Debatte Steinmeier und Müntefering: Die Meister der Phrase

Steinmeier und Müntefering sind nicht die Retter der SPD - sondern das Krisensymptom ihrer Partei. In Zeiten des Abschwungs verkünden sie eine vage Aufschwungsrhetorik

Frank-Walter Steinmeier ist ein Meister der Phrase. Den "Blick nach vorn" will er richten, wenn er gefragt wird, wie er die SPD zu führen gedenkt. Oder er kündigt für die Zukunft an, "Antworten für die Zukunft" zu suchen. Fehlt nur, dass er dem Wahlvolk erklärt, dass die Zukunft die Zukunft sei. Das wäre die knappste Form dieses Dadaismus.

Steinmeier ist durchaus kreativ, wenn es gilt, den eigenen Unsinn zu variieren. Wird er nach Plänen gefragt, verspricht er "Konzepte und Ideen". Soll er seine Politik erläutern, will er "Entscheidungen treffen". Und Kanzler möchte er übrigens werden, weil er sich das "zutraut". So werden Synonyme zum Inhalt und Tautologien zum Prinzip.

Damit ist Steinmeier der perfekte Kanzlerkandidat für die SPD. Der Außenminister ist nicht der Retter der Sozialdemokraten, sondern das passende Symptom für ihre Krise. Er verkörpert eine maximale Unbestimmtheit, die auch den Rest der Partei befallen hat.

Diese programmatische Programmlosigkeit zeigt sich besonders deutlich bei Franz Müntefering, der als Inkarnation des Sozi-Kumpels gilt und kürzlich eine erstaunlich schlichte Rede gehalten hat. Es geschah am 3. September, im Hofbräuhaus zu München, und Müntefering war dort angetreten, um sich als oberster Wahlkämpfer der SPD zurückzumelden. Damals wusste noch niemand, dass er nur fünf Tage später zum neuen Parteivorsitzenden nominiert würde - aber schon damals war unüberhörbar, dass Müntefering mit dieser Rede die Deutungshoheit in der SPD beanspruchen wollte.

Die bayerischen Sozialdemokraten haben gejubelt. Aber es zeugt von der inhaltlichen Dürftigkeit dieser Rede, dass die Nachrichtenagenturen vor allem den Satz transportierten, Politik brauche "heißes Herz und klare Kante". Das war immerhin noch origineller als die Aussage, man müsse den Menschen deutlich machen, "wohin denn die Reise eigentlich gehen soll". Was bei Steinmeier die Tautologie ist, das ist bei Müntefering die Metapher.

Doch die eigentliche Frage blieb unbeantwortet: Wer beim Reiseunternehmen Müntefering bucht, der tourt mit "Destination unbekannt". Befremdlich wurde es zum Beispiel, als Müntefering in München ernsthaft damit warb, dass es im Jahre 1949 eine Sozialdemokratin war, die durchsetzte, dass im Grundgesetz festgeschrieben wird, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Eine historische Tat, gewiss, aber eben historisch.

Müntefering sandte damit ungewollt - und doch sehr passend - die Botschaft aus, dass die SPD nur in der Vergangenheit ein eigenständiges Programm zu bieten hatte. In der Gegenwart hingegen fehlen die Projekte, die die Wähler von der Unentbehrlichkeit der Sozialdemokraten überzeugen könnten. Es ist geradezu undenkbar, dass die SPD 2009 noch einmal jene knapp 35 Prozent einfährt, die sie bei der Wahl 2005 verbuchen konnte.

Denn das Original sind inzwischen die anderen Parteien, während die SPD meist nur noch die Copy-&-Paste-Tasten drückt. So fällt etwa bei Müntefering auf, wie dringend er die Grünen beerben will. In München warb er für Solarenergie, verwarf die Kernkraft und forderte Toleranz gegenüber Homosexuellen. Das ist alles ehrenwert. Nur weiß jeder, der jetzt älter als 22 ist, dass die Sozialdemokraten wenig getan haben, um diese Projekte während der rot-grünen Regierungszeit aktiv zu fördern. Wer umweltbewegt ist, dürfte also den Grünen treu bleiben.

