Afghanistan-Rückkehrer: Es ist Krieg - und keiner schaut hin

Die deutsche Politik schickt Soldaten nach Afghanistan - doch deren Kriegserfahrungen interessieren nach ihrer Rückkehr die Öffentlichkeit kaum. Vor allem Medien meiden das Thema.

Sieht Dinge, die in Deutschland niemanden mehr wissen will: Bundeswehrsoldat in Kabul. Bild: ap

Der Einsatz: Die Bundeswehr ist im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe Isaf in Afghanistan und Usbekistan stationiert. Die Angaben über die Anzahl teilnehmender Länder und Truppen variieren selbst auf der offiziellen Isaf-Webseite. Nach Angaben von 2007 stellen 37 Nato- und Nicht-Nato-Staaten 35.000 Soldaten. Hauptquartier der Mission ist Kabul.

Die Politik: Der Bundestag stimmte im Oktober 2008 der Verlängerung des Mandats bis Dezember 2009 zu und beschloss eine Erhöhung der eingesetzten Soldaten um 1.000 auf 4.500. "Wir brauchen ein Stück mehr Flexibilität, um auf Herausforderungen reagieren zu können", begründet Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Aufstockung. Laut dem Bundesministerium der Verteidigung votierten bei 570 abgegebenen Stimmen 442 Abgeordnete mit Ja, 96 mit Nein. 32 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Weiter heißt es: "Ziel des Engagements in Afghanistan ist es, eine staatliche Ordnung in Afghanistan aufzubauen." Andere Nationen, darunter die USA, sind in Afghanistan noch im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" aktiv.

Wahrscheinlich ist es nicht, dass sich heute Abend viele Menschen in Deutschland fragen, was die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan machen. Wahrscheinlich ist auch nicht, dass die Menschen sich wegen eines Filmes ernsthaft überlegen, ob sie selbst hinter dem Einsatz stehen oder nicht. Noch unwahrscheinlicher ist, dass die Zuschauer sofort erkennen, welche Dimension dieser Einsatz wirklich hat. Doch trotzdem lässt die Ausstrahlung des Films "Willkommen zuhause" (Montag 20.15, ARD), der dieses Thema aufgreift und in eine persönliche Leidensgeschichte presst, hoffen: auf die Öffnung des fiktiven Genres für das politische Thema "Afghanistan-Einsatz".

Man kann es auch "Afghanistan-Krieg" nennen. Sofern man nicht Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ist. "Wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus, aber nicht im Krieg", sagte er in einer Fernsehreportage im Herbst zu einem seiner wenigen Afghanistanbesuche. Komisch nur, dass ein Soldat, der in Kundus stationiert war, im gleichen Beitrag genau das Gegenteil behauptet: "Das hier ist Krieg", kommentierte er seinen Einsatz.

Tausende von Soldaten werden jedes Jahr nach Afghanistan geflogen, in einem Zeltlager untergebracht, auf Patrouille geschickt. Wenn alles gut läuft, kommen sie unversehrt nach Hause, und das Leben geht, auch dank des ersehnten steuerfreien, nun noch erhöhten Auslandsverwendungszuschlags, weiter. Die Kriegserfahrung dieser Menschen aber interessiert wenige. Soldatinnen und Soldaten sind eben keine Sympathieträger, sondern höchstens zu bemitleiden. Auch deswegen bewertet der größere Teil der Bevölkerung den Einsatz sehr negativ. Bei einer Umfrage des ARD-Deutschlandtrends im September 2007 sagten 62 Prozent der Befragten in Deutschland, die Bundeswehr solle sich möglichst schnell aus Afghanistan zurückziehen.

Etwa 6.900 Soldatinnen und Soldaten sind nach Bundeswehr-Angaben momentan im Auslandseinsatz, davon 3.250 in Afghanistan und Usbekistan. Im Herbst wurde das Mandat verlängert und um 1.000 Mann auf rund 4.500 aufgestockt. Die Bundeswehr ist verantwortlich für die Schnelle Eingreiftruppe, die Quick Reaction Force QRF. Seit Ende 2001 läuft dieser Einsatz nun, seitdem wird er so verkauft, als sei die Bundeswehr ein besseres Technisches Hilfswerk, das Brunnen und Straßen baut, Lebensmittel verteilt und Wasserleitungen legt. Ab und an werden Berichte gesendet, aber die Deutschen, sagte der Afghanistan-Experte Herbert Sahlmann, seien mit anderen Dingen beschäftigt, beispielsweise der Finanzkrise.

So wird in den politischen Talkshows über das Konjunkturpaket debattiert, die Landtagswahlen, den Selbstmord eines Industriellen und jetzt auch noch über den Gaza-Krieg. Lediglich am 21. Oktober 2008 wurde die Frage "Deutschland im Krieg - verdrängen wir die Gefahr?" in der ARD-Couch "Menschen bei Maischberger" aufgeworfen. Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) saß in der Runde, wie auch ein ehemaliger Hauptfeldwebel, der in Afghanistan Opfer eines Selbstmordanschlags wurde und seitdem unter Angstzuständen leidet. Seine Geschichte war bestürzend. Aber auch wirklich für den Zuschauer nachhaltig erschütternd? Nein. Zu wenig wurde, und man mag es dem Mann keinesfalls vorhalten, auf effekthascherische Details geachtet.

