Ökonomin über Finanzkrise: "Die G 20 ist illegitim"

Auf dem Gipfel in London werden zehn Schwellenländer teilnehmen. Aber die Erweiterung genügt der indischen Ökonomin Jayati Ghosh nicht. Sie fordert einen "Marshallplan für den Süden".

Proteste gegen G 20 in Jakarta. Man dürfe das Gros der 192 Staaten nicht ausschließen, sagt Ökonomin Ghosh. Bild: dpa

taz: Frau Ghosh, bedeutet der G-20-Gipfel in London das Ende der Dominanz der G-7-Staaten?

Jayati Ghosh: Mit diesem Gipfel erkennen die G-7-Staaten, wenn auch verspätet, an, dass sie nicht mehr alles allein bestimmen können. Wir sind in einer sehr ungewöhnlichen Situation der Weltgeschichte: Denn die dominanten Staaten sind alle reiche Schuldnerstaaten, während viele Entwicklungsländer, darunter einige der ärmsten, Gläubigerstaaten sind.

Ist das der Beginn einer neuen Weltwirtschaftsordnung?

Das wird viel länger dauern, denn neue Ordnungen entstehen nicht über Nacht. Ansonsten halte ich die G 20 für so illegitim wie die G 7 oder G 8. Einfach ein paar mehr Staaten an den hohen Tisch zu laden, macht das System nicht demokratisch.

Welche Ergebnisse erwarten Sie von dem Gipfel?

Ich erwarte nicht viel. Denn ich sehe keine ernsthafte Vorbereitung für einen wirklichen Wandel. Der Konferenz von Bretton Woods 1944 gingen fünf Jahre intensiven Dialogs zwischen Ökonomen in Großbritannien und den USA voraus. Jetzt hingegen ist kein Versuch der Koordination zu erkennen oder gemeinsam über eine neue Politik nachzudenken.

Was vermissen Sie konkret?

Am offensichtlichsten fehlt eine koordiniertes fiskalisches Konjunkturprogramm. Die Europäer können sich ja nicht einmal untereinander einigen. So gibt es nur nationale Programme, die wichtigsten davon in den USA und China.

Die Amerikaner sagen, die Europäer müssen ihre Konjunkturprogramme verstärken. Und die Europäer sagen, ihre Sozialsysteme seien konjunkturfördernd und es bedürfe einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte. Wer hat recht?

Beide. Es bedarf stärkerer Regulierung wie stärkerer Konjunkturprogramme. Die Europäer stürzen mit ihren Sozialprogrammen auch die Konjunktur, aber die Anstrengungen reichen nicht, um Arbeitslosigkeit in großem Maß zu verhindern. Deshalb müssen die Ausgaben weiter erhöht werden, das ist auch in Deutschland und Frankreich unvermeidlich. Was die Europäer bisher gemacht haben, reicht bei weitem nicht aus.

Gibt es zwischen den Schwellenländern Widersprüche und unterschiedliche Interessen?

Ja sicher, auch haben sie unterschiedliche Entwicklungsniveaus, Pro-Kopf-Einkommen etc. Es gibt viele Unterschiede, aber das heißt ja nicht, dass die Staaten global irrelevant sind. Bei den Industriestaaten hat es ja auch immer Unterschiede zwischen Europa, den USA und Japan wie auch innerhalb Europas gegeben.

Wenn Sie die G 20 für ähnlich problematisch halten wie die

G 7 oder G 8, was wäre dann die Alternative?

Fragen weltweiter Finanzarchitektur und globaler Finanzmarktregulierungen müssen natürlich im Rahmen der UNO diskutiert werden. Man kann doch nicht das Gros der 192 Staaten ausschließen und so tun, als ob es sie nicht gäbe. Das ist unfair und unsensibel. Wir sind viel stärker von einander abhängig, als wir es uns vorstellen. Es funktioniert schlicht nicht, zu sagen, weil ich mehr Geld und eine größere Wirtschaft habe, entscheide ich.

Es ist offensichtlich, dass China ein größeres Mitspracherecht beim Internationalen Währungsfonds haben will. Wäre das hilfreich?

Bis zu einem gewissen Grad: ja. Wichtiger als größere Mitspracherechte für einzelne Länder ist eine neue Einstellung innerhalb des Internationalen Währungsfonds.

Zum Beispiel?

Mit der mechanisch-monetaristischen Politik des IWF gab es ja schon immer Probleme, aber schockierend war ja jetzt, die Doppelstandards festzustellen. Europa und die USA dürfen plötzlich eine antizyklische Konjunkturpolitik machen, aber Entwicklungsländer sollten das nicht machen.

