Bedrohte Arbeitsplätze: Die Krise macht sich breit

Deutschland steckt in der Rezession. Für die Finanzbranche hat die Bundesregierung schon ein Milliarden-Paket geschnürt, jetzt ruft die Autoindustrie nach Staatshilfe. Wer kommt als Nächstes?

Noch ist ungewiss, wie es bei Opel weitergeht. Bild: dpa

Chemiebranche: BASF schließt 80 Anlagen

Arbeitsplätze: 418.000

Bedeutung: Die Chemiebranche ist ein Vorlieferant für die gesamte produzierende Industrie und den Bau. Deshalb galt sie lange als konjunktureller Frühindikator. Die Globalisierung hat diese Funktion verwischt.

Lage: Die gut laufenden konjunkturresistenten Bereiche Pharma und Pflanzenschutz haben die deutschen Chemieunternehmen lange in Sicherheit gewogen. Aber ähnlich wie die Auto- und die Stahlindustrie haben sie schon im dritten Quartal angefangen, ihre Produktion zu drosseln. Denn vor allem die Hersteller, die die Auto- oder die Baubranche bedienen oder im Nordamerikageschäft engagiert sind, merken, dass die Aufträge ausbleiben oder kurzfristig storniert werden. Der BASF-Konzern erklärte am Mittwoch, dass er deshalb weltweit 80 Anlagen vorübergehend schließen und die Produktion in 100 weiteren Werken zunächst drosseln werde. Allein in Ludwigshafen sind bereits rund 5.000 Beschäftigte auf Zwangsurlaub eingestellt, weltweit 20.000.

Prognose: BASF, aber auch Bayer, die beide ein Viertel ihres Umsatzes in den USA erwirtschaften, müssen sich im kommenden Jahr auf Einbußen einstellen. "Wir richten uns auf harte Zeiten ein", sagte BASF-Vorstandschef Jürgen Hambrecht. Das dürfte aber zunächst einmal nur weniger Gewinn bedeuten. "Die europäischen Chemieunternehmen sind in der Mehrzahl für den konjunkturellen Abschwung gerüstet", sagte Karsten Fischer von der WestLB. Existenzieller treffen könnte es kleinere Kunststoff- und Lackhersteller, die von der Autoindustrie abhängig sind.

Handel: Nur den Discountern gehts gut

Arbeitsplätze: 2,5 Millionen

Bedeutung: Die derzeit wichtigste Funktion der Branche ist eine volkswirtschaftliche: Der private Konsum soll den schwächelnden Export als deutschen Konjunkturmotor ablösen.

Lage: Im Einzelhandel ist der letzte Aufschwung nie angekommen. 2007 verhagelte die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent den Verbrauchern die Kauflaune, 2008 die hohen Spritpreise - und die Zukunftsängste. Dabei waren viele Unternehmen schon vorher angeschlagen. Am härtesten traf es die Hertie-Warenhäuser sowie die Bekleidungsketten Sinn Leffers und Wehmeyer, die Konkurs gingen. Aber auch der frühere Karstadt- und heutige Arcandor-Konzern und die Real-SB-Warenhäuser kämpfen ums Überleben. Der Tengelmann-Chef schimpfte: "Die unverantwortliche Finanzzockerei müssen wir jetzt in der Realwirtschaft ausbaden."

Prognose: Schon 2008 wird der Umsatz schrumpfen, das sagt der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels voraus - preisbereinigt um 1 Prozent. Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub erwartet "das schwächste Weihnachtsgeschäft seit Jahren", während sich einige seiner Kollegen wie Metro-Chef Eckhard Cordes auf "ein mittleres Niveau" einstellen. Für 2009 rechnet einer Umfrage der Unternehmensberatung BBE zufolge jeder zweite Händler mit Gewinneinbußen. Nur 15 Prozent glauben, dass es positiv weitergeht - allen voran Discounter wie Aldi oder Kik.

Autoindustrie: Zulieferer vor Pleite

Arbeitsplätze: 760.000

Bedeutung: Jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab. Beispielsweise entfällt ein Viertel des deutschen Stahlbedarfs auf den Autobau.

