Zu Besuch bei der "Jungen Freiheit": Mit Stauffenbergs Degen

Die "Junge Freiheit" fing als neurechte Studentenzeitung an. Heute stolpern bisweilen Politiker über das Berliner Wochenblatt. Ein Besuch in der umstrittensten Redaktion Deutschlands.

Auf der Internetseite gibt es einen Unterpunkt "Blick nach links", der auf den Linksextremismus als "weitgehend vernachlässigte und unterschätzte Gefahr" hinweist. Bild: screenshot junge freiheit

Im Büro von Moritz Schwarz hängt Stauffenbergs Degen. Nur eine Fotografie, aber eine seltene: Ein Fotograf der Jungen Freiheit hat die Hinterlassenschaft des Hitler-Attentäters aufgetrieben. Moritz Schwarz, 37, ist groß, blond, hat blaue Augen und einen durchdringenden Blick. Er möchte mehr erzählen, muss aber noch warten, ob sein Chefredakteur Dieter Stein einverstanden ist. Der schickt die Pressedame: Schwarz habe doch gerade so viel zu tun, der Zeitpunkt sei ungünstig. Im Moment nicht, sagt Schwarz, er warte bloß auf die Autorisierung eines Interviews. Da könne er sich auch unterhalten.

Die rund 20-köpfige Redaktion der Jungen Freiheit sitzt im alten Westen Berlins, nahe dem Fehrbelliner Platz. An dem Jugendstilbau weist kein Schild auf die Zeitung hin, nur auf der goldenen Klingel steht "Junge Freiheit". Die Büroräume sind klinisch sauber, kein Blatt liegt herum. An den Wänden hängen vergilbte Ausgaben der 1986 gegründeten Zeitung. Redakteure sitzen vor ihren Computern, überwiegend jung, alles Männer. Die einzige Redakteurin, eine blonde Finnin, ist zur Zeit im Mutterschutz. Es herrscht angespannte Ruhe.

Willkommen in der Grauzone

Die Junge Freiheit gilt als intellektuelles Sprachrohr der Neuen Rechten und besetzt mit einer geschickten Strategie die Grauzone zwischen Konservatismus und Rechtsradikalismus - und beeinflusst auf ihre diffuse Weise sogar indirekt das politische Geschehen. Zuletzt stürzte der designierte Thüringer Kultusminister Peter Krause über alte Artikel für die rechte Wochenzeitung.

Die Seite Drei, der Platz für die großen Interviews, ist das Aushängeschild der Jungen Freiheit. Die Zeitung schmückt sich mit einer langen Liste namhafter Interviewpartner: Politiker, Historiker und Philosophen, die keineswegs alle aus dem rechten Milieu stammen. Moritz Schwarz verantwortet diese Seite. Seine Interviews erregen Aufsehen - und bringen die Junge Freiheit immer wieder in die Schlagzeilen. Ohne solche Skandale würde sich wohl kaum jemand um die Nischenpublikation kümmern.

Der altlinke Dramatiker Rolf Hochhuth, der mit seinen bizarren Meinungen inzwischen überall hausieren geht, durfte sich hier frei heraus über den Autor David Irving auslassen - einen Publizisten, der den Massenmord an den europäischen Juden bestreitet: "Der Vorwurf, er sei ein Holocaustleugner, ist einfach idiotisch!" Der Redakteur entgegnet mahnend: "Aber Herr Hochhuth, immerhin behauptet Irving, in Auschwitz hätte es keine Gaskammern gegeben." Trotzdem bekommt Hochhuth allen Raum, um für Verständnis für Irving zu werben.

Auch Philipp Freiherr von Boeselager, Mitglied der Verschwörung gegen Hitler, gewährte der Jungen Freiheit eines seiner letzten Interviews. Ebenso der Journalist Michel Friedman. Sogar Charlotte Knobloch, damals Vizepräsidentin im Zentralrat der Juden, ließ sich 2000 von Schwarz über das Verhältnis von "Juden und Nichtjuden" befragen.

