Protest gegen Akkreditierungprozedere bei Leichtathletik-WM: taz sagt WM-Teilnahme ab

Die taz wird als einzige Tageszeitung nicht von der Leichtathletik-WM berichten. Grund dafür: Journalisten müssen sich für die Akkreditierung überprüfen lassen wie Schwerverbrecher.

Darf anders als taz-Redakteure ohne Zuverlässigkeitsprüfung ins Stadion: WM-Plüschmaskottchen Berlino. Bild: reuters

BERLIN taz | Es ist ganz amüsant zu sehen, wie Berlino, das Maskottchen der Leichtathletik-Weltmeisterschaft, die allererste Akkreditierung für das Ereignis erhält. Berlino darf also ins Olympiastadion. Und auch Heinrich Clausen darf hinein, der Geschäftsführer des Organisationskomitees.

Clausen bekommt mit Berlino seine Zugangsberechtigung aus Plastik. Er sagt: "Mit den Akkreditierungen sichern und organisieren wir den reibungslosen Arbeitsablauf für knapp 20.000 Beteiligte, die diese WM zu einem unvergesslichen Ereignis machen werden." Am 15. August beginnt die WM, eine Woche dauert sie. Welcher Journalist dem unvergesslichen Ereignis beiwohnen darf, das entscheidet die Berlin Organising Committee GmbH, kurz BOC.

Zwei Formulare mussten im Vorfeld der WM ausgefüllt werden, eines mit Angaben zur Person und der auftraggebenden Zeitung. Das entspricht dem üblichen Prozedere. Doch das BOC verlangte mehr: zusätzlich eine "Einverständniserklärung zur Durchführung einer Zuverlässigkeitsprüfung" der Person "gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 5 ASOG Berlin". ASOG, das steht für das Allgemeine Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin. In dem besagten Paragrafen steht, dass "die Ordnungsbehörden und die Polizei personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs übermitteln können, soweit das erforderlich ist oder der Auskunftsbegehrende (das BOC; d. Red.) ein berechtigtes Interesse geltend macht (...)."

Die Sportredakteure der taz, Andreas Rüttenauer und Markus Völker, haben sich um eine Akkreditierung für die Leichtathletik-WM bemüht, sie haben jedoch die "Einverständniserklärung zur Zuverlässigkeitsprüfung" nicht unterschrieben beziehungsweise entscheidende Passagen gestrichen. Auf Zuverlässigkeit prüfen Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst. Das ist unverhältnismäßig. Es fehlt eine Rechtsgrundlage, zudem werden Journalisten ohne Anhaltspunkte zu potenziellen Verdächtigen gestempelt.

Das Organisationskomitee hat den taz-Redakteuren daraufhin keine Akkreditierung ausgestellt. Sie können nicht aus dem Olympiastadion von der WM berichten. De facto wurde ihnen ein Beschäftigungsverbot erteilt.

Nach Prüfung des Falles ist die Rechtsabteilung der taz zu dem Ergebnis gekommen, dass juristische Schritte aussichtslos sind, weil es sich um einen privaten Veranstalter handelt, der nur auf dem Zivilrechtsweg hätte verklagt werden können. Formal hätte die taz zwar einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen können. Da jedoch im deutschen Recht Vertragsfreiheit herrscht, besteht keine Rechtsgrundlage, die den Veranstalter dazu zwingen könnte, eine Akkreditierung auszustellen. Der private Veranstalter kann die Bedingungen für die Teilnahme selbst bestimmen. Lässt man sich auf seine Konditionen nicht ein, kann er den Zutritt verweigern. Juristisch ist das nicht angreifbar - doch gerade bei Veranstaltungen von großem öffentlichen Interesse ist es recht fragwürdig, wenn die Zugangsbedingungen derart übertrieben werden und sich der Staat ins Privatrecht flüchtet.

