Kampf für behindertengerechte Flüge: Die Grenzen über den Wolken

Kay Macquarrie sitzt oft im Flieger - und im Rollstuhl. Ein Toilettenbesuch über den Wolken ist für ihn oft unmöglich, deshalb kämpft er für behindertengerechte Inlandsflüge.

Wer als Rollstuhlfahrer im Flugzeug mal muss, hat oft verloren. Bild: dpa

Buchung und Beförderung: Bei Flügen von oder zu einem europäischen Flughafen dürfen Fluggesellschaften sich nicht aufgrund einer Behinderung oder eingeschränkten Mobilität weigern, eine Beförderung zu akzeptieren. Ausnahmen sind möglich, wenn Sicherheitsbestimmungen dies erforderlich machen.

Hilfeleistungen auf Flughäfen: Die Flughäfen müssen Kontaktpunkte ausweisen, die es ermöglichen, die Ankunft bekannt zu geben und um Hilfe zu bitten. Der Flughafen muss, wenn dies 48 Stunden vor Abflug gemeldet wurde, eine durchgehende Betreuung der Ankunft am Flughafen bis zum Abflug sicherstellen.

Hilfeleistung an Bord: Die Fluggesellschaften sind verpflichtet, bei Flügen, die in der EU beginnen oder enden, kostenlos Mobilitätshilfen zu befördern. Falls erforderlich, müssen auch Hilfen gewährt werden, um zu den Toiletten zu gelangen.

Es regnet etwas, als Kay Macquarrie zu dem Café kommt. An der Straße sind ein paar Trittstufen vor der Eingangstür. Von der Holzterrasse führt eine Metalltreppe in die Räume. Der Boden ist nass, die Stühle sind zusammengerückt. Macquarrie würde trotzdem gerne draußen sitzen. Er fragt die Kellnerin, ob sie die Markise ausfahren könne. Sie ist skeptisch. "Ach was, das machen wir schnell", sagt ein junger Mann, der an Macquarries Rollstuhl tritt, die Griffe anpackt und ihn Stufe für Stufe die Treppe hochzieht. Was er möchte, erreicht Macquarrie gewöhnlich. Auch wenn er dafür manche Hilfe in Anspruch nimmt.

"Die ersten vier, fünf Jahre beschäftigt einen das stark, dann geht einem das in Fleisch und Blut über", sagt Macquarrie. Er ist 33, trägt Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhe. In den Augenwinkeln zeichnen sich kleine Lachfalten ab. Seit zehn Jahren sitzt er im Rollstuhl. "Ich merke das im Alltag gar nicht", sagt er. Es ist eine Idee, für die er jetzt kämpfe, so wie viele Menschen sich für Dinge engagieren. Bei ihm sei das Thema eben rollstuhlspezifisch.

Es ist eine sehr private Entscheidung, um die es geht. Wenn Macquarrie ein Flugzeug besteigt, muss er sich festlegen. Möchte er in den kommenden Stunden die Toilette benutzen oder nicht? Und ist das der Fall, möchte er dafür auf die Reise verzichten? "Ja, natürlich muss ich aufs Klo", sagt er dann zu den drei Stewards. "Dann steht irgendwann der Pilot vor einem und stellt dich vor die Wahl."

Auf Langstreckenflügen bieten die meisten Fluggesellschaften Bordrollstühle an, mit denen es möglich ist, die Gänge und auch die Toilette zu nutzen. Eine EU-Verordnung, die am 26. Juli vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, soll diese Möglichkeit auch auf innereuropäischen Kurz- und Mittelstreckenflügen sicherstellen. Achtundvierzig Stunden vor Flugantritt sollen Bordrollstühle bestellt werden können, es wird Hilfe beim Borden angeboten. Und um "erforderlichenfalls auf die Toilette zu gelangen". Wie genau diese Hilfe aussieht, ist nicht beschrieben. Denn in kleineren Maschinen sind die Kabinen oft zu eng, um einen Rollstuhl aufzunehmen. Dann bleibt der Person nur übrig, auszuhalten - oder wieder auszusteigen.