Wie schafft es eine ehemalige Studentenzeitung mit rechtsextremen Tendenzen, an solche Gesprächspartner zu kommen?

Einige der Interviewten hatten schlicht keine Ahnung, auf wen sie sich da einließen. Richard Wagners Urenkelin Nike sagte unlängst, sie habe sich 2006 leider nicht genau informiert, bevor sie die per Email gestellte Anfrage beantwortete. Moritz Schwarz bestätigt dieses Phänomen: "Manche verwechseln die Junge Freiheit mit der Jungen Welt" - also mit der ehemaligen FDJ-Zeitung. Andere können mit dem Titel gar nichts anfangen, trauen sich aber nicht nachzufragen, weil sie das für eine Bildungslücke halten. "Wir stellen uns immer korrekt vor", betont Schwarz. Aber natürlich sagt bei der Anfrage auch niemand: "Übrigens, wir sind die umstrittene rechte Zeitung!"

Die Mehrheit jedoch weiß genau, mit wem sie da redet. Berufsprovokateure, die gegen die politische Korrektheit zu Felde ziehen, stoßen bei der Jungen Freiheit auf offene Türen - weil beim Kampf gegen die "politische Korrektheit" der 68er jeder Mitsreiter recht.

Sogar Bazon Brock verspottete in der Jungen Freiheit vor kurzem den "neuen Feminismus" von Charlotte Roche. Auch der israelische Satiriker Ephraim Kishon, den Moritz Schwarz auf der Frankfurter Buchmesse kennenlernte, gab das Interview bewusst: "Ihr niveauvolles Blatt ist nicht radikal, es ist nicht einmal, was man rechts nennt, sonst hätte ich Ihnen kein Interview gegeben." Offenbar gelingt es der Jungen Freiheit immer wieder, rechte Ansichten aus ihren Gesprächspartnern herauszukitzeln. "Der Machtkampf in der Demokratie hat leider niedere Nebenerscheinungen. Wie zum Beispiel den gescheiterten Versuch, Ihre Zeitung zu verbieten oder Ihnen das Konto zu kündigen." Auf das Interview mit Kishon ist Moritz Schwarz besonders stolz: "Eines meiner besten!" Schwarz kam 1999 zur Jungen Freiheit. Vorher war er Praktikant bei der Welt. "Mein Chef hat damals zu mir gesagt, ohne meine politische Anstößigkeit hätte ich durchaus Fuß fassen können." Sogar bei der taz bewarb sich Schwarz aus Neugier; er bekam eine Absage. Bei der Jungen Freiheit konnte er gleich als Redakteur einsteigen. "Dort war die Personaldecke bedenklich dünn." Und hier eckte er auch mit seinen Ansichten nicht mehr an.

Ganz so isoliert, wie man denken könnte, steht die Junge Freiheit in der Presselandschaft nicht da. Eine ehemalige Mitarbeiterin schreibt heute für eine linksliberale Berliner Tageszeitung. Und der einstige Ressortleiter für Innenpolitik ist jetzt Chefredakteur der stramm rechten Deutschen Militärzeitschrift. Interviews gibt dieser auch dem vom Verfassungsschutz beobachteten islamistischen Internetportal "Muslim-Markt". Eine Allianz, die an die Zusammenarbeit von deutschen und arabischen Führern nach 1933 erinnert. Andere Fronten verlaufen heute ganz anders. Zwar waren unter den Praktikanten der Jungen Freiheit stets viele Burschenschaftler.

Doch es gibt auch exotische Kombinationen wie den freien Mitarbeiter, der gleichzeitig einer schlagenden Verbindung angehört und für das Schwulenmagazin dbna - du bist nicht allein schreibt. Oder Bärbel Richter: Sie macht die Öffentlichkeitsarbeit der Jungen Freiheit und schreibt dort über zeitgenössische Kunst. "Die Negation ist, wie das Paradox, bei Bisky programmatisch", lautet ihr wohlwollender Kommentar zu Norbert Bisky, der pinkelnde Jünglinge in Propaganda-Ästhetik malt und Sohn des Linkspartei-Chefs Lothar Bisky ist.

