Grundeinkommen in Namibia: Wo das Geld vom Himmel fällt

In einem namibischen Dorf erhalten alle Bewohner monatlich 100 Namibia-Dollar. Eine Revolution in der Armutsbekämpfung oder Belohnung für Faulpelze?

In Namibia haben nur wenige Zutritt zum Diamantenreichtum in der Wüste. Bild: dpa

Wenige Tage vor Monatsende ist im Shop von Steven Eigowab wie immer wenig los. Die Regale sind leer, das kleine Lager auch. Doch das stört niemanden, denn durch die Tür, wo die trockene Mittagshitze sich mit der relativen Kühle des Ladens vermischt, ist seit dem Morgen kein Kunde gekommen. Eigowab zuckt mit den Schultern. "Kurz vor Monatsende ist es immer dasselbe: Alle warten auf neues Geld." Damit bezahlen die Kunden das, was sie im Lauf der vergangenen Wochen bei Eigowab haben anschreiben lassen. Mit dem Geld kauft Eigowab neue Waren, und der Kreislauf beginnt von vorne. Sorgen um die Kreditwürdigkeit seiner Kunden muss der Kaufmann sich seit Anfang Januar nicht mehr machen. Seitdem nämlich fließt das Geld in Otjivero garantiert.

In der 1.200-Seelen-Gemeinde gut 100 Kilometer östlich von Namibias Hauptstadt Windhuk erhält jeder Bürger monatlich 100 Namibia-Dollar, umgerechnet sind das acht Euro. Reich ist man damit nicht, aber leben kann man davon, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Tun muss man dafür nichts, es gibt keine Bedingungen und kein Kleingedrucktes. Wer in Otjivero lebt, bekommt das Geld. So einfach ist das.

Eigowab konnte es selbst kaum glauben, als vor mehr als einem Jahr der angesehene Bischof Zephania Kameeta im schäbigen Otjivero auftauchte und den Geldsegen versprach. "Ich habe das Misstrauen gespürt", sagt Kameeta. Der auf dem Dorfplatz versammelten Menschenmenge rief der 62-Jährige deshalb irgendwann zu: "Ich bin nicht den langen Weg aus Windhuk hierher gekommen, um zu lügen, dafür bin ich zu alt." Die Leute staunten, und Kameeta, eine Art namibischer Desmond Tutu, grinst noch heute über seine Spitzbüberei. Richtig ernst genommen, sagt Kameeta, haben die meisten ihn aber wohl erst, als Monate später die Zählung der Bürger begann. "Das Ganze war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, selbst die Helfer haben wir erst unmittelbar vor der Abfahrt aus Windhuk informiert", erinnert sich Dirk Haarmann, der gemeinsam mit seiner Frau Claudia das Projekt zum Grundeinkommen in Otjivero im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche Namibias begleitet.

Mit der Geheimnistuerei sollte verhindert werden, dass Verwandte und Bekannte in Otjivero einströmen, um von dem weltweit einzigartigen Modellprojekt zu profitieren. Denn nur wer am Stichtag registriert wurde und jünger ist als 60 Jahre, bekommt das Geld: Genau 930 Menschen. Rentner, die bereits eine staatliche Grundversorgung erhalten, bleiben außen vor. Ansonsten kriegt jeder das Grundeinkommen, vom Säugling bis zum Familienvater, vom Bettler bis zum Reichen. "Das Grundeinkommen befreit die Menschen vom täglichen Existenzkampf", erklärt Haarmann, der aus dem rheinischen Mettmann stammt und seit fünf Jahren in Windhuk lebt. "Hunger macht ökonomisch keinen Sinn", glaubt der Theologe, der auch Soziologie studiert hat. "Nur wer nicht hungert, wird wirtschaftlich aktiv und kann sich selbst aus der Armut befreien." Damit stützt er den Bericht einer staatlichen Kommission, die der namibischen Regierung schon vor sechs Jahren die Einführung des Grundeinkommens für jeden Bürger zur Lösung der sozialen Schieflage im Land empfohlen hat. "Aber die Regierung hat gezögert und gezögert, bis Kirchen, Gewerkschaften und Verbände gesagt haben: jetzt wollen wir einfach mal einen Feldversuch wagen." Bis Ende 2009 läuft das Modellprojekt in Otjivero.

Finanziell, so hat Haarmann ausgerechnet, wäre die flächendeckende Einführung des Grundeinkommens kein Problem. Das ehemalige Deutsch-Südwestafrika hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen Afrikas. Hier liegen die Diamanten förmlich in der Wüste herum, nur dass die Wüste von hohen Zäunen umgeben ist, Areale, die Sperrgebiete heißen. Deshalb ist die Schere zwischen Arm und Reich kaum irgendwo größer als in Namibia: Zwei Drittel der Namibier leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der unter Fünfjährigen ist mangelernährt. Maximal vier Prozent des Bruttosozialprodukts wären nötig, so glaubt Haarmann, um die Lage grundlegend zu ändern. Finanziert werden soll das Grundeinkommen über Steuern, die Reiche stärker belasten, und über Einsparungen: Weil jeder das Gleiche bekommt, sind keine Überprüfungen nötig, kein bürokratischer Überbau. Das macht das Grundeinkommen für den Staat attraktiv.

