Atomkraftdebatte in der Union: Streit um die Deutungshoheit

Merkel will nach dem Reaktor-Unglück in Japan eine Debatte um die deutsche Atompolitik verhindern. Umweltminister Röttgen will genau das. Wer gewinnt, ist absehbar.

Atomdebatte ja oder nein? Merkel und Röttgen sind sich da nicht so einig. Bild: dapd

BERLIN taz | Angela Merkel versucht den richtigen Ton zu treffen. Besorgt, aber sachlich. Anteil nehmend, aber nüchtern. Sie verstehe jeden, sagt Merkel am Samstagabend im Kanzleramt, der sich nach dem Unfall in dem japanischen AKW Sorgen mache. Aber es gebe in Deutschland keine direkte Gefahr, Japan sei weit entfernt. Sicherheit ist das Schlüsselwort ihrer kurzen Rede. Die Sicherheit der Bevölkerung stehe über allem, sagt sie.

Sie will Ruhe ausstrahlen, aber nicht zu viel. "Die Geschehnisse in Japan sind ein Einschnitt für die Welt", sagt sie. Deswegen könne man auch in Deutschland "nicht einfach zur Tagesordung übergehen". Es gebe zu denken, dass dieser Unfall in einem Hochtechnologie-Land wie Japan möglich sein.

Angel Merkel hat es nicht so mit historischen Daten. Als die Mauer fiel, war sie in der Sauna. Als die Finanzmärkte global implodierten, war Abwarten das Wort, das man meisten von ihr hörte. Merkel, die Pragmatische, hat wenig Talent für historische Momente. Aber ist dies ein historischer Einschnitt, so wie Tschernobyl? Ein Datum, nach dem in der Atompolitik nichts mehr wie vorher ist?

Genau darum wird in der Union im Moment gerungen. Und Merkel, die im Herbst die Laufzeitverlängerung für die Atomindustrie durchgesetzt hat, will keine Grundsatzdebatte. Die Atomkraft als Brückentechnologie sei "verantwortbar und vertretbar". Außerdem gebe es hierzulande keine vergleichbare Gefahr von Erdbeben und Flutwellen.

Kurzum: Mit der Formel, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen will, ist nicht die kritische Überprüfung der eigenen Politik gemeint - sondern das Gegenteil.

In Deutschland, sekundiert Außenminister Guido Westerwelle, habe natürlich die Sicherheit Vorrang. Man werde daher prüfen, was "wir aus der Katastrophe lernen können", so Westerwelle. Gemeint ist damit eine mögliche Verbesserung der Kühlsysteme in deutschen Atomkraftwerken. Das ist die Lehre, die Merkel und Westerwelle aus Fukushima an diesem Abend ziehen. Man müsse aus dem Unfall dort hierzulande die technische Konsequenzen ziehen. Lernen durch Unfälle. So werden Autos und ICE sicherer. Doch bei Atomtechnologie mit ihren Destruktionskräften ist genau diese Idee eine Illusion.

Doch es gibt Risse in der schwarz-gelben Pro-Atom-Front. Umweltminister Norbert Röttgen will eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der Kernenergie. Das Unglück in Fukushima sei eine "Zäsur". Denn jetzt sei passiert, von dem stets "gesagt wurde, das kann nicht passieren, wir haben alle Sicherungen dagegen - das ist etwas sehr Veränderndes", so der Umweltminister in den ARD Tagesthemen.

Die Frage, ob die Risken der Atomtechnologie vertretbar seien, müsse neu gestellt werden. Man müsse prüfen, ob wir den Ausstieg aus der Kernenergie mittels "neuer regenerativer Energiequellen nicht beschleunigen" kann.

Schwarz-Gelb hat 2010 mit der Verlängerung der Laufzeiten für AKWs allerdings genau das Gegenteil getan und beim Ausstieg aus der Atomkraft kräftig auf die Bremse getreten. Röttgens Einfluss auf die Union in dieser Frage ist begrenzt. "Röttgen wollte ja auch im Herbst kürzere Laufzeitverlängerungen, weil er die Gefahren gerade der alten AKWs sieht. Allerdings ist er mit diesen Argumenten in der Koalition nicht durchgedrungen", bewertet auch Grünen-Politikerin Bärbel Höhn Röttgens Einfluss im Gespräch mit der taz gering.

Als im letzten Herbst die längeren Laufzeiten beschlossen wurden, hatte der Umweltminister versucht, das Laufzeit-Plus gering zu halten und die Atombranche zu teuren Sicherheitsmaßnahmen gegen Flugzeugabstürze zu verpflichten. Damit scheiterte er auf der ganzen Linie. Auch an Angela Merkel.

Das wird dieses Mal kaum viel anders sein, glaubt der SPD-Politiker Karl Lauterbach. Der reine Technik-Check den Merkel will, sei "eine intellektuelle Zumutung". "Jeder sieht doch, dass die Gefahren der Atomtechnologie nicht beherrschbar sind", so Lauterbach zur taz.

Merkel wolle die Debatte in engen Grenzen halten, um die Wahl die Baden-Württemberg Ende März zu überstehen. Allerdings werde Umweltminister Norbert Röttgen, so Lauerbach, mit dem Versuch, eine neue Grundsatzdebatte zu führen, scheitern. Denn die müsse zwangsläufig dazu führen die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung zu kippen, - und wäre damit eine Brüskierung der Kanzlerin.

"Gewinnt Röttgen, verliert Merkel", so Lauterbach. "Röttgen weckt Hoffungen, die er nicht erfüllen kann." Michael Fuchs, wirtschaftsnaher Fraktionsvize der Union, hatte schon direkt nach der Katastrophe die Pro-Atom-Linie gezogen. "Es ist nicht berechtigt", so Fuchs, "aus den Ereignissen in Japan Rückschlüsse auf die Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu ziehen."

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