Internationaler Waffenbericht: Die Abrüstung der anderen

Im aktuellen Abrüstungsbericht der Bundesregierung wird viel über die weite Welt und ihre Waffen erzählt - über das hiesige Entwaffnungspotenzial aber so gut wie nichts.

Wie viele Kampfhubschrauber hat eigentlich Franz Josef Jung? Bild: dpa

Wer das Dokument in den Händen hält, könnte fast vermuten, die Welt stehe kurz vor der vollständigen Entwaffnung. Im jährlichen Abrüstungsbericht der Bundesregierung, der am Freitag im Parlament diskutiert wurde (siehe Kasten), schildert sie auf immerhin 158 eng bedruckten Seiten ihre "Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung" - so der offizielle Name des Berichts.

Der Bundestag hat sich einmütig für mehr Anstrengungen bei der weltweiten Abrüstung und Rüstungskontrolle ausgesprochen. Dies gelte sowohl für Atomwaffen als auch für konventionelle und Kleinwaffen, machten mehrere Redner am Freitag in einer Debatte über den Abrüstungsbericht der Bundesregierung deutlich.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte: "Das Jahr 2008 wird uns abrüstungspolitisch nicht in Ruhe lassen." Natürlich dürften neue Gefahren und Bedrohungen nicht ignoriert werden. Es gebe aber durchaus Hoffnung auf Unterstützung aus den USA bei der Atomwaffenreduzierung, sagte Steinmeier auch mit Blick auf den derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf. Fortschritte seien auch beim Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) nötig. Russland hatte ihn Mitte Dezember offiziell außer Kraft gesetzt. DPA

Und klar wird: Bemüht hat sich die Bundesregierung - wenn auch vor allem um den Rest der Welt.

So erfährt man über Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, dass diese Staaten im Berichtszeitraum erfreulicherweise ein Abkommen über die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Zentralasien unterzeichnet haben. Besorgt zeigt sich die Bundesregierung über das Atomprogramm im Iran. Und über Nordkorea wurde notiert, dass es im selben Jahr einen Atomtest unternommen hat.

Kaum aufregende Neuigkeiten. Erstaunlich sind da schon eher die äußerst gelassenen Einschätzungen der Atomwaffenprogramme Indiens und Pakistans in der Jahresbilanz.

Bei so viel globaler Wissensvermittlung kommt die Information über ein militärisch nicht ganz unbedeutendes Land in Mitteleuropa allerdings etwas kurz: die Bundesrepublik Deutschland. Abrüstung ist nach Lesart des Berichts zuallererst die Abrüstung der anderen. Werden in den übrigen routinemäßigen Berichten an den Bundestag auch und vor allem die Erfolge oder auch Rückschläge vor der eigenen Haustür betrachtet, widmet der Abrüstungsbericht gerade einmal zwei kurze Absätzen der Lage im eigenen Land. Und in denen beschränkt sich die Bundesregierung auf ein Selbstlob: für die "substanziellen Beiträge" der Bundeswehr zur "internationalen Friedenssicherung".

Dabei gäbe es etliche abrüstungsrelevante Fragen. Zum Beispiel, wie die Bundeswehr aufrüsten muss, um sich an den schnellen Eingreiftruppen von Nato und EU beteiligen zu können. Oder ob sich die Bundesrepublik nach dem 2005 begonnenen Bau des deutsch-amerikanischen Raketenabwehrsystems Meads nun auch für ein umfassendes Abwehrsystem der Nato einsetzt. Auch ein paar Zeilen zu der Frage, wie viele Atomwaffen in Deutschland achtzehn Jahre nach dem Fall der Mauer noch lagern und wie lange Bundeswehrpiloten noch deren Einsatz üben sollen, sucht man in dem nun vorgelegten Jahresabrüstungsbericht vergeblich.

So starr ist der Blick auf den Rest der Welt, dass die Bundesregierung nicht einmal einen erfreulichen Fall von Abrüstung im eigenen Land erwähnt. Denn seit 2005 lagern zumindest auf dem US-Stützpunkt Ramstein keine Atomwaffen mehr. Bekannt wurde der dauerhafte Abzug erst im Juli 2007 - nicht etwa durch eine Unterrichtung der Bundesregierung, sondern durch aufwändige Recherchen eines agilen Washingtoner Rüstungsexperten. Die verbliebenen Atomwaffen im eigenen Land - so lagern auf dem Bundeswehrstützpunkt Büchel in Rheinland-Pfalz weiterhin Bomben - sind der Bundesregierung erst recht keine Zeile im Abrüstungsbericht wert.

