Christian Buss Der Wochenendkrimi
: Genosse der Bosse

Sie nennen ihn den Gewerkschafts-Obama. Doch „Yes, we can“, das heißt bei Leo Greedinger (Thomas Sarbacher), diesem Funktionär ganz neuen Zuschnitts, auch: „Wir können nur mit der Industrie gemeinsam siegen.“ Der Mann versteht es, bei Verhandlungen mit Vorständen die Sprache des Feindes zu sprechen. Greedingers Selbstverständnis läuft also zuweilen den Vorstellungen alter Proletarier von ihren Interessenvertretern zuwider. Dass er nun mit dem Mord an einem schwulen Journalisten in Zusammenhang gebracht wird, könnte ihn straucheln lassen: „Eine Schwuchtel, das macht die Basis nicht mit.“

Ob der Hauptverdächtige nun tatsächlich schwul oder bisexuell ist, spielt allerdings keine Rolle. Im Mittelpunkt steht zwar eine Videoaufzeichnung, die ihn im Bett des ermordeten Journalisten zeigt, doch wird diese von den „Tatort“-Machern (Drehbuch: Christian Jeltsch, Regie: Peter Fratzscher) nicht spekulativ ausgeweidet. Statt Greedingers sexuelle Orientierung in den Vordergrund zu rücken, wird das Video dazu genutzt, sein riskantes Kalkül aufzuzeigen: Täuschung oder Selbsttäuschung? Machtmissbrauch oder Diplomatie für die gute Sache? Dieser Krimi besitzt eine angenehme Art von Doppelbödigkeit.

Die Münchner Kommissare haben jedenfalls eine geteilte Meinung zu ihrem Hauptverdächtigen. Während Leitmayr (Udo Wachtveitl) auf kritische Distanz geht, wird Batic (Miroslav Nemec) persönlich in den Fall hineingezogen. Greedingers Familie stand dem kroatischstämmigen Ermittler einst während seiner frühen Jahre in München zur Seite. Auch Greedinger senior, ebenfalls Gewerkschafter, kennt Batic deshalb gut. Früher demonstrierte der Alte mit dem Kleinen Seit’ an Seit’ mit „Samstag gehört Vati mir“-Plakaten. Heute hat Vati nur noch Verachtung für den Aufsteiger übrig: ein grausames Bild für die Zerrissenheit der Gewerkschaften. Ein Obama ist ja in Wirklichkeit nicht in Sicht.

München-„Tatort“: „Um jeden Preis“, So., 20.15 Uhr, ARD