Außenministerkonferenz in Kabul: Der Westen rüstet zum Abzug

Bis Ende 2014 soll die Kontrolle und Sicherheit Afghanistans in die Hände der Armee und Polizei des Landes übergehen. Doch die Regierung gilt als schwach und korrupt

Noch mehr Waffenträger auf den Straßen Kabuls im Vorfeld der Aussenministerkonferenz. Bild: dpa

kabul taz |"Die ganze Provinz ist zu den Taliban übergelaufen, weil die Regierung so schwach ist", schimpft Mullah Malang. Der 53-Jährige stammt aus der Provinz Badghis im Westen Afghanistans. Er war einer der berühmtesten Mudschaheddin-Kommandanten gegen die sowjetischen Truppen und sitzt heute im afghanischen Parlament in Kabul. Von der Idee, dass die ausländische Truppen das Land bald verlassen und ihre Aufgaben der afghanischen Regierung übertragen könnten, ist Malang nicht begeistert.

Doch der Westen rüstet zum Abzug. Am Dienstag will praktisch alles, was in der internationalen Politik Rang und Namen hat, in Kabul zusammenkommen, um über die Zukunft Afghanistans zu beraten. Nach fast neun Jahren Krieg am Hindukusch soll ein klares Signal gesetzt werden, dass Afghanistan selbst sein Schicksal in die Hand nimmt. Dann will Afghanistans Präsident Hamid Karsai Berichten zufolge einen Exit-Zeitplan verkünden, wonach bis Ende 2014 die Kontrolle und Sicherheit des Landes in die Hände der afghanischen Armee und Polizei übergehen soll.

Die Zeit drängt: Die Niederlande wollen ihre Soldaten im kommenden Jahr nach Hause holen, auch Kanada will seine Truppen 2011 abziehen. Großbritannien will das Land in den nächsten vier Jahren verlassen. Andere europäische Regierungen stehen massiv unter Druck, weil der Krieg bei der Wählerschaft immer mehr an Rückhalt verliert. Auch die USA suchen nach einer Exit-Strategie. Nach einer Truppenaufstockung von 30.000 Soldaten in diesem Jahr soll bereits 2011 schrittweise mit dem Abzug begonnen werden.

Doch viele in Afghanistan halten das Abzugsdatum für unrealistisch in einem Land, das wieder zu 70 Prozent von den Aufständischen kontrolliert wird. "Ich sehe nicht, dass der Abzug der USA Afghanistan dient", sagt Mariam Safi, Wissenschaftlerin am Centre for Conflict and Peace Studies in Kabul. "Es ist zu früh. In praktisch jeder Provinz gibt es einen Aufstand. Es gibt keine Regierung", klagt auch Mullah Malang aus Badghis. In seiner Provinz, erzählt er, "treiben die Taliban Steuern ein". "Sie haben ihre eigenen Gerichte, ihre eigene Rechtsprechung." Und Martine van Bijlert, Co-Leiterin der Organisation Afghan Analyst Network, zeichnet ein ähnliches Bild: "Die Situation ist verfahren. Die Menschen haben Angst. Sie haben Angst, wenn die Truppen abziehen. Und sie haben Angst, wenn die westlichen Truppen bleiben, weil das die Taliban stärkt."

Auch das Programm zur Wiedereingliederung abtrünniger Taliban-Kämpfer sieht Exkommandant Mullah Malang kritisch: "Es ist Schwachsinn. Die afghanische Regierung sammelt doch nur Gelder bei den Europäern und Amerikanern ein, um es dann auf das eigenes Bankkonto zu schaffen." Der Plan, 36.000 Aufständische in den nächsten fünf Jahren mit Geld dazu zu bringen, dem bewaffneten Kampf abzuschwören, ist auch unter den westlichen Partnern stark umstritten.

Das Vertrauen des Westens in die Regierungsfähigkeit Kabuls ist in der letzten Zeit nicht gerade gestärkt worden. Laut Wall Street Journal sollen seit 2007 mindestens 3,18 Milliarden US-Dollar aus dem Land geschafft worden sein, nachdem das Geld offiziell beim Zoll deklariert wurde. Bislang werden nur 20 Prozent aller Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft von der Regierung verwaltet. Der Anteil soll auf 50 Prozent steigen, doch nur, wenn die Regierung Karsai stärker gegen Korruption vorgeht.

Das Abhalten der Konferenz in Kabul soll zwar die neue Rolle Afghanistans unterstreichen, doch es birgt ein Risiko: Denn ob die afghanische Regierung wirklich für die Sicherheit von etwa 40 Außenministern sorgen kann in einer Stadt, die unter ständigen Angriffen der Taliban leidet, ist fraglich. Zwar sind große Teile Kabuls abgesperrt, tausende zusätzliche Soldaten sind im Einsatz, der Flughafen geschlossen. Doch am Sonntag tötete ein Selbstmordattentäter auf einer Hauptverkehrsstraße in Kabul mindestens drei Menschen.

Die Konferenz in Kabul macht die schwierige regionale Dimension des Afghanistan-Konfliktes sichtbar, in dem auch Nachbarländer wie Pakistan und Iran ihren Einfluss sichern möchten. US-Außenministerin Hillary Clinton besuchte am Montag Islamabad, um Pakistan mehr als 500 Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern zu versprechen und Druck auf den unsicheren Alliierten zu machen, gegen die Taliban vorzugehen, die Pakistan als ihr Rückzugsgebiet nutzen.

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