Wahlbetrug in Afghanistan: Vorläufige Mehrheit für Karsai

Angeblich hat Amtsinhaber Karsai die Wahl mit 55 Prozent gewonnen. Bis zur Bekanntgabe des endgültigen Resultats kann es dauern. Zwei Kommissionen liegen im Clinch.

Das Misstrauen gegenüber der Wahlkommission ist angebracht. Bild: dpa

KABUL taz | Knapp vier Wochen nach der Präsidentschaftswahl am 20. August hat die Unabhängige Wahlkommission (UWK) am Mittwoch Amtsinhaber Hamid Karsai mit 54,6 Prozent der Stimmen zum vorläufigen Sieger erklärt. Karsai könne jedoch noch nicht zum Präsidenten erklärt werden, solange Betrugsvorwürfe bei den Wahlen nicht geklärt seien, hieß es in Kabul weiter.

Doch auch nach der Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses wird die Ermittlung der endgültigen Resultate noch dauern. Denn die Wahlen verliefen vor allem im paschtunischen Süden chaotisch. Aber auch im Norden, wo Warlords und Kommandeursnetzwerke herrschen, waren sie alles andere als sauber - hier wurde die Entscheidung der Wähler vor allem durch Geldgeschenke und Drohungen beeinflusst. Geschichten über inszenierte Talibanattacken, die Wahlpersonal in die Flucht schlugen, damit Wahlurnen mit vorgefertigten Stimmen vollgestopft werden konnten, Lieferungen von Wahlurnen frei Haus und 800 Geisterwahlstationen ohne Wähler, aber vielen abgegebenen Stimmen, füllen weltweit die Medien.

Daher überrascht es nicht, wenn bei der parallel zur UWK agierenden Wahlbeschwerdekommission (WBK) noch rund 2.000 Beschwerden anhängig sind. Sie fordert die Neuauszählung von 2.500 Wahlurnen.

Die Bearbeitung der Beschwerden wird sich hinziehen, auch wenn WBK-Chef Grant Kippen das bis Ende September erledigt haben will. UWK-Chef Azizullah Ludin, ein Vertrauter von Amtsinhaber Hamid Karsai, hatte hingegen auf die Veröffentlichung des vorläufigen Ergebnisses zum 17. September gedrängt.

Der Streit zwischen Ludin und Kippen beschreibt die Situation, in der die Wahlen stattfanden. Afghanistans Institutionen waren noch nicht so weit, diese langwierige Übung allein in einer Qualität zu leiten, dass hinterher auch ein legitimes Ergebnis herauskommt. Vor allem die UWK, deren Chef vom Präsidenten ernannt wird, handelt trotz ihres Namens nicht unparteiisch. Die Kippen-Kommission verdankt ihren Status und Zuschnitt sogar einer der zahlreichen Pannen im afghanischen Gesetzgebungsprozess: Das Parlament hatte es nicht rechtzeitig geschafft, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden. Dadurch blieb das alte gültig, das vorsah, dass zu den ersten Wahlen 2004/05 die Beschwerdekommission aus drei von der UNO vorgeschlagenen Ausländern und zwei Afghanen besteht. Karsai überhäufte Ludin mit Lob und verteilte gleichzeitig Seitenhiebe gegen die angebliche "ausländische Einmischung" durch Kippen.

Die Frage ist nun, ob die Kippen-Kommission genügend Zeit und Rückendeckung bekommt, um alle Beschwerden abzuarbeiten. Von Karsai kann sie das nicht erwarten. Das wäre Aufgabe der UNO und der US-Regierung, die Interesse an politischer Stabilität haben müssten. Die Frage ist nur, was sie darunter verstehen. Der UN-Gesandte in Kabul, Kai Eide, geht davon aus, dass er weiter mit Karsai arbeiten muss, und will seine augenblicklich guten Beziehungen zu ihm nicht gefährden. Washingtons Afghanistan/Pakistan-Sondergesandter Richard Holbrooke wiederholte am Freitag seine beschwichtigenden Äußerungen, dass es auch "überall im Westen nicht perfekte Wahlen" gebe. Das lässt darauf schließen, dass sich die USA einen teuren zweiten Wahlgang sparen und weiter auf Karsai setzen wollen.

Wenn UWK-Chef Ludin nicht befürchten muss, dass Holbrooke und Eide ihn bremsen, könnte das Szenario wie folgt aussehen: Die UWK zieht ein paar besonders anrüchige Wahlurnen aus dem Verkehr, aber so, dass Karsais Ergebnis noch über 50 Prozent bleibt, erklärt ihn zum Sieger und lässt Kippen auf seinen restlichen Beschwerden sitzen. Das wäre zwar gegen die Bestimmungen, die vorsehen, dass die UWK das Endergebnis erst verkünden kann, wenn "alle Beschwerden durch die Beschwerdekommission bearbeitet sind". Die Frage ist, ob sich dann im Westen noch irgendwo Protest regt. Zahlreiche Politiker in den Hauptstädten werden froh sein, wenn das Durcheinander endlich vorbei ist.

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