Gastdebatte Kopfpauschale: Die totale Privatisierung

Das Beispiel Schweiz zeigt: Die Kopfpauschale schmälert die Leistungen und pampert allein die Reichen. Sie könnte sich als das Hartz-IV von Schwarz-Gelb entpuppen.

Bismarck ist tot!" So lautet der Schlachtruf der FDP nach dem Koalitionspoker um die Gesundheitsreform. Tatsächlich ist der Plan, den Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung auf 14 Prozent einzufrieren, nichts anderes als der Ausstieg aus der solidarischen Gesundheitsversorgung. Die Zweiklassenmedizin soll zementiert werden. Leidtragende sind die unteren Einkommensbezieher, die Familien mit Kindern sowie die Rentner - mithin die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung. So soll der Hebel für die Privatisierung der Sozialversicherung bei der Gesundheit und Pflege angesetzt werden - also da, wo es richtig wehtut und 90 Prozent der Bevölkerung betroffen sind.

Der privaten Finanzindustrie hingegen wird der Weg zu den "Fleischtöpfen" der milliardenschweren Budgets der Sozialversicherung geebnet: als ob diese mit der weltweiten Wirtschafts-, Finanz-und Beschäftigungskrise nicht schon genügend Unheil angerichtet hätte. Sollte dies etwa der Preis für großzügige Wahlspenden sein? Die neue Bundesregierung muss aufpassen: Bei den nächsten Bundestagswahlen könnte sich diese Gesundheitspolitik als ihr Hartz IV erweisen. Also Schwarz-Gelb das Genick brechen, ähnlich wie das bei Rot-Grün der Fall war.

Hinzu kommt: Wer die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugunsten Ersterer aufhebt, der provoziert eine erhebliche Kostenexplosion für Gesundheitsleistungen. Denn wenn der Arbeitgeberanteil nicht mehr proportional mit den Gesundheitskosten steigt, dürfte das Interesse der mächtigen Lobby der Arbeitgeber an deren Begrenzung erheblich erlahmen.

Dass die Einkommensschwachen mit steuerlichen Subventionen unterstützt werden sollen, ist ebenfalls keine Lösung. Wie das Beispiel der Schweiz mit den Kopfpauschalen in der gesetzlichen Krankenversicherung zeigt, sind inzwischen große Teile der Bevölkerung Empfänger staatlicher Subventionen für ihre Krankenversicherung. Die Folge: Die Leistungen verschlechtern sich, manche werden ganz ausgegliedert.

Sobald der Staat mithilfe von massiven Steuergeldern die Bezahlung der Kopfpauschalen allererst ermöglichen muss, ist die Einschränkung staatlicher Leistungen bereits vorprogrammiert. Über welche Summen wir hier reden, das geht aus den Berechnungen des Forschungsinstituts Iges hervor: Für die erforderliche Kopfpauschale zwischen 140 und 154 Euro würden 22 Milliarden Euro an staatlichen Subventionen erforderlich. Das wären noch einmal 14,9 Milliarden Euro mehr, als der Staat bereits an die Krankenkassen leistet. Dies ist bei der enormen öffentlichen Verschuldung und der noch keineswegs überwundenen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der geplanten generellen Steuersenkungen unverantwortliche gesundheits- und finanzpolitische Traumtänzerei.

Besonders problematisch ist die Unterstützung der "Privatisierer", die die gesetzliche Pflegeversicherung stützen wollen, indem sie alle Bürger und Bürgerinnen auf eine private Vorsorge verpflichten. Natürlich geht es auch hierbei allein um die Entlastung der Arbeitgeber. Ein solcher Schritt öffnet geradewegs Scheunentore für zusätzliche Pfründen der privaten Versicherungs- und Finanzindustrie. Wer kann denn bitte nach den verheerenden Erfahrungen mit mangelnder Transparenz bis kriminellen Tricksereien bei öffentlichen und privaten Finanzinstituten bei der Anlage eines Kapitalstocks für die gesetzliche Pflegeversicherung die Sicherheiten garantieren? Und bei Pflegeleistungen gilt noch mehr als etwa bei der Altersvorsorge, dass Leistungen im Schadensfalle sofort abrufbar sein müssen - unabhängig von der jeweiligen Lage der Kapitalmärkte.

Der Ersatz staatlicher Transferleistungen durch das einheitliche "Bürgergeld" der FDP gibt einen bitteren Vorgeschmack, wohin die schwarz-gelbe Reise gehen soll: weiterer Abbau von Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und damit Zwang zu privaten Zusatzversicherungen - natürlich allein auf Kosten der Versicherten.

Bei den Koalitionsvereinbarungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung handelt es sich übrigens um lang gehegte und gepflegte Vorstellungen von Angela Merkel und Guido Westerwelles FDP. Merkel hatte bei dem Parteitag der CDU in Leipzig unmittelbar vor den Bundestagswahlen 2005 das Konzept der Kopfpauschalen in der gesetzlichen Krankenversicherung durchgesetzt. Die FDP ihrerseits sah schon damals die stufenweise Abschaffung und Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung als Programm für die neue Legislaturperiode vor.

Aktuell erstaunlich ist daher nur die erneute Wende des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Damals wetterte er noch heftig gegen den CDU-Vorschlag der Kopfpauschalen und verließ deshalb mit viel Wirbel die Herzog- Kommission. Jetzt präsentiert er sich der staunenden Öffentlichkeit in voller Jovialität mit Westerwelle und dessen Bundesgesundheitsminister Rösler. Die CSU werde trotzdem, so sagt er, der Garant für die soziale Gerechtigkeit auch in der Gesundheitspolitik sein. Lauthals verkündet Seehofer zudem die Absicht, eine eigene Gesundheitskommission einzusetzen. Und ausgerechnet Professor Bert Rürup, einstiger "Sozialpapst" jedweder Bundesregierung und jetziger Topberater eines der größten privaten Versicherungskonzerne, spielt sich derzeit als Mediator in dem Gesundheitsstreit zwischen FDP und CSU auf: Möglicherweise nicht ganz uneigennützig empfiehlt er Rösler, an seinem Ziel festzuhalten und die Gesundheitskosten vom Lohn abzukoppeln. Was liegt näher, als zu vermuten, dass hier für die Privatversicherer ein großes Stück aus dem riesigen Budget der gesetzlichen Krankenkassen herausgeschnitten werden soll?

Jeder sollte sich darüber im Klaren sein: Hat man erst mal mit dem Abriss der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung begonnen, dann ist der Weg offen für die Privatisierung der gesamten Sozialversicherung. Und das wäre dann der Super-GAU für unseren Sozialstaat.

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