Ausführlich aufgelistet wird hingegen jedes einzelne der von der Bundesregierung mit insgesamt 15,27 Millionen Euro geförderten Projekte zur Minenräumung. Doch auch hier hat der Bericht einen Schönheitsfehler. Kein Satz dazu, dass deutsche Firmen weiterhin minenähnliche Streumunition herstellen und diese auch exportieren. Kein Wort auch dazu, dass die Bundesregierung diese Munition nicht aus den eigenen Arsenalen entfernen will - und sich deshalb erst im Dezember bei einer internationalen Konferenz in Wien gegen ein vollständiges Verbot dieser Waffen engagiert hat.

Stattdessen wird selbst die Beteiligung an militärischen Planungen, zumal rechtlich höchst umstrittenen, als abrüstungspolitisches Engagement verkauft: Bei der im Bericht aufgelisteten Proliferation Security Initiative (PSI) handelt es sich nämlich um eine 2003 von US-Präsident George W. Bush initiierte Vereinbarung über das militärische Abfangen von Schiffen, auf denen amerikanische Geheimdienste Waffenkomponenten vermuten.

Überhaupt: Höchst diplomatisch ist der Ton des dem Bundestag vorgelegten Abrüstungsberichts immer dann, wenn es um die USA geht. Da wird über die National Security Strategy (NSS) der Vereinigten Staaten referiert, ohne ein kritisches Wort über deren Kern zu verlieren: die mit dem Irakkrieg umgesetzte Präventivstrategie. Kein Wort auch über die Aufrüstung der Mittelostregion mit tatkräftiger Unterstützung der USA. Selbst die Information, dass die USA für 46 Prozent der weltweiten Militärausgaben verantwortlich sind, müssen sich die Abgeordneten aus anderer Quelle holen.

Auch wer etwas über deutsche Abrüstungsperspektiven erfahren will, wird sich anderweitig kundig machen müssen: Im 2006 vorgelegten "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" proklamiert die Bundesregierung nicht nur die Beteiligung an weltweiten Kampfeinsätzen. Auch die rüstungspolitischen Konsequenzen werden dort beschrieben, allerdings in einem für Nichtmilitärs kaum verständlichen Code.

Die Bundeswehr strebe, so heißt es im Weißbuch, "eine kontinuierliche Verbesserung ihres Fähigkeitsprofils an". Die Eingreifkräfte würden mit "hochwertiger Technologie ausgerüstet", um deutliche Verbesserungen "in der Befähigung zu Operationen hoher Intensität zu erzielen". Das kann man auch Aufrüstung nennen.

Wer das Dokument in den Händen hält, könnte fast vermuten, die Welt stehe kurz vor der vollständigen Entwaffnung. Im jährlichen Abrüstungsbericht der Bundesregierung, der am Freitag im Parlament diskutiert wurde (siehe Kasten), schildert sie auf immerhin 158 eng bedruckten Seiten ihre "Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung" - so der offizielle Name des Berichts.

Und klar wird: Bemüht hat sich die Bundesregierung - wenn auch vor allem um den Rest der Welt.

So erfährt man über Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, dass diese Staaten im Berichtszeitraum erfreulicherweise ein Abkommen über die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Zentralasien unterzeichnet haben. Besorgt zeigt sich die Bundesregierung über das Atomprogramm im Iran. Und über Nordkorea wurde notiert, dass es im selben Jahr einen Atomtest unternommen hat.

Kaum aufregende Neuigkeiten. Erstaunlich sind da schon eher die äußerst gelassenen Einschätzungen der Atomwaffenprogramme Indiens und Pakistans in der Jahresbilanz.

Bei so viel globaler Wissensvermittlung kommt die Information über ein militärisch nicht ganz unbedeutendes Land in Mitteleuropa allerdings etwas kurz: die Bundesrepublik Deutschland. Abrüstung ist nach Lesart des Berichts zuallererst die Abrüstung der anderen. Werden in den übrigen routinemäßigen Berichten an den Bundestag auch und vor allem die Erfolge oder auch Rückschläge vor der eigenen Haustür betrachtet, widmet der Abrüstungsbericht gerade einmal zwei kurze Absätzen der Lage im eigenen Land. Und in denen beschränkt sich die Bundesregierung auf ein Selbstlob: für die "substanziellen Beiträge" der Bundeswehr zur "internationalen Friedenssicherung".