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Unterschreibt man diese Einverständniserklärung, dann läuft eine geölte Maschinerie der Überprüfung an. Das BOC stellt umgehend eine Anfrage beim Polizeipräsidenten in Berlin (Landeskriminalamt 574) "über Erkenntnisse" zur Person. Folgende Datensammlungen der Polizei werden genutzt zum Personencheck: das Landesdatensystem POLIKS, das Informationssystem Polizei INPOL, INPOL neu - das ist eine bundesweite Staatsschutzdatei, Dateien des polizeilichen Staatsschutzes Berlin, die Datei "Gewalttäter Sport" sowie "vergleichbare Datensammlungen der Polizei des Bundes und der Länder", wie es heißt.

Doch damit nicht genug. Der Antragsteller muss auch noch einwilligen, "dass durch das LKA 574 eine Anfrage bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Berlin" erfolgt. Eingebunden sind darüber hinaus der Verfassungsschutz der Länder und des Bundes sowie der Bundesnachrichtendienst. Wer da nicht mitmacht, kriegt keine Akkreditierung.

Winfried Hermann, Sportpolitiker von der Bundestagsfraktion der Grünen sagt: "Es handelt sich hier um einen weitreichenden Eingriff in die Pressefreiheit. Es besteht ja ein Zwang: Wer berichten will, muss unterschreiben. Das geht so nicht." Es müsse dringend eine gesetzliche Grundlage her, denn "dieses Verfahren ist nicht sauber". Es sei auch deswegen problematisch, weil der Staat es der Privatwirtschaft überlasse, in die Pressefreiheit einzugreifen. Exekutive und BOC spielten sich hierbei den Ball zu. Hermann verweist darauf, dass es bereits 2006 im Vorfeld der Fußball-WM Bedenken gegen die Zuverlässigkeitsprüfung gegeben habe.

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) wendet sich gegen "die Praxis, die langsam gang und gäbe zu sein scheint". Pressesprecher Hendrik Zörner sagt: "Es geht nicht an, dass Journalisten vom Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst überprüft werden". Eine Akkreditierung müsse sofort erteilt werden, "wenn der Journalist nachweisen kann, dass er Journalist ist, und das kann er ganz einfach mit der Vorlage seines Presseausweises." Der DJV hat das Gespräch in dieser Sache mit der Bundesregierung gesucht. Ohne Erfolg.

3200 Journalisten wurden vor der Leichtathletik-WM unter dem Siegel der Sicherheit umfänglich geprüft. Ziel der Zuverlässigkeitsprüfung sei, so das BOC, "die Gewährleistung eines sicheren und störungsfreien Verlaufs der Veranstaltung". Personen, die eine "Gefährdung für die Gesamtveranstaltung" darstellten, sollten nicht in "sicherheitsrelevanten Bereichen tätig werden".

Das Stadion ist so ein Bereich. Wer nicht drin ist, weil er keine Akkreditierung besitzt, kann nicht kompetent berichten von der Leichtathletik-WM. De facto kann von der Berlin Organising Committee GmbH, einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, ein Beschäftigungsverbot für Journalisten erteilt werden. Dieses Verbot gilt für die gesamte Zeit der Leichtathletik-WM.

Es gebe keine Rechtsgrundlage für den Check, sagt Anja-Maria Gardain, Mitarbeiterin des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. In Ermangelung einer Grundlage hat der Berliner Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung Anfang Juni den Senat aufgefordert, "eine klarstellende Regelung für Zuverlässigkeitsprüfungen und Akkreditierungsverfahren bei Großereignissen" zu finden. Auch die Bundesregierung ist gefordert.

Der Fall ist nicht neu: Auf ähnliche Weise wurde erstmals bei der Fußball-WM im Jahre 2006 verfahren. 148.351 Datensätze wurden damals überprüft, 2055 Personen fielen durch. Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, schrieb in seinem Jahresbericht 2006: "Eine Übertragung dieser Eingriffsmaßnahme auf andere Sport- und Kulturveranstaltungen halte ich im Hinblick auf die Einmaligkeit des WM-Turniers für nicht vertretbar."

