Steinmeiers Autobiographie: Der Frank von nebenan

Der Aufstieg des unauffälligen Mannes aus dem Hintergrund: Frank Steinmeier will mit seinem Buch eine Geschichte, einen Geruch, ein Antlitz bekommen.

Orginell ist anders: Frank Steinmeier skizziert in "Mein Deutschland". Bild: dpa

Brakelsiek ist ein Dorf in Ostwestfalen und tiefste Provinz. Es liegt in einer traditionell armen Gegend, bevölkert von einfachen, arbeitsamen Menschen. In den 50er-Jahren sprach man dort noch Plattdeutsch. In den 60er-Jahren, schreibt Frank-Walter Steinmeier, "fuhr in Brakelsiek zweimal am Tag ein Bus. Aber auch da, wo er hinfuhr, war nicht mehr los." Außer Fußball spielen konnte man nicht viel tun. 1975, als Steinmeiers Interesse für Politik erwachte, ging er zu den Jusos. Aber auch dort musste er nüchtern feststellen: "In Brakelsiek tobte nicht gerade der Klassenkampf."

So freundlich ironisch liest es sich in dem ersten Kapitel von "Mein Deutschland", der merkwürdig besitzergreifend betitelten Selbsterklärung von Frank-Walter Steinmeier. Steinmeier schildert seine Jugend in Brakelsiek erstaunlich stilsicher, jenseits von retrospektiver Veredelung der Heimat zum Hort des Wahren und Guten. "Es gibt keinen Grund, dieses Leben künstlich zu idealisieren", so der SPD-Kandidat. Beim Schreiben half ihm der Journalist Thomas E. Schmidt, der vor ein paar Jahren ein kluges Essaybuch über Heimat verfasst hat. Das merkt man dem Text an.

Den jungen Frank-Walter Steinmeier dürfen wir uns als einen grundvernünftigen, unauffällig strebsamen jungen Mann vorstellen, der ohne die SPD-Bildungsreform der 70er-Jahre vielleicht, wie sein Bruder, Schlosser in Ostwestfalen geworden wäre. So aber studierte er in Gießen. Nicht in Frankfurt oder Berlin, nein, in Gießen, der mit Abstand am wenigsten glamourösen Universität weit und breit. Obwohl Steinmeier dort in einer WG wohnt und irgendwie zur linksalternativen Szene gehört, sind ihm deren Selbstverwirklichungsideen fremd. Dazu steckt zu viel Brakelsiek in ihm. Eigentlich will er gerne Architekt werden - doch er entscheidet sich für Jura. Denn das ist sicher. Kein Risiko.

Das Grundmuster dieser Vita ist der solide, unauffällige Aufstieg. Steinmeier verkörpert den Typus des posttragischen westdeutschen Politikers, der ohne biografische Brüche und Unglücksfälle durchs Leben geht. Ende der 80er-Jahre wird er Hilfsreferent in Gerhard Schröders Staatskanzlei in Hannover, später Chef der Staatskanzlei, dann nach 1998 Chef des Kanzleramts. Er macht sich, pragmatisch und effektiv, unentbehrlich. Und steht immer im Schatten von Schröder.

Das ist nun Steinmeiers Malus als Kanzlerkandidat. Kaum einer kannte ihn, als er Außenminister wurde. Außenminister müssen repräsentieren, sie wirken qua Job immer etwas vage und unpersönlich. Willy Brandt, 1969 Außenminister und SPD-Kandidat, war in ähnlicher Lage. Doch Brandt, Regierender Bürgermeister in Berlin beim Mauerbau 1961, war schon vorher eine öffentliche Figur. Steinmeier hingegen ist ein weißes Blatt. Das soll dieses Buch ändern, ebenso wie die milde verwegen wirkenden Jugendfotos, die derzeit in Zeitungen erscheinen. Steinmeier, der Mann aus dem Hintergrund, soll eine Geschichte, einen Geruch, ein Antlitz bekommen. Dazu taugt "Mein Deutschland" allerdings nur bedingt. Es ist ein amphibisches Buch: ein Viertel lesenswerte Biografie, drei Viertel schwergängige Politprosa. Steinmeier verteidigt die Agenda 2010 energisch, ohne der Debatte Neues hinzuzufügen. Für die Zukunft schwebt ihm eine Art renovierte Deutschland AG vor, mit enger Kooperation von Unternehmen und Gewerkschaften und "geduldigem", langfristig orientiertem Kapital. Am plausibelsten ist noch die Lobrede auf sozialen Aufstieg durch Bildung. Originell ist das nicht, aber biografisch unterfüttert.

Was fehlt, ist jeder Anflug von Selbstkritik. Man erfährt zwar allerlei Details aus der niedersächsischen Landespolitik der 90er-Jahre - aber nichts über Murat Kurnaz. Auch der von der Krise beflügelte sanfte Linksschwenk würde eher einleuchten, wenn sich auf 244 Seiten wenigstens ein kritischer Halbsatz über die Zulassung von Hedgefonds unter Rot-Grün oder die beschleunigte Spaltung in Arm und Reich in der rot-grünen Ära fände.

In toto stellt dieser Text, wie viele Politikerbücher, auch gutwillige Leserinnen hart auf die Probe. Dauernd besteht "Grund zur Zuversicht", stets ist "mutiges Denken nach vorn gefragt", und immer muss die Politik "Kurs halten und wissen, wohin sie unser Land steuert". Gibt es eigentlich Leser, denen diese politische Mutmachprosa, in der bürokratischer Sprachgestus und frohe Botschaft unschön kollidieren, gefällt?

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