Lage: Die Autoindustrie ist besonders konjunkturabhängig. Sie bekommt den Abschwung ebenso als Erste zu spüren wie den Aufschwung. Allerdings ist die Lage zweigeteilt: Ford und Opel stehen vor existenziellen Problemen, weil ihnen Milliardenausfälle durch ihre US-Konzernmütter drohen. Daimler, Volkswagen, BMW und Porsche dagegen werden in diesem Jahr zusammen einen Gewinn von mehr als 22 Milliarden Euro machen. Allerdings haben sie für den Rest des Jahres die Produktion heruntergefahren. VW will bis Jahresende 750 Leiharbeiter zurück an den Verleiher schicken, BMW allein in Leipzig 400. Mehr Probleme haben die meist mittelständischen Zulieferer: Zwei Drittel der Autoteile werden inzwischen nicht mehr von den Herstellern selbst produziert. Der US-amerikanische Lkw-Zulieferer Wabco hat am Mittwoch mitgeteilt, bis zu 600 Stellen in Deutschland zu streichen. Die erste Pleite droht jetzt vermutlich der Gimotive-Gruppe in Adelheidsdorf bei Celle, die mit 1.300 Beschäftigten in Deutschland Schallisolationen und Akustiksysteme für Daimler, BMW und GM baut.

Prognose: Oliver Dornheim von der WestLB sagt: "Frühestens 2010/2011 ist eine Besserung in Sicht."

Erneuerbare Energien: Die Banken knausern

Arbeitsplätze: 250.000

Bedeutung: Die Erneuerbare-Energien-Branche verringert die Abhängigkeit der produzierenden Wirtschaft von fossilen und nuklearen Energieträgern und ist ein wichtiger Abnehmer für den Anlage- und Maschinenbau.

Lage: Die erneuerbaren Energien sind eine Branche, die bereits seit mehr als zehn Jahren ordentliche Zuwachsraten verzeichnet. Das rasante Wachstum kam auch zustande, weil der politische Wille da war, Klimaschutzauflagen erfüllt werden müssen und der Ölpreis in den letzten Jahren Rekorde brach. Zugleich ist die Branche, die im Gegensatz zu den großen Energiekonzernen noch wenig Rücklagen hat, auf Fremdfinanzierungen angewiesen. Das zeigt sich nun als Problem: Immer öfter bekommen auch Wind- oder Solarenergieunternehmen zu spüren, dass Bankkredite teurer oder sogar unmöglich werden. Aber auch Beteiligungsgesellschaften und Wagniskapitalgeber sind vorsichtig geworden. Der Beratungsfirma New Energy Finance zufolge brachen ihre Investitionen vom zweiten zum dritten Quartal um ein Viertel ein. Betroffen sind übrigens vor allem die kleineren Spezialisten. Die großen Energiekonzerne, die inzwischen ebenfalls einen Teil ihres Gewinns mit Eneuerbaren erwirtschaften, können ihre Projekte weiterhin finanzieren. Denn insgesamt gilt die Energiebranche als konjunkturresistent - geheizt werden muss immer.

Prognose: Analysten gehen von einer "Wachstumsdelle" für 2009 aus, die aber 2010 wieder vorbei ist - auch wegen der über etliche Jahre politisch garantierten Preise für Ökostrom.

Bauwirtschaft: 2009 wird schwieriges Jahr

Arbeitsplätze: 950.000

Bedeutung: Der Bau ist ein Abnehmer für viele andere Branchen wie die Stahl-, Chemie- und Baustoffindustrie - und deshalb eine Schlüsselbranche.

Lage: Die Bauwirtschaft ist stark konjunkturabhängig. Wegen der oft langen Laufzeiten von Projekten schlägt die Krise aber erst verzögert durch. So haben die Großen der Branche, Hochtief und Bilfinger, ihre Gewinnprognosen für 2008 angehoben. Das Geld werden sie brauchen: Denn der letzte Aufschwung hatte den Bau vor der neuen Krise gerade erst erreicht. Nach zehn Jahren Schwächephase hatten die Unternehmen so noch keine Zeit, Reserven aufzubauen. Zudem schwächelt der Wohnungsbau seit dem Wegfall der Eigenheimzulage. Auch im Bau trifft es zuerst die Zulieferer.

