Schwer bewaffnete Prototypen

KUNST In der Ausstellung „Blowback“ bringt Rajkamal Kahlon Kolonialismus und Terrorismus in Zusammenhang

So politisch ihr Anliegen auch ist, Kahlon bleibt bei ihrer Arbeit humorvoll

Man wird direkt hineingezogen. Denn rechts am Eingang der Ausstellung ist ein großer Digitaldruck, „Shadow of the Future“ (2011), den die Künstlerin Rajkamal Kahlon bearbeitet hat. Das archivale Original stellt ein Schlachtfeld aus dem 19. Jahrhundert dar. Links stehen die westlichen Eroberer mit modernen Waffen, ihnen gegenüber die hilflos unterlegenen muslimischen Eroberten noch in Gewändern, Gebetsmützen und mit Schwertern. Mit Acrylfarbe hat Kahlon Drohnen und Raketen in das Bild gemalt. Auf diese Weise verbindet sie imperiale Bilder der Vergangenheit mit der Gegenwart und schafft eine Brücke zu unseren globalen Konflikten von Krieg und Aufrüstung. So politisch ihr Anliegen auch ist, Kahlon bleibt bei ihrer Arbeit humorvoll: Den muslimischen Kämpfern hat sie leuchtende Nike-Sneakers verpasst.

„Blowback“ heißt die Ausstellung von Rajkamal Kahlon im Nature Morte Berlin. So werden in der Fachsprache der Geheimdienste unbeabsichtigte Folgen verdeckter Operationen gegen andere Länder bezeichnet. Ein Blowback war etwa der Anschlag am 11. September auf die USA, der auf die Förderung Osama Bin Ladens durch die CIA während des Afghanistankriegs 1980 zurückgeführt werden kann. Bevor sie nach Berlin zog, wohnte die amerikanische Künstlerin 2001 in New York und erlebte die Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von dunkelhäutigen Mitbürgern nach diesem Blowback.

In niederländischen und deutschen Anthropologiearchiven aus dem 19. und 20. Jahrhundert fand Kahlon Bilder von „Eingeborenen“ und steckt diese in die Rolle moderner Terroristen. So versucht sie, den Zusammenhang zwischen westlichen Repräsentationen vormals kolonisierter Subjekte und den Vergeltungsakten dieser Personen, die wir heute als Terrorismus bezeichnen, darzustellen. Sie versucht aber gleichzeitig auch, das Gefühl der Bedrohung durch dunkelhäutige Menschen in westlichen Gesellschaften aufzudecken. Sie spielt mit dieser Angst, indem sie genau diese Vorurteile in ihren Bildadaptionen bestätigt und somit seinen Betrachter bloßstellt.

Schön an Kahlons Arbeit ist, dass sie dieses Anliegen in ästhetischen, anziehenden Bildern umsetzen kann, die zugleich klar pointiert sind. Natürlich setzt sie ein historisches Wissen voraus, um die Arbeiten in den kolonialen Kontext einordnen zu können. Doch ist dieser erst mal klar, öffnet sich dem Betrachter jede Arbeit der Ausstellung.

So ersetzt Kahlon etwa Da Vincis berühmten „Vitruvianischen Menschen“, der die mathematische Perfektion menschlicher Proportionen repräsentieren soll, durch ein dunkelhäutiges Pendant auf einer lebensgroßen Pappfigur. Ihr vitruvianischer Mensch ist mit Klischeeattributen ausgestattet, die ein westlicher Mensch von einem „Afrikaner“ erwartet: Blumen im Haar, mit einem Wasserbauch und Armreifen. Ein kolonialisierter Prototyp, der anstelle der Arme und Beine Waffen hat.

Ein weiterer Teil der Ausstellung ist eine große Leinwandzeichnung vom Profil dieses Vitruvianers, die ihn mit einem Raketenwerfer unter seinem Arm zeigt, der die Silhouette eines christlichen Kreuzes bildet. Schonungslos dem Betrachter und ironisch sich selbst gegenüber versucht Kahlon den kolonialisierten Menschen ihre Identität wiederzugeben. SEYDA KURT

■ Noch bis zum 2. November, Nature Morte Berlin, Weydingerstr. 6