Werbeplakate für Europawahl: Die Wahl der Gefühle

Kann "heiße Luft" wählen? Warum die Werbeplakate für die Europawahlen nichts mit Europa zu tun haben, sondern eher mit dem Bauch der Wählerschaft.

Bitte wen oder was? Plakate zur Europawahl. Bild: dpa

BERLIN taz Nicht jeder erkennt sie gleich, die Plakate für die Europawahl. Ein Haifisch grinst von den Plakaten der SPD mit dem Spruch "Finanzhaie würden FDP wählen". Die Linke will "Millionäre zur Kasse bitten" und die CDU sagt: "Wir in Europa". Worum geht es eigentlich in diesem Wahlkampf? Es geht um eine Frau - zumindest auf den Plakaten der FDP. Die Grünen jedoch wollen "Wums". Bitte wen oder was?

"Ich bin mir nicht sicher, was das Anliegen dieser Kampagne ist", sagt Michael Scharkow, Kommunikationsforscher an der Universität der Künste in Berlin. Damit steht er sicherlich nicht alleine. Dem Europawahlkampf fehlen die Inhalte. Also setzen die Parteien aufs Gefühl. Interessenkonflikte bestehen eher zwischen den Mitgliedsländern als zwischen den Parteien, erklärt Hans Mathias Kepplinger von der Universität Mainz. Diese zu thematisieren, würde dem Projekt Europa schaden. Also lassen die meisten Parteien europäische Inhalte im Wahlkampf lieber aus.

"Die Union versucht vorsichtig, die Interessengegensätze zu thematisieren", sagt Kepplinger. Ihr Plakat "Wir in Europa" zeigt Deutschland als Teil eines größeren Ganzen, macht jedoch mit den deutschen Landesfarben klar, dass das "Wir" Vorrang hat. "Das Plakat ist jedenfalls in der Linie des Selbstverständnisses der Partei", sagt der Kommunikationswissenschaftler Thomas Petersen. "Die Partei ist im Grundverständnis europafreundlich und betont stärker als andere die nationale Identität". Das Plakat soll nicht überzeugen, sondern der Stammwählerschaft aus der Seele sprechen. Persil, da weiß man, was man hat.

Bei der SPD ist das nicht anders, nur besser gemacht, urteilt Kai vom Hoff, Chef der gleichnamigen PR-Agentur. "Kampagnenkommunikation setzt nicht auf Konsens, sondern auf Diskussion - das hat die SPD verstanden", sagt er. Die SPD versucht es gar nicht erst mit inhaltlichen Aussagen. "Heiße Luft würde die Linke wählen" steht auf einem Plakat. Kommunikationswissenschaftler Petersen kritisiert: "Das halte ich für völlig verunglückt und logisch verquer - warum sollte heiße Luft wählen?". Aber um Logik geht es in diesem Wahlkampf nicht. Im Vordergrund steht das Markenimage. Kenner trinken Württemberger.

Die Grünen versuchen den Bionade-Biedermeier-Staub abzuschütteln. "Wums" ist ein bisschen jugendlich und will originell sein, ohne weh zu tun. Im Internet ruft die Partei dazu auf, "Wums"-Graffitis an jede Wand zu machen - aber bitte nur mit selbstgerührter Farbe aus wieder entfernbarem Moos. Just do it.

Doch wie die bildungsbürgerliche Basis das Plakat findet, wird sich zeigen. Denn auch dafür ist die Europawahl da - als "Testballon", so der UdK-Forscher Scharkow, für den Bundestagswahlkampf. In Europa steht für die Parteien weniger auf dem Spiel. Da können sie im Wahlkampf schon einmal auf Risiko setzen.

Vorgemacht hat das die FDP, die 2004 den Europa-Wahlkampf zur Personenfrage machte, obwohl einzelne EU-Parlamentarier noch weniger zu sagen haben als Bundestagsabgeordnete. Mit Silvana Koch-Mehrin schaffte die Partei es 2004 nach zehn Jahren wieder über die Fünfprozent-Hürde. Auch dieses Mal dreht sich alles um die einzige Frau der FDP im Europaparlament, eine Frau, die eher einem Model als einem Finanzhai ähnelt.

Die Linke lässt Personen lieber außen vor. Zu groß ist in Europafragen manchmal Abstand zwischen den Kandidaten und der Basis, wie zuletzt der SPD-Übertritt der EU-Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann zeigte. Lieber setzt man auf Bewährtes. "Die Anhängerschaft und die Partei der Linken haben recht überschaubare Forderungen", sagt Kommunikationsforscher Petersen. "Sie sind bei Kommunal-, Bundestags- oder Europawahlen die gleichen". So sprechen die Plakate die Anhängerschaft an mit Themen, die bei der Europawahl eigentlich nicht zur Debatte stehen. Raus aus Afghanistan.

Sich über die sinnlosen Plakate aufzuregen, wäre falsch. Denn sie spiegeln nur wider, worum es den meisten von uns bei Europa geht: Nicht um Inhalte, sondern ums Bauchgefühl.

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