Gen-Raps im Anflug

Der Großteil von 8.000 Kilogramm genmanipuliertem Rapssamen ist in Norddeutschland verkauft und gesät worden. Der Samen ist extrem leicht und gilt als besonders schwer kontrollierbar. Genkritsche Bauern haben Angst um ihre Felder

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat die Verantwortlichen wegen der genmanipulierten Raps-Samen attackiert. „In den 90er Jahren hat die Gentechnik-Industrie gesagt, dass sie gentechnisch manipulierte Pflanzen kontrollieren kann“, sagte Sprecherin Ulrike Brendel. Nun zeige sich, dass einmal ausgebrachte Pflanzen nicht zu stoppen und Verunreinigungen und Vermischungen nicht auszuschließen seien. „Die Leidtragenden sind die Bauern“, sagte Brendel. Schäden durch Saatgut-Kosten und Mehrarbeit müssten vom Hersteller und von der Gentechnik-Industrie übernommen werden.  DPA

VON KAI SCHÖNEBERG

„Das ist eine ganz heikle Geschichte“, schwant Helmut Ernst. Die Nachricht, dass der Großteil der rund 8.000 Kilogramm gentechnisch verändertem Rapssamen in Norddeutschland verkauft – und wohl auch schon gesät ist –, alarmiert Bauer Ernst, der sich in der Nähe von Güstrow mit anderen Landwirten zu einer „gentechnikfreien Zone“ zusammengeschlossen hat. „Wenn Spuren davon in meinem Ökoweizen auftauchen, ist der nicht mehr vermarktungsfähig“, sagt Ernst. Am Freitagmorgen hatte er in der Zeitung lesen müssen, dass ein Saatgut-Züchter aus dem westfälischen Lippstadt gentechnisch veränderte Rapssamen in fünf Bundesländer geliefert hatte, das Meiste davon nach Norddeutschland.

Fast ein Drittel des Gen-Samens landete in Mecklenburg-Vorpommern, ein Viertel, etwa 2.000 Kilogramm, in Niedersachsen. Hier könnte er bereits auf einer Fläche von 550 Hektar Land ausgesät worden sein. Auch in Schleswig-Holstein könnten 300 Hektar Acker betroffen sein. Die Verunreinigung der Lieferungen war durch eine Routine-Kontrolle des nordrhein-westfälischen Agrarministeriums entdeckt worden. Der Name der infizierten Sorte ist „Taurus“. Zur Zeit versuchen die Behörden fieberhaft, den Weg des Raps-Samens zu den Landwirten zu verfolgen. Das wird nicht einfach: Allein in Niedersachsen haben Händler in Lüneburg, Cuxhaven, Hildesheim, Hannover, Salzgitter und Göttingen die genmanipulierten Samenpäckchen in zehn Kilo-Paketen verkauft.

Gen-Raps ist in der EU nicht zugelassen. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist dagegen, weil die Verbreitung von Raps besonders schwer zu kontrollieren ist. Die gelb blühende Pflanze wird als Viehfutter und Grundstoff für Pflanzenöle oder Schokoriegel verwendet, ihr schwarzer Samen ist extrem leicht und nur zwei Millimeter lang. Deshalb verbreitet er sich besonders gut: Laut Studien aus den USA fliegen genmanipulierte Raps-Pollen bis zu 26 Kilometer weit. Zum Vergleich: Die Novelle des Bundes-Gentechnikgesetzes sieht für genmanipulierte Reisfelder einen Mindestabstand von nur 150 Metern zu konventionell, 300 Metern zu biologisch bewirtschafteten Feldern vor. Ursache der Gen-Verunreinigung beim aktuellen Fall: Offenbar handelt es sich dabei um die Folgen genehmigter Freisetzungsversuche von Ende der 90er Jahre.

„Das ist der worst case“, sagt Annemarie Volling von der gentechnik-kritischen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). „Wir sehen die Gefahr systematischer Verunreinigung der Raps-Saat in ganz Deutschland“, sagt Volling. Sie koordiniert bei der AbL 167 Regionen in Deutschland, in denen sich Bauern zur „gentechnikfreien Zone“ zusammengeschlossen haben. Zwar hätten alle betroffenen Bundesländer angeordnet, den Raps in den gen-verseuchten Flächen sofort unterzupflügen. „Wenn der Gen-Samen aber nicht entdeckt wird, besteht die Gefahr, dass allein eine Pflanze 500 neue Samen auskeimt“, sagt Volling. Der Samen behalte zudem seine Keimfähigkeit im Boden bis zu 15 Jahre lang. Sollte nicht entdeckter Gen-Raps blühen, sind so genannte Auskreuzungen mit dem Ackersenf, einem Unkraut, und vielen Kohlpflanzen möglich. Auch der Honig könnte verunreinigt werden.

Welche Folgen der Anbau von genmanipuliertem Raps haben kann, ist in Kanada zu besichtigen. Dort ist Gen-Raps seit 1996 erlaubt: „In Kanada ist der Anbau von Öko-Raps unmöglich, kein deutscher Honig-Importeur kauft in Kanada“, sagt Volling. Gleichzeitig forderte sie eine Verstärkung staatlicher Kontrollen und das Ende von Tests mit genmanipuliertem Raps auf einem Acker bei Rostock, dem einzigen in Deutschland.

Nur drei von 10.000 Samen seien verunreinigt, versuchte das für die Kontrollen in Niedersachsen zuständige Umweltministerium am Freitag zu beruhigen. Die Samen seien nicht gesundheitsschädlich. „Wahrscheinlich wäre der Raps in den USA zugelassen worden“, sagte eine Sprecherin.

Landwirt Ernst kümmert das wenig. Seine Gruppe genkritischer Bauern hat sich gegründet, damit sich eine möglichst große gentechnikfreie Pufferfläche um ihre Felder bildet: Rund 15 Bauern mit über 2.000 Hektar Ackerfläche. Diese „Form des Selbstschutzes“ sieht Ernst nun erneut gefährdet: „Raps bekommen wir einfach nicht beherrscht.“

wirtschaft & umwelt SEITE 15