Wenig originell ist auch Münteferings Versuch, die SPD mit Bildungs- und Familienthemen zu profilieren - hat doch die CDU diese Klientel längst umworben. Mit Entlastungen der "Mitte" ist ebenfalls niemand mehr zu locken, denn ein erhöhter Kinderfreibetrag oder die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge sind bereits tief verankert im Unionsprogramm.

Bleibt als zentrales Wahlkampfthema der Mindestlohn, den inzwischen selbst Steinmeier adoptiert hat und pflichtschuldigst in seinen Interviews nennt. Nur ist eben auch bekannt, dass er zu den Erfindern von Hartz IV gehört. Das ist mehr als eine Personalie und steht für eine unfreiwillige Pointe. Mit der Agenda 2010 wurde erst gezielt der Niedriglohnsektor ausgeweitet - und nun sollen Lohnuntergrenzen als nachgeschalteter Reparaturbetrieb dienen. Am Mindestlohn ist nur originär sozialdemokratisch, dass die SPD ihn nötig gemacht hat.

Die sozial Empörten dürften sich daher weiterhin an die Linkspartei halten - zumal die Agenda 2010 bei Müntefering geradezu sakrale Weihen erhält. Sie darf nur "fortentwickelt", aber keinesfalls korrigiert werden. Dieser Kurs ist für die SPD gefährlich, denn die Agenda 2010 lässt sich nur überhöhen, wenn man den Aufschwung als Dauerereignis bemüht. Die Legende von Müntefering geht so: Erst kam die Agenda 2010 und, siehe, rund zwei Millionen Arbeitsplätze entstanden. Das hat mit der Realität natürlich nur sehr wenig zu tun. Das Statistische Bundesamt gab gerade erst am Dienstag bekannt, dass sich vor allem die prekären Jobs vermehrt haben.

Noch schlimmer dürfte es Steinmeier und Müntefering jedoch treffen, dass sie ihre Aufschwungsrhetorik ausgerechnet zum Beginn eines Abschwungs starten. Es ist zu erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen bald wieder steigen - und dann wird es niemanden interessieren, ob Hartz IV angeblich irgendwann einmal für Stellen gesorgt hat. Stattdessen werden die Zukunftsängste zunehmen. Sie plagen längst nicht nur die Geringqualifizierten, die von der SPD sowieso ignoriert werden. Es trifft auch jene Aufsteiger, die Steinmeier und Müntefering als ihre Idealwähler ansteuern. Ihnen haben die Sozialdemokraten jedoch nichts zu offerieren, was nicht auch die Union im Angebot hätte.

Und so bleibt als Eindruck zurück, dass es den Sozialdemokraten durchaus reicht, auch nach 2009 als Juniorpartner in einer großen Koalition zu verweilen. Zumindest Steinmeier könnte bestens damit leben, statt als Kanzler wieder als Außenminister zu amtieren. Das dürfte sowieso die Rolle sein, die ihm am meisten entspricht.

Eine Hürde ist allerdings noch zu nehmen: Die SPD muss sich für die CDU unentbehrlich machen - und also verhindern, dass sich Angela Merkel mit der FDP zusammentun kann. Das ist ein bescheidenes Ziel. Und trotzdem ehrgeizig für die einfallslose Agenda-SPD, die Steinmeier und Müntefering repräsentieren.

Bisher versuchen die beiden SPD-Granden ihre Ratlosigkeit durch eine Rhetorik des Militärischen oder der Macht zu überspielen. So deutet Steinmeier nur zu gern an, dass er als ehemaliger Koordinator für Schröder "das Kanzleramt von innen" kenne. In der Öffentlichkeit ist aus dieser Zeit nur bekannt, dass er den gebürtigen Bremer Murat Kurnaz der US-Folter überlassen hat. Müntefering wiederum warf sich in München in die Pose eines Generals. Es dürfe nur führen, wer auch bereit sei, "die Fahne zu tragen". Das hat auch schon Napoleon vor Waterloo gedacht.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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