Tagung über Web 2.0 und klassische Medien: Zwischen Befindlichkeit und Quote

Inzwischen haben klassische Medien auf die Neuerungen des Web 2.0 reagiert. Inhaltlich rümpfen Journalisten aber noch die Nase über Blogger.

Multimedia total: die Homepage des ZDF. Bild: screenshot zdf.de

BERLIN taz "Das Web 2.0 und der Bürgerjournalismus werden überschätzt. Das Meiste davon ist irrelevantes Geplapper," sagt Jan Metzger, stellvertretender Leiter des ZDF-heute journals, macht eine Pause und blickt herausfordernd ins Publikum.

Ja, will sein Blick mitteilen, diesen provokanten Satz habe ich gerade wirklich gesagt. Auf einer Konferenz über den Einfluss von Podcasts und Videojournalismus in Berlin. Auf einen empörten Aufschrei aus dem Publikum wartet er allerdings vergeblich. Die paar eingefleischten Blogger und Podcaster, die sich zu der Konferenz von Friedrich-Ebert-Stiftung eingefunden haben, beugen sich in den hinteren Reihen über ihre Laptops und schweigen.

Nur Gerd Brendel, Hörfunkjournalist und Podcaster für das Grimme-Online-Preis nominierte küchenradio.org, sagt frech: "Mangelnde Relevanz? Das ist etwas, worauf wir sehr stolz sind." Denn er und seine Kollegen vom Podcast-Radio quatschen einfach ungeschnitten drauflos, sprechen mit Semiprominenz wie Wladimir Kaminer oder Mieter einer Obdachlosenpension - und kümmern sich wenig darum, wie massenwirksam das ist.

Selbstverwirklichung oder Masse, Professionalität gegen Authentizität - das sind die ewigen Streitpunkte zwischen klassischen Medien und Bloggern. Und so redeten beide auch auf dieser Konferenz an einander vorbei. "Wir haben die These, dass jeder eine interessante Geschichte zu erzählen hat", erläutert etwa Brendel zu seinem Podcast und betonte dessen "radikale Subjektivität". "Als ich anfing, nannte man das Betroffenheitsjournalismus", stichelt Evelyn Fischer, Intendantin der Deutschen Welle.

Und Fischer ist nicht die einzige, die die Nase rümpft. Die Reaktion der klassischen Medien auf die Konkurrenz aus dem Netz ist schizophren. Einerseits bedienen sie sich in immer stärkeren Maße der Mittel des Web 2.0: Das ZDF unterhält eine aufwändige Mediathek und läd seine Beiträge bei YouTube hoch. Immer mehr Lokalsender bieten auf ihren Homepages Vidoestreams feil, Blogs gehören inzwischen zum Must-have jedes professionellen Online-Auftritts. Andererseits aber sehen die klassischen Medien Deutungshoheit und Qualitätsjournalismus noch immer fest in ihren Händen.

So lobt Dietmar Timm, Multimedia-Chef von Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk, zwar, wie sehr die Podcaster das Radio und vor allem das Wortprogramm wiederbelebt hätten, meint aber, man müsse bei der Realität bleiben: Podcasts und Rundfunkanstalten seien zwei verschiedene Dinge - weil die Deutschlandradios eben öffentlich-rechtliche Aufträge ausfüllten und Podcasts sich auf Nischen beschränkten. Und weil die Reicheweite von Radio viel größer sei. ZDF-Mann Metzger stimmt zu. Das Überangebot im Netz würde die Menschen zurück zu etablierten Nachrichtenangeboten zurückbringen, so Metzger. Studien, laut denen 40 Prozent der unter 29-Jährigen angeben, weniger Fernzusehen, seit sie einen Internetanschluss haben und ihre Informationen auch nicht mehr primär aus dem Fernsehen zu beziehen, verunsichern Metzger in dieser Prognose nicht.

Dafür hat Derek Thompson vom französischen Sender France 24 nur Kopfschütteln übrig. So viel Skepsis gegenüber dem Web 2.0 habe er in kaum einem anderen Land erlebt, sagte der Multimedia-Chef des jungen französischen Nachrichtensenders, der kürzlich in der Kritik des französischen Präsidenten Sarkozys stand, weil er eben nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Englisch und Arabisch Nachrichten anbietet.

Thompsons Sender baut derzeit ein weltweites Netzwerk vertrauenswürdiger Beobachter auf, die in Blogs, Videos und Fotos das Weltgeschehen vor Ort beobachten. Per Beamer zeigt er Fotos von Müllbergen in Neapel und Blogbeiträge eines ehemaligen US-Soldaten. Er sei ein klassischer Journalist - und glaube dennoch an, dass die stärkere Einbindung von Bürgern wichtig sei: "Die Öffentlichkeit vertraut Journalisten eben weniger und weniger - aber die Öffentlichkeit vertraut sich gegenseitig."

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