wir lassen lesen
: Kleine Geschichten von vier Schanzen

Hammer, Zirkel und ein Floh

Skispringer als fliegende Wiener Würstchen zu bezeichnen, würden wir uns nie erlauben, auch wenn Georg Hackl, der rasende Rodler, zur Begründung, warum er die Vierschanzentournee gut findet, sagt: . . . weil die alle so schön schlanke Figuren haben.“ Da halten wir es doch lieber mit der Festschrift zum zehnjährigen Jubiläum der Veranstaltung, in der es 1963, zur Zeit der Kuba-Krise, etwa über den Russen Koba Zakadse zeitgemäß hieß, dass sein Absprung „der Abfeuerung einer Rakete“ glich und er selbst „einem Habicht, der sich auf sein Opfer stürzte“.

Sowohl das Hackl-Statement als auch die Würdigung des jungen Sowjetspringers, der die Tournee im übrigen nie gewann, finden sich in „Fliegen und Siegen“, dem offiziellen Buch zur 50. Internationalen Vierschanzentournee. In chronologischer Form werden die markanten Ereignisse jedes Jahres dargestellt, vom noch etwas holprigen, von internationalen Verwicklungen gekennzeichneten Auftakt 1953, als sich der Österreicher Sepp Bradl als Erster in die Siegerliste eintrug, bis zur hochtechnisierten, medialen Supershow des Jahres 2000, die den habichtmäßigen Höhenflug des Adam Malysz brachte.

Dazwischen lag ein überaus ereignisreiches halbes Jahrhundert, in dem die Veranstalter mit den Unbilden der Natur ebenso zu kämpfen hatten wie mit politischen Verwicklungen, welche vor allem die DDR-Springer immer wieder vorzeitig abstürzen ließen. So holte sich der zu seiner besten Zeit der Konkurrenz haushoch überlegene Olympiasieger von 1960, Helmut Recknagel, zwar dreimal den Gesamtsieg, doch drei mögliche weitere Triumphe des später zum „Skispringer des 20. Jahrhunderts“ gewählten Flugkünstlers mit den tatendurstig nach vorn gestreckten Armen wurden durch erzwungene Untätigkeit verhindert. 1959 boykottierte der Ostblock die Springen, weil die DDR-Flagge nicht wehen durfte, 1961, kurz nach dem Mauerbau, fehlten die DDR-Springer in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen. Ein Jahr später kam es zur kuriosesten Abstinenz des Recknagel-Teams, als ein Oberstdorfer Ortspolizist auf dem Anzug eines ostdeutschen Springers das im Westen verbotene Hammer-und-Zirkel-Emblem gesichtet hatte und den DDR-Athleten daraufhin das Startverbot erteilt wurde.

„Fliegen und Siegen“ liefert jedoch nicht nur die politische Geschichte der Vierschanzentournee sowie Find-ich-gut-Prominentensprüche (Stabhochspringer Danny Ecker: „ . . . weil die Jungs besser runterkommen als ich rauf.“), sondern ist gespickt mit Anekdoten und vor allem Namen, einer klangvoller als der andere: Toralf Engan, der elegante Norweger; sein kraftstrotzender Landsmann Björn Wirkola, der wie Recknagel dreimal siegte und nebenbei Spitzenfußball bei Rosenborg Trondheim spielte; Yukio Kasaya, der 1972 nahe daran war, nicht nur die Tournee, sondern als erster und einziger Athlet alle vier Springen zu gewinnen, aber nach drei Siegen auf Geheiß seines Verbandes heim fuhr, um sich auf Olympia in der Heimat Sapporo vorzubereiten; der unvergleichliche Toni Innauer, der die Tournee komischerweise nie gewann, nicht einmal, als er 1975/76 in Oberstdorf, Garmisch und Bischofshofen siegte und dennoch an Jochen Danneberg aus der DDR scheiterte. Matti Nykänen, der sauflustige Finne, Andreas Goldberger, das schnupfende Milchgesicht, und natürlich der piepsende Floh vom Fichtelberg, Jens Weißflog, als einziger viermal auf dem obersten Treppchen angekommen.

Neben der Geschichte der einzelnen Tourneen gibt es Portraits aller Sieger von Ahonen bis Yliantilla, Beiträge von Zeitzeugen wie Innauer, Weißflog oder Georg Thoma, Beschreibungen der Austragungsorte und der Schanzen. Dazu natürlich Unmengen an Statistik vom kürzesten Sprung (der Ungar Laszlo Csavas 1963 in Bischofshofen mit 39,5 Metern) bis zum Rekordteilnehmer (Ewald Roscher, 29 Mal als Aktiver und als Trainer). Kurzum, ein faktenreiches und spannendes Buch, das die Entwicklung der Vierschanzentournee von ihrem Ursprung bis zu dem nachzeichnet, was Toni Innauer in unnachahmlicher Manier so definiert: „Zu einem hoch dotierten, hochmodernen Sport-Event der Extraklasse, das unserer Sportart, den Verbänden, und Sportlern in konstruktivem Miteinander neue Dimensionen eröffnet hat.“

MATTI LIESKE

Kauer, Stolze, Taglauer: Fliegen & Siegen. 50 Jahre Internationale Vierschanzentournee; Verlag wero press, 224 Seiten, € 17,90