Macquarrie reist oft. Der Kieler Webdesigner hat Multimediaproductions studiert, ein Fach, das zur Hälfte von Austauschstudenten belegt wurde. Er hatte Dozenten aus Amerika und Australien, hat Freunde gewonnen aus Pakistan, Indien und China. Die besucht er ab und zu, genauso wie Verwandte seiner Frau in den USA. Er bleibt in Kontakt, auch über das Internet. Im "Web 2.0", in seinem Blog, hat er vor zwei Jahren auch begonnen, seine E-Mails und den Briefwechsel mit Fluggesellschaften zu veröffentlichen, Anträge auf Bordrollstühle, Beschwerden und Berichte.

"Die Flugreisen führen mir die Behinderung erst vor Augen", sagt Macquarrie. Er lehnt mit einem Arm auf dem Tisch und fährt ein wenig hin und her beim Sprechen. Warum er im Rollstuhl sitzt, sagt er nur Menschen, die er gut kennt. Die Frage sei ihm zu privat, zu direkt, um sie einer Fremden zu beantworten. "Es gibt keinen Nachteil, der sich daraus ergibt", sagt er und meint seine Behinderung. In seinem Wohnort Kiel kenne er sich aus. Die Clubs und Restaurants ohne Treppen, die für ihn zugänglich sind. Die Wege, die Verkehrsmittel. Seine Arbeitsstelle ist für ihn erreichbar. Immer eine Ebene tiefer zu sein als die Umwelt, "daran gewöhnt man sich".

Im letzten Jahr hat er sich zwischen zwei Projekten freigenommen. Schrieb Politikern, Fluggesellschaften, Medienvertretern - rund 300 E-Mails in zwei Wochen. Er reichte eine Petition beim Bundestag ein. Für geräumige Toilettenkabinen, in die ein Rollstuhl passt und für Bordrollstühle in jeder Maschine. Für die Umsetzung der Verordnung. Bis zum 19. Dezember haben sie 571 Menschen online unterzeichnet, jetzt wird sie parlamentarisch geprüft. Am liebsten spricht Macquarrie von "Gestaltungsräumen", die er hat, die ihm durch das Internet zur Verfügung stehen.

Das Bloggen macht ihm Spaß. Denn Medien interessieren ihn schon lange, mit der Petition wollte er Öffentlichkeit erreichen. Er war in Lokalredaktionen, hat Interviews gegeben und Fotos gemacht. Und selbst einen Artikel im Internet veröffentlicht.

Wenn seine Frau Ashley dabei ist, könne er auch die Situationen im Flugzeug mit Humor nehmen. Denn festgeschnallt auf dem Transportrollstuhl, fühle er sich "wie ein Paket der deutschen Bundespost, wie ein Stück Material" auf dem Weg in den Flieger. Auf die Toilette verzichten zu müssen, "das ist ein Gefühl sehr starker Ohnmacht. Das arbeitet schon in einem nach".

"Es ist natürlich für Behinderte nicht alles einfach", sagt Jan Bärwalde, Pressesprecher der Lufthansa. Dennoch sei die Unterstützung beim Toilettengang "eine Frage der Zumutung für die Crew". "Die EU-Verordnung erfüllen wir in vollem Umfang", nur eben auf Kurzstreckenflügen nicht. Die seien aber auch nicht länger als eine Stunde - im Durchschnitt. Als Entgegenkommen nennt Bärwalde neben einem Betreuungsdienst das Preboarding. "Der Rollstuhlfahrer ist der Erste an Bord", sagt Sabine Tekil, Sachbearbeiterin im Arbeitsstab der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Etwa eine Stunde vor Abflug sei er im Sicherheitsbereich, habe dann aber keinen Zugang mehr zu Behindertentoiletten: "Das ist ein echtes Problem."