Einer der Profiteure in Otjivero ist John Thomason, der in der Morgensonne seine einjährige Tochter Hildegard auf dem Arm hält. "Ich kann jetzt einen alten Pick-up abbezahlen." Sein Hof ist übersät mit Ersatzteilen, mit Autos kennt Thomason sich aus. Doch das Kapital, mit seinem Wissen etwas anzufangen, fehlte ihm bisher. "Wenn Leute in die Stadt wollen, ins 50 Kilometer entfernte Gobabis, dann lade ich sie auf die Ladefläche und fahre sie dorthin." Zehn Namibia-Dollar verlangt er für die Hin- und Rückfahrt, bis zu zwölf Personen bekommt Thomason locker zusammen: wegen des Grundeinkommens gibt es auf einmal zahlende Kunden. In der ersten Woche nach der Auszahlung ist Thomason meist täglich unterwegs, den Rest der Zeit unternimmt er gelegentlich Botenfahrten nach Windhuk. Wenn er seine Kosten abrechnet, bleibt genug zum Leben und für das Schulgeld für seine drei anderen Kinder. "Mir geht es besser als früher", sagt der 43-Jährige. Da hat er wie die meisten in Otjivero gar keine reguläre Arbeit gehabt. Seine Frau hat auf den schmalen Streifen staubiger Erde, der das Dorf von den hohen Zäunen der benachbarten Farmen trennt, versucht, ein bisschen Gemüse anzubauen. Zu denen, die gewildert haben, will Thomason selbst nicht gehören, obwohl er Verständnis für die in der Nachbarschaft verschrienen Viehdiebe hat. "Die haben ja nicht wirklich gewildert, nur ab und zu eine Antilope oder so etwas ins Dorf gebracht."

So sehr als Dorf von Ganoven und Taugenichtsen war Otjivero verschrien, dass die Leute Haarmann vor Start des Projekts gefragt haben, warum er gerade diesen Ort für ein Modellprojekt ausgewählt hat. "Ein Pfarrer hat mich gewarnt: Dieses Dorf ist ein Krebsgeschwür, geht da nicht hin", erinnert sich Haarmann. Inzwischen, berichten manche Dörfler stolz, seien die Farmer von nebenan ab und an gar bereit, Leute aus Otjivero als Erntehelfer oder Handlanger einzustellen. "Das wäre früher nicht möglich gewesen", frohlockt Steven Eigowab. Eigowab ist Chef des 18-köpfigen Komitees, das die Dorfbewohner kurz nach der Zählung gewählt haben. Die Idee hatten sie selbst, "um das Projekt zum Erfolg zu machen", sagt Eigowab. Das Komitee half mit, bei der ersten Geldausgabe Ordnung zu schaffen: Sonst wären viele der Wartenden wohl zertrampelt worden bei dem Ansturm auf die Kasse. Inzwischen weiß jeder, dass genug Geld für alle da ist. Das zweite Problem ist delikater: die richtige Verwendung. "Wir wollen nicht, dass alle ihr Geld gleich am Ausgabetag versaufen." Genau das nämlich werfen die Kritiker dem Projekt vor: den Untätigen werde Geld in den Rachen geworfen. Anstatt Arbeit zu belohnen, werde Untätigkeit finanziert. Und tatsächlich feierten die 13 Kaschemmen, Shebeens heißen sie hier, am Abend des ersten Ausgabetags das Geschäft ihres Lebens. Wegen Alkoholismus und "ungebührlichen Verhaltens" nahm die Polizei ein paar Bewohner mit in die Ausnüchterungszelle. Andere trugen ein paar Tage später stolz ein neues Handy oder anderes Konsumgut zur Schau. "Aber spätestens wenn einer den Nachbarn um einen Kredit angehauen hat, kam die Antwort: wieso, du hast doch auch deine 100 Dollar bekommen", so Eigowab. Am Zahltag Nummer zwo sei es entsprechend ziviler zugegangen. Das lag vielleicht auch daran, dass Eigowab und sein Komitee nicht müde wurden, an den Tagen davor warnend von Haus zu Haus zu ziehen: verschwendet nicht euer Geld.

Der Zwischenbericht, den Bischof Kameeta unlängst der namibischen Regierung vorlegte, zieht für die ersten sechs Monate eine fast enthusiastische Bilanz. Der Prozentsatz mangelernährter Kinder ist demnach von 42 auf 17 Prozent gefallen. Die Zahl der Eltern, die Schulgeld bezahlen, hat sich verdoppelt: Statt bisher 40 brechen nur noch fünf Prozent der Kinder die Schule ab. Auch Gesundheit steht ganz oben auf der Prioritätenliste: Die Zahl derjenigen, die vier Dollar für einen Arztbesuch auf den Tisch legten, hat sich seit Januar verfünffacht. Das für die Nachhaltigkeit des Projekts vielleicht wichtigste Ergebnis: Mit ihrer Arbeit ist es den Bewohnern gelungen, ein Gesamteinkommen zu erzielen, das über der Summe des ausgezahlten Grundeinkommens liegt. Die Kriminalität in und um Otjivero ging unterdessen um 20 Prozent zurück.

Mit solchen Argumenten, hofft Haarmann, wird man die Regierung von einer Ausweitung des Projekts überzeugen können - trotz kraftvoller Gegenspieler, allen voran der Internationale Währungsfonds. "Die haben der Regierung die Kosten für das Grundeinkommen künstlich hochgerechnet und das mir gegenüber so begründet: wir sind halt gegen das Prinzip", ärgert sich Haarmann bis heute. Im einst so gefürchteten Otjivero mehren sich hingegen andere Sorgen. "Uns geht es jetzt gut", flüstert Joseph Kanep, der vom Grundeinkommen gerade sein Haus repariert. "Aber wir müssen uns schützen vor Schmugglern, Drogendealern und Banditen, die uns den Reichtum nehmen wollen." Für den Aufschwung in Otjivero gibt es vielleicht keinen besseren Beleg als die neue Angst, die Kanep mit vielen seiner Freunde teilt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.