Duell der Stromgiganten

ENERGIE RWE und Gaz de France machen Milliardenverluste. Unrentable Kraftwerke müssten vom Netz. Doch wer als Erstes abschaltet, schafft der Konkurrenz einen Vorteil

Alle Betreiber hoffen, dass jeweils die anderen zuerst die Reißleine ziehen

VON INGO ARZT
UND BERNWARD JANZING

BERLIN/FREIBURG taz | RWE geht es nicht gut. Am Dienstag wird der größte deutsche Stromversorger zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Jahresverlust verkünden. 3 Milliarden Euro soll das Minus betragen. In Frankreich sieht es nicht besser aus. Dort verbucht der Strom- und Gaskonzern GDF Suez ein Minus von 9,3 Milliarden Euro.

Dem Rest der Branche geht es kaum besser. Die Gründe für die Misere sind komplex. Derzeit herrscht ein Überangebot an Strom, weil erneuerbare Energien neben den alten fossilen Kraftwerken zugebaut werden. Das Angebot steigt also, die Nachfrage stagniert, weil die Konjunktur schwach ist. Das spiegelt sich an der Strombörse wider.

In der vergangenen Woche kostete die Megawattstunde Grundlaststrom 35 Euro – ein historischer Tiefstand. Der niedrige Preis zeigt, dass die Händler für die kommenden Jahre in Deutschland mit einem üppigen Stromangebot rechnen. Für die Kraftwerkseigner ist der Preisverfall verheerend, die fossilen Kraftwerke sind häufig nicht mehr rentabel.

EnBW-Konzernchef Frank Mastiaux sieht damit die Geschäftsmodelle der großen Versorger „fundamental infrage gestellt.“ RWE-Konzernchef Peter Terium formuliert es ähnlich: „Unser traditionelles Geschäftsmodell erodiert.“

Die Betreiber könnten die Großhandelspreise stabilisieren, müssten dafür aber Kraftwerke abschalten. „Aber keiner will der Erste sein“, sagt Tobias Federico vom Berliner Analystenhaus Energy Brainpool. Der Grund: Sobald Kraftwerke vom Netz gehen, werden die verbleibenden Anlagen profitabler. Also hoffen alle Betreiber, dass jeweils die anderen zuerst die Reißleine ziehen.

Obwohl sie am effizientesten arbeiten, sind besonders Gaskraftwerke unrentabel. Weil sie deren Werte nach unten korrigieren müssen, verbuchen Konzerne wie RWE und GDF Verluste in der Bilanz.

Gas ist in Europa im Vergleich zu Kohle zu teuer. Was zum Teil an den USA liegt, wo es sich andersherum verhält. Dort wird wegen eines Gasbooms durch das umstrittene Fracking so viel aus dem Boden geholt, dass viele Konzerne mit der Förderung Verluste machen. Der Gaspreis beträgt weniger als ein Drittel des europäischen. In der Stromerzeugung löst in den USA Gas Kohle ab, die dafür nach Europa exportiert wird – und hier Kohle billiger macht.

Langfristig ist ein Trend abzusehen: Erneuerbare Energien verdrängen fossile Kraftwerke, was zu Wertverlusten bei den Konzernen führt, die den Trend zu lange verschlafen haben. Soll zudem der Klimawandel tatsächlich in erträglichen Maßen begrenzt werden, darf nur noch ein Drittel der nachgewiesenen Reserven an Kohle, Öl und Gas verfeuert werden. Das schrieb die Internationale Energieagentur im Jahr 2012.

Allerdings stehen die Werte dieser Rohstoffe bereits in den Bilanzen diverser multinationaler Konzerne. Beschließt die Weltgemeinschaft, nicht alles Öl bis zum letzten Tropfen zu verbrennen, so sind die Verluste von RWE und GDF nur Vorboten der sogenannten Carbon Bubble. Das ist eine Finanzblase, hervorgerufen durch eine systematische Überbewertung von Energiekonzernen. Der US-Ex-Vizepräsident Al Gore sieht darin das Potenzial „für die größte Finanzblase aller Zeiten“. Ende Februar hat das EU-Parlament den EU-Systemrisiko-Rat und die EU-Kommission aufgerufen, das Problem zu untersuchen. Nur hat das kaum jemand registriert: Es war Punkt 16 eines Berichts über die langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft. Der Systemrisiko-Rat, Teil der Finanzaufsicht, teilte der taz mit: „Das Thema ist bekannt und wird überwacht. Momentan gibt es keinen Grund zu handeln.“