Richter, 38, hat Philosophie studiert und in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen gearbeitet, dem Stasi-Gefängnis. Bis sie ihre heutige Aufgabe fand. "Die unfaire Behandlung der Jungen Freiheit brachte mich zu meinem Engagement für die Zeitung." Das rechte Blatt stilisiert sich in der Opferrolle, als unterdrückte Stimme. So sei das Auto des Chefredakteurs wiederholt mit Steinen beworfen worden.

Auf der Internetseite gibt es einen Unterpunkt "Blick nach links", der auf den Linksextremismus als "weitgehend vernachlässigte und unterschätzte Gefahr" hinweist. Wer linksextreme Strukturen in Universität oder Jugendzentren festgestellt habe, solle sie melden. "Wir greifen den Fall auf und recherchieren weiter."

Die Junge Freiheit hat in den letzten fünfzehn Jahren gelernt, wo die Grenzen verlaufen - was sie sagen darf und was nicht. Letzteres sagen dann andere für sie. So wie der umstrittene Sachbuchautor John Mearsheimer, der in der Jungen Freiheit über den Holocaust als "Kitt der jüdischen Gemeinschaft in den USA" spricht: "Keine Frage, dass die Lobby auch immer wieder den Holocaust in ihre Handlungen und Argumente einbindet."

Oder der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder, dessen Äußerungen über Israel ausführlich zitiert werden: "Als Gottes auserwähltes Volk zu handeln ist nicht nur dumm und arrogant, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

"Was ist schon die Wahrheit?"

Mit eindeutigen Positionen halten sich die Redakteure, anders als zum Beispiel die NPD-Propagandisten, oft zurück: "Was ist schon Wahrheit?", fragt Schwarz: "Es gibt nicht die Wahrheit. Jeder Mensch hat seine Sicht der Dinge. Wenn ich mit anderen spreche, setze ich mich auch mit meiner subjektiven Perspektive auseinander."

Schwarz redet vom Opportunismus der Mehrheit in der Auseinandersetzung mit Rechts. Er prangert an, dass NPD-Mitglieder aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden: Ein Schornsteinfeger verliere sein Gebiet, eine Rettungsschwimmerin ihr Ehrenamt, ein Vater sein Waldorflehramt und dessen Kinder ihre Schulplätze. So erklärt die Junge Freiheit politisch Ausgegrenzte zu Märtyrern.

Den typischen Deutschen dagegen umschreibt Schwarz als ewigen Mitläufer: "Der Kampf gegen Rechts verläuft nach den gleichen Prinzipien wie die Massenmobilisierung der Nazis." Man werde allein schon fürs Mitmachen belohnt: "Leichtfertiges Einreihen minimiert die Reflexion." Selbst in der deutschen "Volksgemeinschaft" fühlt sich die Neue Rechte nicht mehr zu Hause.

Zum wiederholten Mal ruft jetzt der Chefredakteur an: Er hat zwar keine Zeit für ein Gespräch, dafür aber genug, um sich Gedanken darüber zu machen, was sein Redakteur so alles erzählt. Jetzt soll Schwarz aber umgehend in sein Büro kommen, wegen des "Leitartikels".

Moritz Schwarz zeigt noch schnell das neueste Buch über Stauffenberg und den 20. Juli, das im Verlag der Jungen Freiheit erschienen ist. "Mit einem Geleitwort der Witwe Stauffenbergs!"

Kein Wunder, dass Schwarz dem Grafen anhängt: Auch er sieht sich als nationalkonservativer Widerstandskämpfer. Doch in seinem Feldzug ist er nicht ganz so allein.

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