Dabei gäbe es etliche abrüstungsrelevante Fragen. Zum Beispiel, wie die Bundeswehr aufrüsten muss, um sich an den schnellen Eingreiftruppen von Nato und EU beteiligen zu können. Oder ob sich die Bundesrepublik nach dem 2005 begonnenen Bau des deutsch-amerikanischen Raketenabwehrsystems Meads nun auch für ein umfassendes Abwehrsystem der Nato einsetzt. Auch ein paar Zeilen zu der Frage, wie viele Atomwaffen in Deutschland achtzehn Jahre nach dem Fall der Mauer noch lagern und wie lange Bundeswehrpiloten noch deren Einsatz üben sollen, sucht man in dem nun vorgelegten Jahresabrüstungsbericht vergeblich.

So starr ist der Blick auf den Rest der Welt, dass die Bundesregierung nicht einmal einen erfreulichen Fall von Abrüstung im eigenen Land erwähnt. Denn seit 2005 lagern zumindest auf dem US-Stützpunkt Ramstein keine Atomwaffen mehr. Bekannt wurde der dauerhafte Abzug erst im Juli 2007 - nicht etwa durch eine Unterrichtung der Bundesregierung, sondern durch aufwändige Recherchen eines agilen Washingtoner Rüstungsexperten. Die verbliebenen Atomwaffen im eigenen Land - so lagern auf dem Bundeswehrstützpunkt Büchel in Rheinland-Pfalz weiterhin Bomben - sind der Bundesregierung erst recht keine Zeile im Abrüstungsbericht wert.

Ausführlich aufgelistet wird hingegen jedes einzelne der von der Bundesregierung mit insgesamt 15,27 Millionen Euro geförderten Projekte zur Minenräumung. Doch auch hier hat der Bericht einen Schönheitsfehler. Kein Satz dazu, dass deutsche Firmen weiterhin minenähnliche Streumunition herstellen und diese auch exportieren. Kein Wort auch dazu, dass die Bundesregierung diese Munition nicht aus den eigenen Arsenalen entfernen will - und sich deshalb erst im Dezember bei einer internationalen Konferenz in Wien gegen ein vollständiges Verbot dieser Waffen engagiert hat.

Stattdessen wird selbst die Beteiligung an militärischen Planungen, zumal rechtlich höchst umstrittenen, als abrüstungspolitisches Engagement verkauft: Bei der im Bericht aufgelisteten Proliferation Security Initiative (PSI) handelt es sich nämlich um eine 2003 von US-Präsident George W. Bush initiierte Vereinbarung über das militärische Abfangen von Schiffen, auf denen amerikanische Geheimdienste Waffenkomponenten vermuten.

Überhaupt: Höchst diplomatisch ist der Ton des dem Bundestag vorgelegten Abrüstungsberichts immer dann, wenn es um die USA geht. Da wird über die National Security Strategy (NSS) der Vereinigten Staaten referiert, ohne ein kritisches Wort über deren Kern zu verlieren: die mit dem Irakkrieg umgesetzte Präventivstrategie. Kein Wort auch über die Aufrüstung der Mittelostregion mit tatkräftiger Unterstützung der USA. Selbst die Information, dass die USA für 46 Prozent der weltweiten Militärausgaben verantwortlich sind, müssen sich die Abgeordneten aus anderer Quelle holen.

Auch wer etwas über deutsche Abrüstungsperspektiven erfahren will, wird sich anderweitig kundig machen müssen: Im 2006 vorgelegten "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" proklamiert die Bundesregierung nicht nur die Beteiligung an weltweiten Kampfeinsätzen. Auch die rüstungspolitischen Konsequenzen werden dort beschrieben, allerdings in einem für Nichtmilitärs kaum verständlichen Code.

Die Bundeswehr strebe, so heißt es im Weißbuch, "eine kontinuierliche Verbesserung ihres Fähigkeitsprofils an". Die Eingreifkräfte würden mit "hochwertiger Technologie ausgerüstet", um deutliche Verbesserungen "in der Befähigung zu Operationen hoher Intensität zu erzielen". Das kann man auch Aufrüstung nennen.

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