Der große Effekt nämlich ist meistens das Privileg des Spielfilms. Durch die Konstruktion des Plots werden scheinbare Realitäten dargestellt, die beim Zuschauer Wirkung erzielen. Dadurch, dass es nicht wirklich ist, wird es echt. Und eindringlich. Deswegen kann ein in der dem Zuschauer eigentlich unbekannten Realität eingebetteter Film - aus Journalistensicht oftmals leider - mehr bewirken als jeder Bericht. Weil er genau so aufgebaut ist, dass sich viele mit einer der Figuren identifizieren können. Weil er immer noch genug Blödel-Bundis zeigt, die eigene Vorurteile absichernd bestätigen. Vor allem aber, weil er zur Primetime läuft.

"Der Krieg in Afghanistan findet in der bundesdeutschen Öffentlichkeit nur statt, wenn es deutsche Opfer gibt", findet auch Andreas Heinemann-Grüder vom Bonner International Centre for Conversion, einem Friedensforschungsinstitut, und fügt hinzu: "In Deutschland sehen wir eine weitgehende Entpolitisierung dieser Diskussion. Nur die Linken probieren, sie zu politisieren, aber die gelten ja sowieso als nicht regierungsfähig."

Doch nicht nur weil das Interesse fehlt, tun sich Medien schwer mit dem Einsatz. Die Lage ist kompliziert, selbst viele Friedensaktivisten halten einen sofortigen Rückzug für falsch. Zudem, und auch dies spiegelt sich im spärlichen Informationsfluss wieder, gilt das Land nicht gerade als Traumziel, in dem die größte Sicherheitsfrage lautet, ob man seinen iPod auf dem Bett liegen lassen kann oder doch besser in den Hotelsafe sperrt. Das Land ist gefährlich. Für jeden. Für Mitarbeiter von Hilfswerken, für Soldaten, für Einheimische, aber auch für Journalisten. "Früher konnte man in Afghanistan noch zwischen No-go-Areas und dem Rest unterscheiden", erklärt Heinemann-Grüder. "Heute ist eigentlich ganz Afghanistan ein No-go-Area." Bei den Soldaten vor Ort ist die Stimmung folglich desaströs, eben auch, weil sie wissen, dass sie ihren Auftrag, nämlich Frieden zu stiften, gar nicht ausfüllen können.

Auch bei den Afghanen selbst, sagt Hans-Georg Ehrhart, Leiter des Zentrums für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, hat sich das Bild vom Einsatz kontinuierlich verschlechtert. Zwar gebe es regionale Unterschiede, aber gefährlich sei, dass die Alliierten in Afghanistan zunehmend als Besatzungsmächte gesehen werden. "Die Menschen vor Ort sehen das als Krieg. Es wird gekämpft und getötet."

Diese Toten aber als Normalität anzusehen entspricht dem politischen Willen. Teilweise noch dem derer, die dem Einsatz 2001 zustimmten. Aber auch dem der regierenden Parteien, der CDU/CSU und der SPD. So legte Franz Josef Jung im November den Grundstein für ein Ehrenmal für tote Soldaten auf dem Hof seines Ministeriums. Das ließe sich positiv interpretieren. Dass aber der Ort, wie die taz damals berichtete, von einer handverlesenen Kommission ermittelt wurde, spricht Bände: Die Bundeswehr macht nach wie vor lieber alles mit sich selber aus und duckt sich unter der anrasenden Ablehnung der Bevölkerung weg. Stattdessen gelingt es immer wieder, auch mit Hilfe des Anti-Piraten-Einsatzes am Golf von Aden, sich als dringend benötigter Helfer darzustellen.

Auch "Willkommen zuhause" ist, den Bildern nach zu urteilen, nicht ganz ohne die Hilfe der Bundeswehr entstanden. Dass sie aber nicht gänzlich kontrollieren konnte, was da am Ende bei herauskommt, zeigt ein kleiner Fehler im Film, der die Schulterklappen des Psychiaters und Oberstabsarztes Dr. Jochen Wiegand betrifft. Entweder wurde er auf einen nicht mehr existenten Dienstgrad heruntergestuft, oder es handelt sich um einen Fehler. Letzteres vermutlich. Wenn das Thema nun aufgegriffen wird, wenn die Gefühlslage der Soldaten auch jenseits des Y-Magazins interessiert, dann könnte über die Populärschiene endlich eine breitere Diskussion stattfinden, als es momentan der Fall ist. Ein weiteres Indiz für das langsame Einsickern dieses Themas in das Filmgeschäft ist auch, dass die Hauptfigur in Christian Petzolds "Jerichow", der gerade in den Kinos läuft, auch als "Afghanistan-Heimkehrer" gilt.

Von anderen Kriegen, beispielsweise dem in Gaza, sehen wir mehr, weil die Raketeneinschläge eben sichtbarer sind. Afghanistan ist ein ferner Winkel dieser Welt. Aber einer, in dem deutsche Wähler Menschen schicken. Deswegen muss man sich auch wirklich fragen, ob das gut ist. Die Diskussion wurde durch "Willkommen zuhause" ausgelöst, jetzt muss sie weitergeführt werden. Vor allem in dem von allen "Superwahljahr" genannten 2009.

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