Kolumne Frauen: Das Baumarkttrauma

Kann man guten Gewissens eine Familie gründen, wenn man nicht mal ein Loch in die Wand bohren kann?

Die Stadt meiner Kindheit ist jetzt ein Baumarkt, musste ich bei meinem letzten Besuch dort zu meinem Entsetzen feststellen - und was für einer. Groß wie eine Boeing, meinetwegen auch wie ein Airbus-Werk, und gleißend hell erleuchtet liegt er da, dieses Eldorado für Schrauber, Dübler, Buddler, Säger, Mäher und alle anderen, die nicht wissen, wo der Hammer hängt und wie man mit ihm umgeht.

Als ich klein war und mein Vater für mich noch der Größte, fuhren wir samstags manchmal in den Baumarkt, was im Klartext hieß: mindestens in zwei, denn irgendein Teil, ohne das unser Reihenhaus das Wochenende nicht überstehen würde, war immer gerade aus oder viel teurer als bei der Konkurrenz.

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass meinem Vater - wie vielen anderen Männern auch - irgendwann ein Chip implantiert wurde, auf dem sämtliche Preisinformationen, Sonderaktionen und Anfahrtsbeschreibungen aller Baumärkte weit und breit gespeichert sind. Das Einzige, was sein Chip noch nicht konnte, war, den Lagerbestand abzufragen. Ich wünsche allen Kindern, dass dieser Mangel in den neueren Versionen der Chips behoben ist, damit der Spuk für sie schneller vorbei ist als für mich damals.

Wie ich diese Baumarktbesuche gehasst habe! Mitgefahren bin ich nur, weil ich meinem Vater, den ich kaum gesehen habe, nah sein wollte, was auch ziemlich gut geklappt hat - solange wir im Auto saßen. Sobald wir allerdings auf den Baumarktparkplatz rollten, schaltete Papa stufenlos in den Einkaufsmodus. Wie ferngesteuert und auf Schienen bewegte er sich durch die endlosen, der Übersichtlichkeit halber nummerierten Gänge und suchte, suchte, suchte irgendwas, von dessen Verwendungszweck ich bestenfalls eine vage Vorstellung hatte. Ich erinnere mich noch daran, dass ich anfangs nach irgendetwas gesucht habe, das mich interessiert. Ich habe schnell aufgegeben. Wahrscheinlich bin ich jedes Mal in eine Art Dämmerschlaf gefallen, aus dem ich erst wieder erwachte, wenn mein Vater neben mir stand und sagte: "Sohnemann, du musst jetzt verdammt stark sein. Wir müssen noch kurz woandershin." Den ersten Satz hat er natürlich nie gesagt, den zweiten immer. Er ahnte wohl nicht mal, wie sehr ich unter seiner Passion litt.

Entsprechend gestört ist mein Verhältnis zur Heimwerkerei bis heute. Und es belastet mich zunehmend: Kann man überhaupt guten Gewissens eine Familie gründen, wenn man noch nicht mal ein Loch in die Wand bohren kann? Gibt es Selbsthilfegruppen für Leute wie mich? Sehr gerne würde ich mit Leidensgenossen zusammen die US-Sitcom "Hör mal, wer da hämmert" gucken. Anschließend würden wir nachzumachen versuchen, was wir da gerade auf dem Bildschirm gesehen haben. Ein Rettungssanitäter wäre bei jeder Sitzung obligatorisch.

Demnächst ziehe ich um. Darauf freue ich mich schon sehr und habe zugleich panische Angst davor. Was, wenn die neue Wohnung mir eine heimwerkerische Prüfung nach der anderen auferlegt? Tropfende Wasserhähne, undichte Fenster, all diese Grausamkeiten. Mir steht der Schweiß auf der Stirn, während ich das schreibe. Gestern habe ich meinen Bruder bekniet, mir beim Umzug zu helfen. Weil er ein guter Bruder ist, war er sofort dazu bereit - vorausgesetzt, er ist in Deutschland. Denn er sucht fürs Frühjahr eigentlich noch ein Praktikum im Ausland. Ich klammere mich an die Hoffnung, dass das nicht klappt. Nett ist das nicht von mir, ich weiß, meine Verzweiflung gibt aber hoffentlich mildernde Umstände.

Manchmal hadere ich mit meinem Schicksal: Warum ist mir kein Baumarktchip implantiert worden? Liegt das daran, dass ich nicht beim Bund war? Oder waren die Chips gerade aus, als mir einer eingesetzt werden sollte? Mit Chip wäre das Leben leichter - für mich und für alle, die schon unter meiner Sägasthenie leiden mussten.

Warum ich mich trotz allem auf meinen Umzug freue? Weil die neue Wohnung größer, heller und überhaupt schöner ist als die alte - und weil so ein Umzug ein prima Vorwand ist, mal wieder 500 Euro bei Ikea zu lassen.

DAVID DENK

FRAUENFragen zum Baumarkt? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Reinhardt KATASTROPHEN

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