Auf Langstreckenflügen seien die Toiletten der Lufthansa aber behindertengerecht, betont Bärwalde: "Natürlich kann man die Tür schließen, klar." Wie die Kabinen "im Einzelfall" gestaltet sind, kann er aber nicht sagen: "Da kommen die Flugzeughersteller dazu."

"Ein Bekannter von mir verkneift es sich auch auf langen Flügen", sagt Macquarrie: "Der trinkt dann gar nichts mehr." - "Für mich ist das kein Service, das ist ein Grundrecht."

"Die Klogeschichte ist symptomatisch", sagt er. Die Infrastruktur, die baulichen Voraussetzungen führten zur Diskriminierung von Behinderten. Denn wo ein Rollstuhlfahrer nicht fahren kann, kommen Menschen auch nicht mit ihm in Berührung. "Es bleibt ein Die und Wir." Das Internet empfindet er dagegen als "virtuelles Zusammenrücken". Und als eine "Chance für den Demokratiebegriff".

Macquarrie wuchs im schleswig-holsteinischen Klanxbüll auf, einem kleinen Ort mit ein paar Häusern und einer Bahnschranke. Sein Vater war bei der Bundeswehr, die Familie zog mit ihm ein paar Mal um, bis er nach Kiel zog - in eine größere Stadt. Er hätte gerne Jüdische Studien in Heidelberg studiert, doch die Unterrichtsräume waren dort im ersten Stock. Ohne Fahrstuhl. Jetzt digitalisiert der Webdesigner Museen, damit man Kultur von jedem Ort der Welt aus anschauen kann. Auch wenn sich die Objekte "in einem kleinen Museum befinden, zu dem man nicht hin kommt."

In den USA, sagt Macquarrie, erlebe er eine ganz andere Situation als in Deutschland. Der Umgang mit Gehbehinderten sei selbstverständlicher. "In Amerika führt eine Rampe zu jeder kleinen Gaststätte", sagt er. Vielleicht möchte er dort hingehen - in zwei oder drei Jahren. "Es gibt in Amerika auch Flugzeuge, die ich mit meinem Rollstuhl besteigen kann."

"Wir können den Fluggesellschaften da nichts vorschreiben", sagt Tekil vom Behindertenamt. Nur auf der Basis von freiwilligen Zielvereinbarungen könne darüber gesprochen werden und die Resonanz auf die Anfragen sei "nicht besonders üppig".

"Zehn Prozent Behinderte weltweit repräsentieren keinesfalls Gehbehinderte", sagt Lufthansasprecher Bärwalde, es handele sich um eine sehr kleine Gruppe von Betroffenen. Aber: "Wir geben denen doch Mobilität zurück."

"Es gibt keine Sanktionen, keine Instanz", sagt Macquarries. Die Stimme ist ruhig, er hat seine Hände ineinander gelegt. Er wünscht sich klare Gesetze und einen Bußgeldkatalog. Und eigentlich ist er mit dem Prinzip unzufrieden: "In Deutschland bekommt man als Behinderter immer eine Extrawurst." So wie mit der Busfahrkarte. Er muss nicht selbst zahlen, bekommt Vergünstigungen. In vielen Dingen. Und hat dennoch nicht alle Möglichkeiten. "Ich glaube, dass diese Form von Privilegien falsch ist", sagt er.

Wenn Macquarrie neue Menschen trifft und sie ihn kennenlernen, wird er immer wieder besonders behandelt. "Die legen das nach zwei, drei Tagen ab", sagt er. Immer Aufmerksamkeit zu bekommen von Fremden, in der Öffentlichkeit, immer herauszustechen - am Anfang war das unangenehm. Aber nur in den ersten fünf Jahren. Danach ist das normal, sagt Macquarrie. Und lächelt.

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