Nazis zieren Schulgebäude: Zweifelhafte Namensgeber

Mehr als 100 Schulen in Deutschland sollen auch heute noch nach Nationalsozialisten benannt sein. Ein Chemnitzer Historiker hat allein in Sachsen 16 von ihnen entdeckt.

Gedenkstätte Dachau: Auch hier töteten NS-Rassenhygieniker. Bild: dpa

Auf die Idee, eine Schule für Körperbehinderte nach einem Rassenhygieniker und zeitweisen SA-Mitglied zu benennen, kämen wohl die wenigsten. Doch in Dresden kommt Rainer Fetscher zu solchen Ehren. Der Arzt hatte von 1923 an "Erbbiologische Karteien" zur Erfassung "biologisch minderwertiger Personen" angelegt.

Mindestens 65 Menschen hat er Anfang der 30er-Jahre selbst sterilisieren lassen. Hitlers "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933 bezeichnete er als "verheißungsvollen Auftakt", da es "nicht nur die Möglichkeit rassenhygienischer Unfruchtbarmachungen schafft, sondern auch gestattet einen Zwang auszuüben". Im selben Jahr trat Fetscher in die SA ein, die er 1935 aber wieder verließ.

Das ist eines von mehreren Beispielen zweifelhafter Namensgeber für Schulen, die der Chemnitzer Historiker Geralf Gemser in einer gerade erschienen Studie zusammengetragen hat. Bisher hat Gemser sich nur die rund 2.000 Schulen in Sachsen genau angeschaut und unter den Namensgebern acht NSDAP-Parteiangehörige, drei SA-Mitglieder und einen SS-Mann ausgemacht.

Nach Holocaustopfern sind hingegen nur fünf Schulen im Freistaat benannt - nach Anne Frank und Janusz Korczak. Was den Historiker besonders bewegt: "Nahezu alle nach NSDAP-Mitgliedern oder sonstigen systemnahen Akteuren benannten Schulen verzichten darauf", so Gemser, "auf Internetseiten selbstkritisch zu problematischen Details der Biografien Stellung zu beziehen".

Als Reaktion will das sächsische Kultusministerium die Städte und Gemeinden nun noch einmal darauf hinweisen, die Biographien von Schulnamenspaten sensibel zu prüfen, wie eine Sprecherin sagte. Schließlich erfüllten diese eine Vorbildfunktion. Doch am Ende liege die Entscheidung bei den Kommunen und den Schulen.

Insgesamt analysiert Gemser gut 30.000 Schulen bundesweit. Mehr als 100 Schulen mit NS-belasteten Namensgebern, so vermutet er, gibt es in Deutschland - und das 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik.

Ein Beispiel, das bereits für Furore sorgte, ist die erst 2007 nach dem Raketenbauer Klaus Riedel benannte Schule in Bernstadt in der Oberlausitz. Kritiker machen Riedel mitverantwortlich für den Tod von bis zu 20.000 Zwangsarbeitern, die bei der Produktion der Naziwaffe V2 starben - und Tausenden, die bei Angriffen mit der Rakete getötet wurden. Die Andert-Mittelschule im sächsischen Ebersbach ist gleich nach drei NSDAP-Mitgliedern benannt: Nach Hermann Andert und seinen beiden Söhnen Herbert und Werner.

Bei der eindeutigen Bewertung von Rainer Fetschers Biographie tun sich die Historiker bis heute schwer. Die einen sehen den Namensgeber der Dresdner Schule als Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassenpolitik und der Behindertenmorde. Andere halten ihm zu Gute, dass spätestens mit den Morden des Euthanasieprogramms bei ihm ein Umdenken eingesetzt haben soll. 1934 wurde er zur Aufgabe seiner Dozentenstelle an der TH Dresden gezwungen, 1935 verließ er die SA. Danach soll er in seiner Praxis auch Juden und NS-Verfolgte behandelt haben. In der DDR wurde Fetscher als Widerstandskämpfer gefeiert - wohl auch, weil er am 8. Mai 1945 angeblich von der SS erschossen wurde. Doch auch das ist unter Historikern umstritten, manche vermuten, dass die Kugeln von der Roten Armee kamen.

Widersprüchlich: das wäre wohl das mildeste Urteil, das man über Fetschers Leben abgeben kann. Die Dresdner Schule selbst feiert Rainer Fetscher auf ihrer Internetseite hingegen als "aktiven Gegner Hitlers" - von einer SA-Mitgliedschaft oder erbbiologischen Karteien ist dort keine Rede. Und das soll offenbar auch so bleiben. "Wir sehen im Moment keinen Handlungsbedarf", sagt die Schulleiterin Susanne Petschke.

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