Koalition unterm Regenbogen

Nicht nur Diven, harte Kerle und verliebte Frauen nutzen das lesbisch-schwule Stadtfest in Schöneberg zum Schaulaufen. Auch Klaus Wowereit und Friedbert Pflüger testen dort gerne ihre Popularität

VON JOHANNES GERNERT

Friedbert Pflüger hält eine plastikverpackte BVG-Unterhose des Typs „Rohrdamm“ in der Hand. Die Sonne scheint, die Bratwürste brutzeln. Sein Wagen wartet, er muss jetzt zum RBB, der „Abendschau“ ein Interview geben. Und eigentlich ist das für Pflüger, CDU-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, offen heterosexuell, auch ganz gut so. Es gibt für ihn auf dem 15. lesbisch-schwulen Stadtfest in Schöneberg nicht allzu viel zu gewinnen – außer der Unterhose. Die haben sie ihm gerade beim Stand des Lesben- und Schwulenverbands in die Hand gedrückt, weil er Bilder des iranischen und des russischen Präsidenten und auch eines des polnischen Ministerpräsidenten mit Bällen abgeworfen hat. Der Erste lässt Homosexuelle hinrichten, der Zweite sie auf Demos niederknüppeln, und der Dritte verhängt Berufsverbote für schwule Lehrer. Das stand unter den Fotos, die Pflüger getroffen hat.

Im vergangenen Jahr war er auch schon beim Straßenfest. Damals als Bürgermeisterkandidat. Das sei weitaus schwieriger gewesen, sagt er, da sei es um jede Stimme gegangen. Mit seiner Wirkung beim schwul-lesbischen Publikum ist er heute ganz zufrieden. „So schwer habe ich es nicht, oder?“, fragt er den Vorsitzenden der Lesben und Schwulen in der Union. Der trägt ein oranges LSU-Shirt und schüttelt den Kopf. Hinter Pflügers Rücken murmeln einige: „Was macht der denn hier?“

Homosexualität gehöre zum Leben in der Stadt dazu. „Das möchte ich dokumentieren“, sagt der Fraktionsvorsitzende. Dann geht er am Schweinekamm-Holzkohlegrill vorbei zu seinem Dienstwagen. Es ist Viertel vor vier, gleich wird der Regierende Bürgermeister das Fest offiziell eröffnen. Er soll dort auch noch einen Preis verliehen bekommen. Wirklich gut, dass Pflüger jetzt zur „Abendschau“ muss.

Bekannte auf dem Sofa

Vor der Eröffnung findet auf der großen Bühne die alljährliche Promi-Talkshow statt. Auf dem satinroten „Wilden Sofa“ sitzen diesmal Sibyll Klotz, Bezirksstadträtin der Grünen, Peter Kurth, Alba-Vorstand und ehemaliger CDU-Finanzsenator, und Mechthild Rawert, SPD-Bundestagsabgeordnete. Die Moderatoren Gerhard Hoffmann und Biggy von Blond fragen abwechselnd Politisches und Privates. Herr Kurth, duschen Sie eigentlich mit der Alba-Basketballmannschaft? Frau Rawert, wie steht es ums Adoptionsrecht für Schwule und Lesben? Frau Klotz, wann kriege ich meine Perücke und mein Make-up auf Krankenschein? „Wenn der sozialpsychiatrische Dienst in Ihrem Bezirk das für medizinisch notwendig hält“, antwortet Klotz.

Hoffmann freut sich, dass Politiker auf dem Stadtfest immer seiner Meinung sind, und spürt dann auch schon Klaus Wowereit von hinten drängeln. Genau so sagt er das, die Leute lachen. „Wo ist denn der Bürgermeister?“, fragt ein kleiner Junge im Publikum seine Mutter. „Kommt gleich“, antwortet sie. Und dann zu ihrem Begleiter: „Wenn der wüsste, dass er schwul ist.“

Wowereit kommt, wowiwitzelt, nimmt den Preis für seine Verdienste um die schwul-lesbische Sache in Empfang, freut sich darüber und natürlich auch über die Tatsache, dass er auf den Tag genau sechs Jahre Bürgermeister ist. Er möchte allerdings nicht, mahnt er, dass er nur deshalb gewählt werde, weil er schwul ist. In dieser Sache ist er sich sehr einig mit Friedbert Pflüger, der vor seiner Abfahrt zum RBB exakt dasselbe gefordert hatte.