Prognose: Die Bauwirtschaft wird am meisten vom Konjunkturprogramm der Regierung profitieren, das Investitionen in das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, die Sanierung von Schulen und die Verkehrsinfrastruktur bringt. Trotzdem spricht der Branchenverband von einem "schwierigen Jahr 2009". Analysten gehen davon aus, dass der weiter zurückgehende private Wohnungsbau die Branche nach unten zieht.

Leiharbeitsbranche: Der Boom ist vorbei

Arbeitsplätze: 745.000

Bedeutung: Die noch junge Branche ist Dienstleister für alle anderen Branchen: Sie schafft ihnen die Möglichkeit, auf eine flexible Reserve an Arbeitskräften zurückzugreifen und dabei arbeitsrechtliche Standards traditioneller Beschäftigungsverhältnisse zu umgehen.

Lage: Die Branche ist in den letzten Jahren politisch gewollt enorm gewachsen und gehört inzwischen zu den beschäftigungsintensivsten Bereichen überhaupt. So hat sie entscheidend zum nominellen Abbau der Arbeitslosigkeit in der letzten Aufschwungphase beigetragen - jeder dritte neue Job entstand in der Leiharbeitsbranche. Die Krise hat die Anbieter nun kalt erwischt: Wenn gespart werden muss, schicken die Unternehmen in anderen Branchen als Erstes die Leiharbeiter zurück zu ihrem Arbeitgeber, den Zeitarbeitsfirmen. Diese müssen sie möglichst schnell woandershin vermitteln, weil sie selbst keine Möglichkeiten haben, sie zu beschäftigen. Klappt das nicht, bleibt nur die betriebsbedingte Kündigung. Die Fristen sind kurz, in der Regel vier Wochen zum Monatsende, manche Verträge sind gar an die konkrete Verleihdauer gekoppelt.

Prognose: Die Branche hat keine Erfahrung mit Krisen und wagt deshalb nur allgemeine Aussagen. So sagt Ludger Hinsen, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Zeitarbeit: "Der Boom ist auf jeden Fall erst einmal vorbei." Er hat "Entlassungen bis zum Jahresende" angekündigt, nennt aber keine Zahlen. Hartmut Seifert, Leiharbeitsexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hat da viel klarere Vorstellungen: Im schlimmsten Fall könnten die Zeitarbeitsfirmen bis zu 250.000 ihrer Beschäftigten auf die Straße setzen.

Entsorgung: Papierpreis stürzt ab

Arbeitsplätze: 250.000

Bedeutung: Wegen des Preisanstiegs bei den Rohstoffen hatte sich die Branche von der Entsorgungs- zur Sekundärrohstoffbranche gemausert und entsprechendes Gewicht bekommen.

Lage: Mit dem Platzen der Rohstoffblase ist die Nachfrage nach Sekundärrohstoffen, die zuletzt eine wesentliche Gewinnsäule der Branche waren, rapide eingebrochen. Die Papierindustrie beispielsweise nimmt nach Verbandsangaben bis zu 30 Prozent weniger Altpapier ab. Entsprechend sanken die Altpapierpreise seit den Höchstständen im Juli um über 30 Prozent, die für Schrott sogar um 60 Prozent. Auch Altkunststoffe sind so gut wie nichts mehr wert, seit die Nachfrage aus China nahezu ausgefallen ist.

Prognose: Probleme in anderen Branchen dürften sich in sinkenden Mengen von Gewerbeabfall niederschlagen. Das sorgt für verschärften Wettbewerb und sinkende Preise. Und das wiederum könnte einen Rückschlag für alle Bemühungen um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft bedeuten: "Viele aufwändige Recycling- und Vermarktungsprozesse werden sich dauerhaft bei sinkenden Rohstoffpreisen nicht rechnen", heißt es bei der WestLB. "Ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht."

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