Fußball in der Kriegsgefangenschaft: „Traut the Kraut“ und Steve Bloomer, der „Löwe hinter Gittern“
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Obwohl sich die Sportpublizistik seit etwa zehn Jahren verstärkt mit der Historie des Balltretens in Deutschland auseinander setzt, ist über das Thema „Fußball in der Kriegsgefangenschaft“ bislang wenig bekannt. Vielleicht liegt es an der schlechten Quellenlage, dass bei dem Thema immer nur von „Traut the Kraut“ geredet wird: Der Bremer Bernd Trautmann, der nach seiner Internierung in England als Torwart für Manchester City spielte, dort 1956 im Wembleystadion trotz gebrochenen Halswirbels den englischen Pokal und das Herz des ehemals so „perfiden Albions“ gewann.

Doch bereits im Ersten Weltkrieg gab es eine Alliance zwischen Stacheldraht und Lederball. So geriet der legendäre englische Nationalspieler Steve Bloomer (1874–1938) von Derby County bei Kriegsausbruch 1914 in Berlin in Gefangenschaft. Bloomer war einige Wochen zuvor in die Reichshauptstadt gereist, um bei Britannia Berlin als Trainer anzufangen. Doch als sich Empire und Kaiserreich im August 1914 im Kriegszustand befanden und sich der Fußballverein plötzlich treudeutsch in „Berliner SV 1892“ umbenannte, steckte man Coach Bloomer in Berlin-Ruhleben in ein Internierungslager. Dort baute der Stürmer, dessen 292 Ligatore übrigens noch heute den Vereinsrekord für Derby-County darstellen, eine „Barackenmannschaft“ auf und organisierte Lagermeisterschaften. Im reifen Alter von 43 Jahren führte er seine Barackenelf als Spielführer 1917 zur Meisterschaft. Als der Kaiser – Wilhelm zwo, nicht Franz Beckenbauer – schließlich ins niederländische Exil musste, folgte ihm später auch Bloomer ins Nachbarland, um dort Sparta Rotterdam zu trainieren.

Die Geschichte von Steve Bloomer war keine länderspezifische Besonderheit. Auch deutsche Soldaten erleichterten sich in Kriegsgefangenenlagern auf der ganzen Welt mit dem runden Leder den tristen Alltag, vom großen Camp Handforth im Mutterland des modernen Sports bis zu den abgelegenen Lagern in den ehemaligen deutschen Schutzgebieten im Pazifik.

Während zum Lagerfußball des „Großen Krieges“ nur wenige Dokumente erhalten geblieben sind, ist die Quellenlage bei der zweiten zivilisatorischen Katastrophe besser. Belegt sind organisierte Fußballmeisterschaften in den Lagern der Westmächte, während in der Sowjetunion durch die schwierige Ernährungssituation sportliche Aktivitäten der Gefangenen die Ausnahme bildeten.

So vertrieb sich ein nicht geringer Anteil der acht Millionen deutschen Kriegsgefangenen die Zeit gegen „die Stacheldrahtkrankheit“, wie man den Lagerkoller im Militärjargon nannte, mit Fußball. Manchmal kamen sogar kleine Ländervergleiche zustande wie in Ägypten. Als sich die Welt noch im Kriegszustand befand, spielten dort 1943–44 zunächst Italiener und Deutsche in der Wüste miteinander. Später traten sogar die ehemaligen Feindmächte gegeneinander an. RALF KLEE