Sex-Druck unter Jugendlichen: Die unsichere Generation Porno

Auf Schulhöfen üben Jugendliche untereinander verstärkt Sexdruck aus. Dem Nachwuchs geht es dabei aber nicht um den Körper, sondern um Bestätigung.

Mitbestimmend beim Status von Jugendlichen: das "erste Mal". Bild: froodmat / photocase.com

Wenn T.* in die große Pause geht, dann fühlt sie sich oft unwohl. "Du bist doch ein Blümchen", sagen ihre Freunde zu ihr, "ein unberührtes Sexblümchen." In der Schule sowie in ihrem Freundeskreis wird sie so genannt. Die 16-Jährige wird gehänselt, nur weil sie noch keinen Sex hatte. Sie fühlt sich unter Sexdruck.

T. ist kein Einzelfall. Mit 16 noch jungfräulich zu sein gilt unter Jugendlichen als spießig und konservativ. Eine Gruppe von 14-jährigen Teenagerinnen äußert sich zum Thema Beziehung. "Jungs unter 18 Jahren - das kommt gar nicht infrage", sagen sie halb stolz, halb verächtlich. Da kann der Typ noch so anziehend oder nett sein, das spielt bei den SchülerInnen eher eine Nebenrolle. Was zählt, ist die Erfahrung.

Gibt es sexuelle Diskriminierung auf Pausenhöfen? Werden Mädchen und Jungs gemobbt, nur wenn sie mit 14 noch keinen Sex hatten?

Wer beim Sex nicht mitreden kann, wird ausgeschlossen. Keusch ist von gestern. Die Shell-Studie will es anders wissen. Danach steigt das Jugendalter für "mein erstes Mal", und es sinkt die Wahrscheinlichkeit des frühen Sex. Der Anteil der 14-Jährigen mit sexueller Erfahrung ging von 12 Prozent im Jahre 2005 auf 7 Prozent im Jahr 2010 zurück.

Dieser Text stammt aus der größten deutschen Schülerzeitung Q-rage. 24 Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren aus ganz Deutschland haben für die Organisation "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage" eine Ausgabe zu Liebe und Sex in der Einwanderungsgesellschaft gestaltet. Q-rage geht am Freitag in einer Auflage von 750.000 an alle deutschen Sekundarstufen. Die Jugendlichen suchen und recherchieren die Themen selbst und werden beim Schreiben von (Ex-)taz-RedakteurInnen betreut.

Kontakt zur Q-rage 2011: Qrage@taz.de

Das ist die Statistik. Die Realität sieht oft anders aus.

Schwanger mit 13

K.*, 13 Jahre alt, ist mit einem über 20-Jährigen zusammen. Durch ihn ist sie schwanger geworden. Der wollte nicht warten mit Sex. Auch in ihrer Familie sah man das nicht so eng. Es dauerte nicht lange, da war es so weit.

Über die Ursachen für den frühen Sex sind sich die Experten nicht einig. Die einen führen die sexuelle Revolution ins Feld. Etwa die Kinderärztin Roswitha Spallek, die sagt: "Jugendliche sind in den letzten Jahrzehnten immer früher bereit gewesen, Sex zu haben."

Andere bringen den Willen zum Sex mit der früheren Geschlechtsreife in Verbindung. Durch Medikamente und Hormone in Milch, Eiern und Fleisch haben Mädchen bereits mit 12,5 Jahren ihre erste Periode.

Für den Sozialpädagogen Thomas Rüth spielen die Medien eine große Rolle. Durch das Internet haben die Kinder viel leichter Zugang zu Pornografie, egal wie alt sie sind, sagt der Mann, der das Jugendhilfe-Netzwerk der Arbeiterwohlfahrt in Essen-Katernberg leitet.

Kinder entdeckten die Sexualität nicht mehr selber, sondern im Fernsehen oder in Pornos. Sie wollten es dann erzwingen, indem sie machen, was sie in den Filmen sehen. "13- oder 14-jährige Pärchen küssen sich nicht mehr, obwohl sie wie selbstverständlich miteinander schlafen", sagte Rüth dem Stern.

"Pornos zerstören sexuelle Vorstellungen!", sagt auch Ann-Marlene Henning der Schülerzeitung Q-rage. Henning ist Sexologin in Hamburg, sie sieht die Rolle der Eltern kritisch. "Die meisten Eltern wissen über das Sexualverhalten ihrer Kinder nicht Bescheid", berichtet Henning, "manchmal ist Sex auch ein absolutes Tabuthema."

Die Kinder werden zu spät aufgeklärt, findet Henning. In Holland lernen Kindern bereits im Kindergarten, welche Unterschiede es zwischen Mann und Frau gibt. Es wird auch erklärt, wie ein Jugendlicher zeigen kann, wo seine körperliche Grenze ist. Zu Deutsch: Die Aufklärer üben mit Jugendlichen, wie man Nein sagen kann - freundlich und bestimmt.

S.* ist heute ein 16-jähriges Mädchen, die ständig gemobbt wird. Sie verlor ihre Unschuld mit 13 Jahren und hatte seitdem etwa 20 Liebhaber. "Schlampe" und "Bitch" wird ihr nachgesagt, manchmal laut, selten leise.

S. hat kaum noch Möglichkeiten, eine ernsthafte Beziehung mit einem Menschen einzugehen, weil alle von ihrer Freizügigkeit wissen - und die meisten wollen nur das eine von ihr.

In ähnliche Schwierigkeiten hat sich L.* (14) gebracht. Sie hat übers Netz einen Jungen kennengelernt, mit dem sie wenig später eine Beziehung einging. Um ihrem Freund eine Freude zu bereiten, strippte sie vor ihrer Webcam. Das machte dann schnell auf dem Schulhof die Runde.

Stehen wir also vor einer Generation Porno? Ann-Marlene Henning winkt ab. "Es gibt keine Generation Porno, sondern eine Generation Sehnsucht", sagt sie. "Die Jugendlichen suchen Zuneigung, indem sie mit anderen intim werden." Sie wollten damit beweisen, dass sie erwachsen und erfahren sind.

Henning findet nicht, dass es immer früher zum Geschlechtsverkehr kommt. "Die heutige Generation ist nicht hemmungsloser, sie weiß nur mehr, probiert mehr aus - und passt dabei übrigens auch besser auf sich auf."

Die Generation Porno ist keuscher, als viele denken. Und vor allem unsicherer.

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