„Sparen verstärkt die Krise“

GRIECHENLAND Die Politik der Troika ist gescheitert, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Er fordert, dass die EU die Haushaltsdefizite der Griechen finanziert

■ 57, ist VWL-Professor in Würzburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen. Er tritt für eine nachfrageorientierte Politik ein.

INTERVIEW FELIX LEE

taz: Herr Bofinger, die Griechen einigen sich auf ein radikales Sparprogramm. Die EU ist dennoch nicht zufrieden. Was muss noch kommen?

Peter Bofinger: Die griechische Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Das Land ist in eine schwere Depression geraten. Das Bruttoinlandsprodukt ist gegenüber dem Jahr 2007 um 18 Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit hat dramatisch zugenommen. Da die Entwicklung erheblich schlechter ist, als vom Internationalen Währungsfonds noch vor einem Jahr erwartet wurde, ist es nicht überraschend, dass das Land seine Sparziele nicht einhalten kann. Doch anstatt die Strategie grundsätzlich infrage zu stellen, fordert die „Troika“ immer neue Sparmaßnahmen.

So wie bisher geht es aber auch nicht weiter.

Es ist unstrittig, dass Griechenland seine öffentlichen Finanzen sanieren muss. Aber die Konsolidierung darf die Situation nicht zusätzlich verschlechtern. Dies gilt auch für den Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit über Lohnsenkungen zu verbessern. Dabei wird übersehen, dass sich Griechenland nicht mit Irland vergleichen lässt. Der Anteil des Außenhandels an der Wirtschaftsleistung liegt in Griechenland bei etwas mehr als 20 Prozent, in Irland sind es rund 90. In einer exportorientierten Volkswirtschaft kurbeln Lohnsenkungen den Export an und können die Lage stabilisieren. In Griechenland verschärfen Lohnsenkungen die deflationären Prozesse. Es wird immer weniger investiert und konsumiert.

Wofür plädieren Sie?

Die Bundesregierung und die Troika müssen akzeptieren, dass die Sanierung der griechischen Wirtschaft mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Man sollte die bisherigen Sparmaßnahmen erst einmal wirken lassen und sich zugleich überlegen, wie EU-Hilfen die notwendigen Wachstumsimpulse geben können. Das erfordert, dass die EU für die nächsten drei Jahre die griechischen Haushaltsdefizite finanzieren muss. Gleichzeitig sollten die Anstrengungen verstärkt werden, die Steuereffizienz zu erhöhen. Dafür könnte man ebenfalls EU-Hilfen heranziehen. Zudem sollte man überlegen, wie man die wohlhabenden Griechen noch mehr an der Finanzierung des Staates beteiligen kann. Neben einem Spitzensteuersatz von 56 Prozent, wie wir ihn in Deutschland nach der Einheit hatten, denke ich an das Modell des Lastenausgleichs, der in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde. Wer ein hohes Vermögen hatte, wurde zu einer 50-prozentigen Vermögensabgabe herangezogen, die über 30 Jahre in Raten abgezahlt werden musste. Ich sehe zwar ein, dass die Mindestlöhne gesenkt werden müssen, aber auch das sollte man zeitlich strecken.

Scheitert Griechenlands Rettung, scheitert dann der Euro?

Das Risiko ist hoch, dass eine unkontrollierte Insolvenz zum Austritt Griechenlands aus der Währungsunion führen würde und dies zu einer Kettenreaktion führen könnte. Die Märkte haben sich bereits auf Portugal als nächsten Kandidaten eingeschossen. Und wenn sich die für dieses Jahr prognostizierte Rezession in Italien und Spanien noch verschärfen sollte, könnte sich ein Flächenbrand im gesamten Euroraum entwickeln.

„Griechenland braucht einen Spitzensteuersatz von 56 Prozent“

Mitten im kriselnden Euroraum scheint Deutschland eine Insel der Glückseligen zu sein.

Kaum jemand hat bemerkt, dass der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen seit 2007 wieder deutlich gestiegen ist. Die extreme Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer, die von 2000 bis 2007 erfolgte, ist damit zum Teil kompensiert worden. Das hat die Binnennachfrage erheblich gestärkt, sie ist für rund zwei Drittel der Expansion der beiden letzten Jahre verantwortlich. In den jetzt anstehenden Lohnrunden muss diese Strategie weiterverfolgt werden – nicht zuletzt, weil die aktuellen Zahlen zeigen, dass sich die Abschwächung im Euroraum auch bei unserer Industrie bemerkbar macht. Die deutsche Wirtschaft befindet sich bereits in einer leichten Rezession.

Und dann soll Deutschland für andere Länder einstehen?

Wir müssen uns fragen, was langfristig am meisten kostet. Ein Zusammenbruch des Euroraums ist für Deutschland die teuerste Lösung. Denn das bedeutete nicht nur eine schwere Rezession, sondern auch massive Verluste unserer Banken und Versicherungen aus ihren Finanzanlagen im Euroraum.