Der Kolonialist des Kurfürsten

NAMENSTREIT Das Kreuzberger Gröbenufer soll in May-Ayim-Ufer umbenannt werden. Doch Historiker gehen auf die Barrikaden: Friedrich von der Groeben sei kein Kolonialist gewesen

Groeben brach als seefahrender Abenteurer Ende des 17. Jahrhunderts nach Guinea auf und gründete ein Fort

VON PHILIPP GOLL

Die Berliner Möhrenstraße ist ein beliebter Ort für Touristen. Dort befindet sich der Gendarmenmarkt. Möhrenstraße? Möhrenstraße heißt die Mohrenstraße nur dann, wenn Aktivisten zwei Ö-Striche über das O setzen, um auf den rassistischen Hintergrund des Straßennamens aufmerksam zu machen.

Weniger guerillamäßig ging Elvira Pichler, kulturpolitische Sprecherin der Grünen in Friedrichshain/Kreuzberg, gegen einen Straßennamen mit Kolonialismushintergrund vor: Sie stellte in der Bezirksverordnetenversammlung einen Antrag. Auf Initiative des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER), einem Dachverband, in dem sich 70 entwicklungspolitische NGOs zusammengeschlossen haben, beantragte sie eine Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer. Ende Februar sollen nun die Schilder ausgetauscht werden.

Wer aber steht hinter den Namen, die gegeneinander ausgetauscht werden sollen? Otto Friedrich von der Groeben (1656–1728) gilt als Pionier des deutschen Kolonialismus, der 1683 im Auftrag des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm das Fort Großfriedrichsburg in der ersten deutschen Kolonie (damals noch als brandenburgisch-preußische bezeichnet) im heutigen Ghana gründete. Das Fort entwickelte sich später zu einem wichtigen Umschlagplatz für den transatlantischen Sklavenhandel. May Ayim (1960–1996), afrodeutsche Dichterin und Aktivistin in der Frauenbewegung, gilt ihrerseits als Pionierin der kritischen Weißheitsforschung. Sie machte immer wieder auf die deutsche koloniale Vergangenheit aufmerksam. Während Ayims Pionierstatus außer Frage steht, streiten sich Historiker über Groebens Biografie. Im Neuen Deutschland sprach etwa der Kolonialismusforscher Ulrich van der Heyden im Mai 2009 von einem „gröblichen Rufmord“. Schließlich sei Groeben, der als seefahrender Abenteurer Ende des 17. Jahrhunderts nach Guinea aufbrach, erst post mortem zu einem Kolonialisten gemacht worden; in einer Zeit, als im Deutschen Kaiserreich der Ruf nach einem „Platz an der Sonne“ immer lauter wurde und Wilhelm II. 1895 im Zuge der Gewerbe- und Kolonialausstellung im Treptower Park das Gröbenufer benannte. Die Umbenennung träfe den Falschen, folgert van der Heyden. Lieber solle man den Auftraggeber Groebens, den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, aus dem Namensgedächtnis der Berliner Straßen tilgen, argumentierte van der Heyden.

Also weg mit dem Kurfürstendamm? In der Tat gibt es eine lange Liste mit Straßennamen in Berlin, die Kolonialismusbezug aufweisen: Mohrenstraße, Wissmannstraße (Hermann von Wissmann, 1853–1905, Gouverneur von Ostafrika), Petersallee (Carl Peters, 1856–1918, bekannt als brutaler Kolonialist, der sich in Afrika den Spitznamen „Blutige Hand“ erarbeitete) oder das Afrikanische Viertel im Wedding, um nur ein paar zu nennen.

Im Gespräch mit der taz sagte Elvira Pichler, dass die Umbenennung des Gröbenufers nur ein Anfang ist, weitere Umbenennungen sollen folgen. Und eigentlich stimme van der Heyden zu, dass Umbenennungen nötig seien. „Nur in der Bewertung der Vergangenheit stimmen wir nicht überein“, sagt Pichler. Für Pichler ist es eine symptomatische Diskussion, in der es eigentlich um verschiedene Historikerperspektiven geht und in der vor allem „Platzhirschverhalten“ an den Tag gelegt werde. „Postcolonial Studies“, „Graswurzelinitiative“, „zivilgesellschaftliches Engagement“ – das sind die Begriffe, die in Pichlers Beschreibungen häufig auftauchen. Etablierte Historiker hätten Probleme mit einer Umbenennung, die „von unten“ angestrengt wurde. „Wir wollen Geschichte sichtbar machen und eine Informationstafel aufstellen. Auf ihr wird zu lesen sein, wie das Ufer vorher hieß und warum es umbenannt wurde“.

Was Pichler „Sichtbarmachen“ von Geschichte nennt, ist für den Historiker Götz Aly nicht weniger als „Tilgung“ derselben, wie er in der Berliner Zeitung vom Montag in einer Polemik schrieb. Auch Aly hält Groeben nicht für einen Kolonialisten, erst recht nicht für einen Sklavenhändler – die Kolonie Groß Friedrichsburg sei nur ein „Koloniechen“ gewesen. Außerdem dokumentierten die Straßennamen einer Stadt „Denkweisen, Erfahrungshorizonte, Irrtümer“. Grund der Aufregung ist für Aly die Initiative der „Altstalinisten“ vor allem, weil sie Geschichte als einen „Selbstbedienungsladen“ begreife und Straßennamen „wegbenenne“. Das habe Berlin im 20. Jahrhundert schon zweimal erlebt.

Elvira Pichler versteht bereits Straßenbenennungen als politische Akte, in denen sich eben auch kolonialistische Denkweisen dokumentierten. Es gehe aber nicht um Tilgung, sondern um Aufklärung. „Mit der Umbenennung wollen wir diesen politischen Akt dekonstruieren, sodass sich eine Debatte daran entzünden kann.“ Vielleicht klappt es ja dann auch mit der Umbenennung des Kurfürstendamms, oder der Mohr wird ganz offiziell zur Möhre gemacht.