Welche Rolle sollte China denn künftig im IWF einnehmen?

Ich würde gern einen Marshallplan des Südens sehen, bin aber nicht sicher, ob China das initiieren wird. Der ist wegen der hohen Währungsreserven und hohen Leistungsbilanzüberschüsse Chinas und anderer asiatischer Staaten möglich. Es geht um eine Expansion des Handels zwischen Entwicklungsländern, die künftig stärker Produkte aus Asien importieren im gleichen Sinn, wie der Marshallplan Europa beim Import von US-Produkten half und so den Handel ausweitete. Seit wir wissen, dass die USA künftig nicht mehr der Wachstumsmotor der Welt sein können, müssen wir uns doch nach anderen Märkten umsehen. Das könnten die eigenen Binnenmärkte sein, aber auch die Märkte von Entwicklungsländern.

Diese Ideen werden seit Jahren immer wieder vorgetragen.

Ja, aber früher war das Problem von solchen Plänen der Handelsdiversifizierung immer, dass es nicht genügend Mittel zu seiner Finanzierung gab. Denn die Länder brauchen Exportkredite oder Entwicklungshilfe, um Produkte kaufen zu können. Jetzt könnten die hohen Überschüsse in Asien eine nachhaltige Expansion des Handels mit den Entwicklungsländern in den nächsten fünf Jahren finanzieren. Das würde dort zu Wachstum führen und zugleich Exportmärkte schaffen.

Warum passiert das nicht?

Zum Beispiel, weil China bislang das Wachstum in den USA finanziert hat. Das ist doch obszön! Ein Teil des Geldes sollte besser woanders ausgegeben werden. China sollte von seinen Währungsreserven von zwei Billionen Dollar etwa 400 Milliarden als günstige Kredite und Entwicklungshilfe an Entwicklungsländer vergeben, damit diese chinesische Produkte kaufen können.

Noch sind die USA aber die größte Volkswirtschaft, und es kann niemand daran ein Interesse haben, dass die US-Wirtschaft sich nicht erholt.

Ob es uns gefällt oder nicht, die USA können nicht zum Status quo ante zurückkehren und weiterhin die Hälfte aller Weltexporte aufnehmen. Auch sehe ich nicht, wie die USA bei ausbleibender internationaler fiskalischer Koordination ihre eigenen Ungleichgewichte ohne Protektionismus überwinden wollen. Die USA sitzen auf einem gigantischen Leistungsbilanzdefizit, haben eine große Verschuldung und können deshalb nicht mehr die gleiche Rolle wie früher spielen.

China hat wie kein anderes Land von der kapitalistischen Globalisierung profitiert. Kann China überhaupt ein Interesse daran haben, das System zu ändern?

Japan hat stärker von der Globalisierung profitiert als China, denn dort ist das Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt viel stärker gestiegen als in China, das gilt auch für Südkorea. Auf Pro-Kopf-Basis liegt China noch weit zurück. Auch China wird ein Interesse an einem System haben, das eine mittelfristige Zukunft hat, was eben nicht für das gegenwärtige System gilt.

Welche Rolle sollte Indien spielen?

Indien ist in einer schwächeren Position als China. Wir haben keinen Überschuss, sondern ein Leistungsbilanzdefizit. Wir hatten hohe Reserven, haben aber im letzten halben Jahr rund 80 Milliarden Dollar verloren, darunter viel Spekulationskapital, das wieder in die USA ging. Wir haben zwar einige Großindustrielle, die sich im Ausland eingekauft haben, aber trotzdem sind wir nicht stark genug, um anderen Staaten zu helfen. Aber beim Handel wären die Möglichkeiten größer und da sehe ich viel Chancen für eine Ausweitung.

Wann wäre denn der G-20-Gipfel selbst bei niedrigen Erwartungen ein Erfolg?

Der Gipfel hätte einen Wert, wenn er schnell die Liquidität der armen Länder verbessern würde, also der Staaten, die jetzt nicht vertreten sind. Denn das wirkliche Problem jetzt ist, dass viele Staaten in einer Krise gefangen sind, für die sie nichts können. Sie haben große Zahlungsbilanzschwierigkeiten und keinen Zugang mehr zu Krediten und können nicht mehr die zur Ernährung ihrer Bevölkerungen benötigten Lebensmittel bezahlen. Es bedürfte also der sofortigen Bereitstellung großer Finanzmittel für arme Entwicklungsländer.

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