Vorbild für die CDU

Neben Wowereit steht ein kleiner, ernsthafter und sehr freundlicher Mann im rosa Hemd, der heute ebenfalls den Rainbow Award bekommt. Der Mann heißt Erling Lae und ist Bürgermeister von Oslo. „Es ist kaum denkbar, dass sich ein konservativer Politiker in Deutschland so für die Rechte der Schwulen einsetzt wie du“, sagt Hoffmann in seiner Laudatio. Die CDU könne sich da ruhig mal ein Beispiel nehmen.

Am CDU-Straßenfeststand verteilt Jan Kayser orange „Ich bin wie ich bin“-Aufkleber. Er trägt kurze weiße Shorts, ein weißes Polo-Shirt mit roten Streifen, er hat blondierte Haare und sieht aus wie ein Tennisspieler aus den Siebzigern. Kayser war bis vor kurzem LSU-Vorsitzender. Er sagt: „Der Laden läuft ganz hervorragend.“ Was Politikerbesuche anbelange, sei man „voll ausgestattet“. Pflüger sei da gewesen und dessen Vorgänger Nicolas Zimmer. Beim Wunschpartner FDP nebenan und bei der Linkspartei gegenüber sieht es parteitagsbedingt mit der Politikerausstattung nicht ganz so gut aus. Bei den Grünen steht Renate Künast.

Kayser hat etliche fröhliche LSU-Kollegen am Stand, die Aufkleber und Windrädchen anbieten. Viele Straßenfestbesucher lassen sich von den CDU-Leuten bekleben. Vor ein paar Jahren noch hätten sie deutlich mehr Ablehnung erfahren, erinnert sich Kayser. In Berlin erkennt die CDU die LSU formal an. Das tut sie in keinem anderen Bundesland. Aber der Straßenfeststar ist der Autogrammkarten verteilende Wowereit, Bussi hier, Foto da. Frustrierend? Nein, nein, sagt Kayser. Ein bisschen sei er ja selbst Wowi-Fan, „weil er mit seiner Äußerung am Beginn seiner Dienstzeit einen wichtigen Beitrag geleistet hat“. Wobei: „Allgemeinpolitisch ist er heftig zu kritisieren.“

In etwa diesem Moment nähert sich händeschüttelnd der Regierende Bürgermeister. „Ach, du schon wieder“, sagt er zu Kayser. Der lacht und klebt Wowereit einen Sticker aufs Hemd. Die beiden kennen sich. „Man kann sich ja privat ganz nett finden“, sagt Kayser. Der Bürgermeister zieht weiter zum Linkspartei-Stand, wo er den CDU-Aufkleber an einem Tisch befestigt.

Anschließend schiebt er sich mit seinem Lebensgefährten, dem Bürgermeister von Oslo und einem schwulen neuseeländischen Minister, der vorhin noch Knut-Gucken war, durch die Menge, vorbei an brasilianischen Barboys mit braun glänzenden Oberkörpern, an bärtigen Lackledertypen und kurzhaarigen Lesbenpärchen. Der Minister heißt Chris Carter. Also sagt Wowereit sehr oft: „This is Chris Carter“ Und: „This is the Mayor of Oslo.“ Er sagt das auch, als sie am Stand des LSVD ankommen, wo Pflüger vor zwei Stunden noch schwulenfeindliche Staatsoberhäupter abgeworfen hat. Wowereit soll das auch tun, aber, nee, nee: „Keine diplomatischen Verwicklungen.“ Er lässt den Bürgermeister von Oslo werfen. Und verzichtet damit auf eine BVG-Unterhose, diesmal Typ „Krumme Lanke“.