Musiker Carl Oesterholt: Abneigungen pflegen

Der Schlagzeuger und Komponist Carl Oesterhelt hat sich seine eigene Nische erfunden. Zwischen E- und U-Musik wird er nur eins nie machen: ein Stück am Computer.

Definitiv kein Musikinstrument für Carl Oesterholt. Synthesizer und Violinen müssen es schon sein. Bild: photocase / tac6

Gegenwärtig wäre es eine gute Idee, Carl Oesterhelt auf ein Jazzfest einzuladen. Der Münchner Musiker hat nämlich zusammen mit dem Jazzsaxofonisten Johannes Enders ein "Divertimento für Tenorsaxophon und kleines Ensemble" veröffentlicht und verspricht dieses auch tatsächlich dort aufzuführen.

Lange wird es die Gelegenheit aber nicht mehr geben, denn bald schon dürfte es wieder besser sein, Oesterhelt zu einem Popfestival oder einer Reihe für Neue Musik einzuladen. Bestimmt würde er aber auch auf einem Festival für elektronische Musik oder bei einem Konzert, in dem Musik mit Reistüten erzeugt wird, auftreten. Ein Problem wäre nur, dass man nicht so genau wüsste, was Oesterhelt zur Aufführung bringen würde: "Ich habe noch nie irgendetwas zweimal gespielt."

Keine Computerklänge

"Der pflegt eben seine Abneigungen", sagt Thomas Meinecke, Schriftsteller und seit knapp zwanzig Jahren Oesterhelts Bandkollege bei der Pop-Punk-Techno-Blues-Band F.S.K. Eine andere Abneigung Oesterhelts ist die gegen am Computer erzeugte Sounds. Auf Oesterhelt-Alben sind von der Violine bis zum Synthesizer alle Instrumente live eingespielt - nichts wird am Computer gebastelt, selbst auf Loops versucht er zu verzichten.

Oesterhelt ist Schlagzeuger und Komponist. Eine kuriose Mischung, die für den 40-Jährigen aber selbstverständlich ist. Er spielte schon immer in Popbands - und komponierte schon immer Kammermusik. "Es gibt wenige", sagt er, "die wie ich ohne die Strukturen der klassischen Musik klassische Musik machen".

Da braucht es Freunde, die Oesterhelt in Weilheim und München reichlich hat. Zum Beispiel Micha Acher von The Notwist, der mit ihm beim Tied & Tickled Trio Elektropop mit Jazz- und Dub-Einflüssen macht, oder seine F.S.K.-Bandkollegin Michaela Melián, mit der Oesterhelt an Hörspielen gearbeitet hat.

Carl Oesterholt und Johannes Enders: "Divertimento für Tenorsaxophon und kleines Ensemble" (Alien Transistor / Rough Trade)

Sie unterstützen Oesterhelt umgekehrt auch bei eigenen Projekten wie seinen Veröffentlichungen als "Carlo Fashion". Die sechs bisher erschienenen Alben sind eine umfangreiche Ideensammlung, auf denen Elektronik und Jazz, Kammer- und Opernmusik zu Soundtracks gemischt werden, die sich manchmal anhören wie die Electronica-Improvisateure The Cinematic Orchestra, manchmal wie Neue Musik aus den 1920er Jahren. "Carlo Fashion ist eine Art aufgenommenes Tagebuch", sagt Oesterhelt - und mit den 1920ern hat er sich viel beschäftigt in letzter Zeit.

Für eine allmonatliche Lesung von Lion Feuchtwangers Roman "Erfolg" unter der Regie von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen hat Oesterhelt die Musik komponiert. Sich aber nur auf einen musikalischen Bereich zu konzentrieren, wäre Oesterhelts Sache nicht - allein schon wegen seines Arbeitsprozesses: "Wenn ich mich dazu zwinge, das zwei Stunden konzentriert zu machen, dann muss ich auch gleich zwei Stunden etwas Unsinniges machen." Etwas Unsinniges machen, das heißt für Carlo Fashion vor sich hin komponieren - oder für den Partiturenstapel in der Schublade. Ein Zehntel seiner Kompositionen, schätzt Oesterhelt, harrt dort noch der Veröffentlichung.

Nicht unzugänglich sein

Deswegen jobbte er bis vor kurzem zusätzlich zur Musik noch als Barkeeper. Dennoch ist Oesterhelt zufrieden mit seinen Erfolgen: "Das entwickelt sich jetzt so dahin, weil ich es halt will." Oesterhelt zeichnet eine Ur-Münchner Mischung aus Gemütlichkeit und Eigensinn aus. Er schätzt an seiner Heimatstadt, dass man sich ein bisschen verstecken kann und nicht mit aller Macht versuchen muss, sich zu verkaufen oder gar berühmt zu werden.

Als einsamer Avantgardekünstler will er sich keinesfalls verstanden wissen: "Ich will ja nicht unzugänglich sein. Hörer sollen etwas in meiner Musik erkennen können." Auf seinen Eigensinn besteht er aber, das klingt schon an den Titeln seiner Songs - von "A Severe Insult to the Brain" bis "Die wunderlichen Oberiuten" - an.

Das kürzlich veröffentlichte neue Album "Divertimento für Tenorsaxophon und kleines Ensemble" ist für Oesterhelt'sche Begriffe also eher konventionell. Im Januar wird es eventuell eine Präsentation der Platte geben. Das Stück wird dann freilich nicht zur Aufführung kommen. Außer die Einladung zum Jazzfest flattert doch noch rein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.