Dietmar Müller, Sprecher des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, sagt: "Solche Zuverlässigkeitsüberprüfungen greifen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein." Grundrechtseingriffe dürften jedoch nicht unter Umgehung gesetzlicher Vorschriften durchgeführt werden, so Müller. Und weiter: "Die Sicherheitsüberprüfungsgesetze des Bundes und der Länder sind für die Durchführung von allgemeinen Zuverlässigkeitsprüfungen anlässlich von Veranstaltungen nicht einschlägig. Eine generelle rechtliche Grundlage für Zuverlässigkeitsüberprüfungen besteht außerhalb der spezialgesetzlichen Bestimmungen nicht." Einwilligungen legitimierten die Überprüfungen keineswegs.

Im Jahresbericht 2006 der Berliner Datenschützer heißt es: "Es ist rechtlich äußerst problematisch, einem privaten Unternehmen wie der FIFA (oder eben der BOC GmbH; d. Red.) die Möglichkeit zu eröffnen, gestützt auf Daten der Sicherheitsbehörden Beschäftigungsverbote zu verhängen." Weiter: "Dieses Verfahren sollte kein Vorbild für künftige Großveranstaltungen wie die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 in Berlin sein."

Die Fußball-WM hat ein fragwürdiges Verfahren hoffähig gemacht. Fast alle Journalisten lassen es geschehen und unterschreiben trotz vieler Bedenken die Einverständniserklärung zum Personencheck. Freiberufler können es sich schon gar nicht leisten, auf eine Akkreditierung zu verzichten. Es ist offen, was nun als nächstes kommt.

Vorm G8-Gipfel sind durch das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz Akkreditierungen verweigert worden; auch die taz war mit dem Redakteur Felix Lee betroffen. Das Verwaltungsgericht Köln (AZ 20 K 1505/08) hat im Januar dieses Jahres im Zuge einer nicht erteilten Akkreditierung an einen Journalisten festgestellt, dass eine "Versagung der Akkreditierung nur in Betracht kommt, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der um eine Akkreditierung nachsuchende Journalist durch sein Verhalten die Veranstaltung, an der er teilnehmen will, stören will oder Leib und Leben der Teilnehmer dieser Veranstaltung gefährden will." Sportjournalisten wollen aber berichten - vom 100-Meter-Lauf, Zehnkampf oder von eventuellen Dopingverstrickungen der Athleten.

Verwunderlich ist in diesem Verfahren auch, dass die Datei "Gewalttäter Sport" mit aufgeführt ist in der Prüfliste des LKA. Denn das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat im Dezember 2008 ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover bestätigt, dass es keine Rechtsgrundlage für die Speicherung von etwa 10.000 Fußballfan-Daten in diesem Register gibt; eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht steht aus.

"Es lag nahe, dass die Zuverlässigkeitsprüfung wegen der Größe und der Internationalität der Veranstaltung gemacht wird", sagt Cem Herder, Sprecher des Organisationskomitees. Zwei ehemalige Polizeidirektoren kümmerten sich innerhalb des BOC um Sicherheitsaspekte, erklärt er, Exekutive und BOC arbeiteten eng zusammen.

Der Berliner Sportsenator Ehrhart Körting, der im Aufsichtsrat der BOC GmbH sitzt, lässt über seine Pressestelle mitteilen, Journalisten müssten sich ja nicht unbedingt einer Überprüfung unterziehen: "Sie dürfen frei berichten, dürfen ohne Akkreditierung nur nicht ungehindert in die Sicherheitsbereiche."

Dumm nur, dass das Stadion zum Sicherheitsbereich gehört, auch der Zutritt zu offiziellen Pressekonferenzen ist ohne Akkreditierung nicht möglich. Der Innensenator tröstet ausgesperrte Reporter mit den Worten: "Journalisten ohne Akkreditierung werden nicht von der WM ausgeschlossen."

Aufsichtsratschef Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, zeigt sich überrascht vom Prozedere. Er wisse davon nichts, verweist aber auf die Sicherheitsbehörden.

Dem Landeskriminalamt 574 ist offensichtlich nur ein einziger in der allumfassenden Prüfung durch die Lappen gegangen: Berlino. Das Maskottchen darf ganz ohne Zuverlässigkeitsprüfung ins Olympiastadion - ein Privileg für Plüschtiere. Aber man wird ihn beobachten.

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