Das schwarze Loch der Vagina

KUNST Annie Sprinkle macht jetzt Ökosex, Allison Halter lässt sich das Gesicht ablecken. Die Künstlerinnengruppe ff zeigt Kunst zum Thema „Erogenous Zone“ in der Galerie im Körnerpark

Glücklicherweise geht es in „Erogenous Zone“ kaum um den schwammigen Begriff der Erotik

VON JENNI ZYLKA

Der Cartoonist Erich Rauschenbach hat einen inzwischen zum Klassiker gewordenen Witz über die „Erogenen Zonen“ gerissen: Auf seiner Zeichnung stehen Mann und Frau nackt nebeneinander. Pfeile mit den Ziffern 1 bis 10 zeigen auf verschiedene Körperteile der Frau. Beim Mann weisen alle zehn Pfeile auf seine naughty bits und deklarieren einmal mehr die seitdem sattsam kolportierte Schwanzfixierung des Mannes: Erogene Zonen gibt es bei ihm nur im Singular.

Wie viel Wahrheit in diesem Vorurteil steckt, wurde noch nie gemessen. Aber die meisten Menschen glauben zu wissen, dass sich die wichtigste weibliche erogene Zone im Kopf befindet. Die feministische Künstlerinnengruppe ff hat nun eine Ausstellung mit dem Titel „Erogenous Zone“ kuratiert, in der sich alte und neue Kunstwerke dem Thema mit größtmöglicher Freiheit nähern. Die stets bumsfidel wirkende „Post Porn Modernistin“ Annie Sprinkle beispielsweise, der man bereits in den 80ern auf den Gebärmutterhals spicken durfte und die mit dieser freigeistigen und grundpositiven Haltung zur Sexualität lange Zeit allein auf weiter Flur stand, ist „naturphil“ geworden: In ihrem „Ecosex Manifesto“, das sie 2011 gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin Beth Stephens verfasst hat, bezeichnen sich die Frauen als „Ecosexuals“, welche Schwester Erde „verrückt und leidenschaftlich“ lieben, sie täglich mit ihren Füßen massieren und auch nicht davor zurückschrecken, Bäume zu herzen und auf erotische Weise mit Pflanzen zu sprechen. „We are very dirty“, schreiben die Autorinnen, und auf dem Cover des EcoSex Research Journal liegt Sprinkle wie ein lachender Kürbis halb eingegraben gemeinsam mit Pflanzen und Früchten in einem Erdhaufen und lässt sich von ihrer Freundin im Gärtneroverall zwischen den gespreizten Beinen düngen.

Wie weit die Kunst, ob sie sich nun feministisch nennt oder nicht, bereits an erwartbaren überdimensionalen Klitoriszeichnungen oder Rrriot-Grrrl-Vaginahäkeln vorbeigaloppiert ist, zeigt auch ein beeindruckender Videoloop der US-amerikanischen Künstlerin Allison Halter. In „Salt Lick“ steht Halter bewegungslos auf einer Waldlichtung, das Gesicht mit Salzkristallen beschmiert, und lässt es in Großaufnahme von drei Männern ablecken. Bukkake-Assoziationen sind beabsichtigt: „Mein Gesicht dient als Mineral-Leckstein“, schreibt die 35-Jährige. Die implizierte Absurdität dieser Geste fordere die Betrachter auf, danach zu fragen, was es bedeutet, wenn so auf den Körper eingewirkt wird. Halter steht in der Tradition von Aktions- und Fluxuskünstlerinnen wie Yoko Ono, die den performativen Körper als Teil der künstlerischen Aussage begreifen und darum auch Sexualität selbstverständlich in die Kunst integrieren.

Glücklicherweise geht es in „Erogenous Zone“ kaum um den schwammigen Begriff der Erotik, der seit Jahren zu Netzstrumpf-Kerzen-Massagen-Schmus verkommen in der Frauenecke von Buchläden vor sich hin dümpelt. Die Teilnehmerinnen der Ausstellung machen konkrete Aussagen: In „Desire“ hat die belgische Künstlerin Mathilde ter Heijne ein Tuch aufgespannt, in dessen Mitte eine etwa phallusdurchmessergroße Öffnung mit feinen türkischen Häkelarbeiten verziert wurde – eine Anspielung auf die Legende, dass Sex bei orthodoxen Gläubigen angeblich nur durch ein solches Loch erlaubt sei. Ter Heijne selbst weist auf Margaret Atwoods Sci-Fi-Roman „Die Geschichte der Dienerin“ hin, in der fruchtbare Frauen in einer durch Nuklearkatastrophen weitgehend infertil gewordenen Welt als „Mägde“ Kinder austragen müssen, und schlägt ihr keusches Laken als nützliches Attribut vor.

Auch der Titel von ter Heijnes anderer Arbeit, „Black Hole“, einem überdimensionierten, runden, schwarzen Spiegel, ist programmatisch: Im viktorianischen Zeitalter wurde die Vagina der Frau als Loch und damit als „Nichts“, ex negativo als fehlendes männliches Geschlecht gesehen. Julia Phillips Videoloop „Shake“ in dem die afrodeutsche Künstlerin pausenlos ihr kurzes, festes, gelocktes Haar schüttelt, als ob sie eine lange, wallende Mähne hätte, bezieht ihre „Choreografie der Abwesenheit“ dagegen auf den Kontext des langen Haars als erotisches Attribut und stellt genau dieses damit in Frage. Dass man unwillkürlich an die Popette Betancor denken muss, die ihre kurzen Zotteln im Video zu Helge Schneiders Song „Es gibt Reis (Schüttel dein Haar für mich)“ zu schütteln versuchte, macht überhaupt nichts.

Das großzügige Verständnis des Ausstellungsmottos hat einen umfassenden Effekt: Die ganze Welt mutiert zur erogenen Zone, und wer hier Sexratgeber oder Boudoir-Atmosphäre erwartet hat, wird eines Besseren belehrt. Zudem ist man in der übersexualisierten Gegenwart vielleicht auch einfach mal lieber abstrakt als nackt.

■ Bis 21. April. Galerie im Körnerpark, Di.–So. 10–20 Uhr