, muss mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe rechnen.

Ausnahmen für schadenfrohe Spaßfotos im Freundes- und Familienkreis sind nicht vorgesehen. Auch auf mögliche Folgen für Journalisten geht der Gesetzentwurf mit keinem Wort ein.

Bisher konnte gegen solche Fotos allenfalls zivilrechtlich mit Unterlassungs- und Löschungsansprüchen vorgegangen werden.

Strafbar ist es zwar schon, Fotos gegen den Willen der Abgebildeten zu verbreiten (außer, diese sind Personen der Zeitgeschichte). Das Kunsturhebergesetz droht hierfür Strafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafe an. Neu wäre aber, dass schon das Anfertigen des Fotos strafbar ist. Außerdem wäre die Strafandrohung für das Verbreiten bloßstellender Fotos deutlich höher.

Die neue Strafvorschrift soll in Paragraf 201a des Strafgesetzbuchs eingefügt werden. Dort sind unbefugte Fotos einer Person verboten, „die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet“. Damit soll der „höchstpersönliche Lebensbereich“ des Menschen geschützt werden. Die 2004 eingeführte Strafvorschrift zielte vor allem auf Paparazzi. Schon damals gab es heftige Kritik von Medienverbänden.

Begründet wird die Strafbarkeit „bloßstellender Fotos“ mit dem Aufkommen von Handykameras und der verminderten Hemmschwelle, solche Fotos im Internet anonym weiterzuverbreiten. „Damit wird auch ein Auftrag des Koalitionsvertrags umgesetzt“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums gegenüber der taz. In diesem heißt es: „Wir verbessern den strafrechtlichen Schutz vor Beleidigungen in sozialen Netzwerken und Internetforen (Cybermobbing).“

Auf gewerbsmäßigen Handel soll es nicht ankommen, auch das Tauschen der Fotos im Internet wäre strafbar

Ursprünglich sollte der Gesetzentwurf nur auf die Edathy-Affäre reagieren. Der ehemalige SPD-Abgeordnete hatte Fotos nackter spielender Kinder bestellt, die derzeit straflos sind. Justizminister Heiko Maas kündigte im Februar sofort an, er wolle das „gewerbsmäßige Handeln mit Nacktbildern von Kindern und Jugendlichen unter Strafe stellen“.

Darüber geht er nun weit hinaus. Neben bloßstellenden Fotos sollen auch alle unbefugten „Bildaufnahmen von einer anderen unbekleideten Person“ strafbar sein. Damit sind nicht nur Kinder, sondern auch nackte Erwachsene gemeint. Auf gewerbsmäßigen Handel soll es nicht ankommen, damit auch das Tauschen der Bilder in Internetforen strafbar ist.

Ausnahmen für Eltern, die ihre Kinder im Planschbecken fotografieren, sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor. In der Begründung heißt es aber, solche Fotos seien in der Regel nicht unbefugt und damit nicht strafbar, weil die Eltern im Namen ihrer Kinder in die Aufnahme einwilligen. Die Einwilligung der Eltern soll allerdings „sittenwidrig und damit unwirksam“ sein, wenn die Bilder „auf einschlägigen Wegen neben kinder- und jugendpornografischen Schriften zu vorwiegend sexuellen Zwecken weitergegeben oder verbreitet werden“.

Fotografien von Kindern in aufreizenden Posen galten bisher schon als strafbare Kinderpornografie, weil das Posieren als „sexuelle Handlung“ gewertet wurde. Künftig sollen aber generell Bilder von Kindern in „unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ als Kinderpornografie bestraft werden, also auch solche, auf denen das fotografierte Kind schläft.

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