Ethnologie-Studie zur Raveszene: Zwischennutzende Stadtindianer

Anja Schwanhäußer untersucht in "Kosmonauten des Underground" Lebensstile der Berliner Raveszene. Deren Agentenschaft in Sachen Stadtmarketing streift sie aber nur.

Aufwerten durch Tanzen - die Logik hat schon Tradition. Bild: dpa

Gentrifizierungsprozesse sind komplexer, als man dachte. Wer ständig auf der Suche nach billigem Wohnraum und unerschlossenen Kiezen ist, trägt zur Aufwertung der Stadtviertel bei. Auch der bornierteste unter den "Flyer-Kreativen" (Diedrich Diederichsen) sagt kühn: "Wir sind ja selbst die Agenten" - und man weiß nie, ob da auch ein klein wenig Stolz mitschwingt, Subjekt zumindest irgendeiner sozialen Bewegung zu sein; wenn auch bloß einer zur nächsten Party in eine andere Location, in einem Gebäude, das auf jeden Fall zwischengenutzt wird.

Die Stadtethnologin Anja Schwanhäußer hat diese ephemeren Orte aufgesucht und über "Kosmonauten des Underground" geforscht. Ihr Buchthema hat Konjunktur, man denke nur an Hannes Stöhrs Technoschnulze "Berlin Calling" (2008). Schwanhäußers Studie ist eine weitere Publikation über die Berliner Technoszene und damit vielleicht Grund genug zur Annahme, dass der "Underground" mittlerweile so untergründig nicht mehr sein kann.

Ein paar Dinge kann Schwanhäußer aber trotzdem erhellen, der ethnografischen Methode sei Dank. Die Ethnologin folgt der durch Flyer rekonstruierten Party-Topografie. Sie untersucht Kommunikationsweisen, Distinktionspraktiken und Lebensstile dieser Szene, deren Einflüsse sie vor allem in der Punk-Bewegung ("Do it Yourself"), Hippie-Romantik (Open Airs in Wagenburgen) und Hausbesetzerbewegung ausmacht.

Getragen vom Spirit

Es ist ein schmaler Grat, den die ProtagonistInnen der Szene beschreiten - zwischen Selbstverwirklichung und Lohnarbeit, immer getragen vom "Spirit" der Überwindung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Im Zentrum von Schwanhäußers Studie stehen die Pyonen, ein Berliner Kollektiv, unter anderem bekannt durch das "Nation of Gondwana"-Open-Air. Viele der Akteure kamen Anfang der 1990er Jahre, angezogen von dem massiven Leerstand Ostberlins, aus der Hamburger Hausbesetzerszene. Ehemalige Proletarierviertel wie Prenzlauer Berg boten Möglichkeiten, Leerstände zu temporären Partylocations umzufunktionieren. Die eingestreuten Notizen aus dem Feldtagebuch der Ethnologin befremden allerdings. Und zwar nicht wegen ihrer exotisierenden Perspektive, die ja durchaus Potenzial hätte, sondern wegen ihrer ausgesuchten Banalität.

So heißt es etwa über die "schmuddelige" Kleidung: "Es ist nicht auszuschließen, dass einige Kleidungsstücke teuer in einer Boutique erstanden wurden und gerade deshalb teuer waren, weil sie billig aussehen." Der kulturhistorische Bogen, an dessen Ende Schwanhäußer den Techno-Underground verortet, wirkt überstrapaziert. Da wird zitiert und gefußnotet, was das Zeug hält, von Siegfried Kracauers "Pläsierkasernen", in denen sich die Angestellten im Berlin der Weimarer Republik vergnügten, über die Situationistische Internationale und ihre Strategie der Zweckentfremdung, Helmut Kreuzers Boheme-Forschung bis hin zu Richard Floridas "Kreativer Klasse" - alles passt irgendwie hinein.

Als einigermaßen schlüssig erweist sich hingegen das Konzept der "temporären autonomen Zonen", wie Schwanhäußer Locations in Anlehnung an den Subkulturforscher Hakim Bey nennt. Diese Praxis der Kommunikationsguerilla entspricht jener der Flashmobs, "Reclaim the Streets"-Aktionen oder anderen politischen Interventionen. Einen politischen Aspekt möchten nämlich auch Akteure der Szene in ihrer Arbeit erkennen: "Feiern als politisches Statement geben". Andererseits ist es angesichts von Megaevents wie der Loveparade fragwürdig, inwieweit Hedonismus noch als emanzipatives Projekt gelten kann.

Stadtmarketingtrick

Außerdem gehört selbst die längst nicht mehr nur subkulturelle Praxis der Nutzung von Brachen zum festen Repertoire des Stadtmarketings. Den kulturökonomischen Allianzen zwischen Techno-Underground und Mainstreamkultur und der Agentenschaft der Szene geht Schwanhäußer nur am Rande nach. Immerhin erfährt man etwas über die szenespezifische Dialektik der Gentrifizierung. Wenn Projektentwickler die Nutzung von Leerständen ermöglichten, dann geschehe dies nicht aus Mäzenatentum. Sie wollten, sagt ein Protagonist, "n Augenmerk auf ihre Locations kriegen. Weil sie die dann besser vermarkten können."

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