Zukunft der Finanzmärkte: London verdrängt die Wall Street

Weil die Regierung Bush unsinnige Regularien auflegte und Probleme nicht richtig anging, verliert die Wall Street schon länger an Bedeutung. Das neue Zentrum wird London sein.

Haben derzeit viel auszuhalten: Händler an der Wall Street. Bild: ap

WASHINGTON taz Was hat das alte Rom mit den USA zu tun? Seit einigen Jahren stellen sich zahlreiche US-Autoren in einer Reihe von Buchwerken genau diese Frage.

Wann überdehnen sich Weltreiche? Wird die USA unter ihrer eigenen Macht implodieren?

Das Börsen-Beben, dass der Zusammenbruch des größten Investmenthauses Lehman Brothers und die Notrettung des Versichrungsgiganten AIG an der New Yorker Wall Street in dieser Woche auslöste, versetzt die US-Gesellschaft zumindet in Zukunftsängste, die ebenjene Frage mit sich bringt.

Ist die Dominanz Amerikas bald vorbei? Zumindest an den Finanzmärkten sieht es ganz so aus.

Bereits im vergangenen Jahr hatten der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, selbst ein Finanzschwergewicht, und der New Yorker Senator Charles E. Schumer laut ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, London könnte die Wall Street schon bald den Rang ablaufen.

Und das war schon lange bevor das Investmenthaus Bear Sterns kollabierte. Bevor die Kreditvergeber Fannie Mae und Freddie Mac verstaatlicht wurden. Auch die angeschlagene Investmentbank Merril Lynch war noch nicht an die Bank of America verramscht worden.

Analysten weisen schon länger darauf hin, dass die Ressourcen großer Finanzfirmen bereits vor Jahren nach London verschoben worden waren. Banken hatten damit begonnen, sich auf den rasanten Wirtschaftswachstum in Asien einzustellen – und dafür London längst als das Sprungbrett dazu ausgemacht. Und es ist sicher kein Zufall, dass die Londoner Barclays Bank nun die besten Teile von Lehman Brothers übernimmt.

Die Abstimmung mit Füßen hatte längst begonnen, als klar wurde, dass Unternehmen, die ihr Firmen an die Börse bringen, mehr Gewinne in London als in New York erzielen. Die größten Wall Street Firmen hatten zudem bereits vor Jahren den nun weitestgehend unbeschädigten Derivate-Handel nach London verlegt – was dem britischen Standort zusätzliche Pluspunkte brachte.

Dieser Trend versetzte einige Finanzpolitiker in Unruhe, sie riefen nach Reformen der Regularien des US-Finanzmarktes. Wenn nicht bald das Dickicht des über Jahrzehnte gewachsenen Regel-Dschungels gelichtet werde, sei das ein Grund für Firmen auf der Suche nach Kapital, um die Wall Street mehr und mehr einen Bogen zu machen.

Bloomberg und Schumer hatten sich bei ihren Warnrufen auf eine von ihnen in Auftrag gegebene McKinsey-Studie berufen, die deren Visionen bestätigte. "Wenn wir nicht innerhalb der kommenden 10 Jahre handeln, bleiben wir zwar ein regional führender Finanzplatz, aber verlieren den weltweiten Spitzenplatz", hatte in der Zusammenfassung der Studie gestanden.

Und so kommt es nun. In einer Bewertung des globalen Finanzentwicklung des World Economic Forum von vergangener Woche lag New York nur noch ganz knapp vor London. Bereits vor der aktuellen Krise hatten Banken und Brokerage-Firmen empfindliche Kürzungen von rund 83.000 Arbeitsplätzen angekündigt, die meisten davon in New York selbst.

Die Entwicklung ist keinswegs ein unvorhersehbarer, der Globalisierung von Finanzströmen geschuldeter Schicksalsschlag, sondern ein hausgemachtes Problem. Entgegen der landläufigen Meinung, die US-Regierung unter George W. Bush überließe den Markt weitestgehend sich selbst, ist genau das Gegenteil der Fall - trotz aller Marktrhetorik und Staatsferne-Ideologie.

Das Problem ist nur: Die Regulierer im Weißen Haus ließen es sowohl an Sorgfalt als auch an Effizienz vermissen. Das ergebe eine "untaugliches Regieren statt Laissez-faire", urteilte der Wirtschaftsexperte Tyler Cowen erbost im Wall Street Journal.

Obwohl es genügend warnende Stimmen gab, griff die Bush-Administration keineswegs zum großen Besen. US-Banken werden reguliert von einem Durcheinander an Regularien und Aufsichtsbehörden aller Ebenen - sowie internationalen Abkommen. Und Gesetzentwürfe, die genau dazu geschrieben worden waren, die Hauseigentümer-Kredite transparenter und sicherer zu machen, wie der Home Mortgage Disclosure Act und der Community Reinvestment Act, blieben in den Schubladen.

Und so ging die Weitergabe fauler Kredite über verschiedene aufgesetzte Kreditgeschäfte weiter, die sich nun als Auslöser und als Hauptproblem der gegenwärtigen Finanzkrise entpuppen.

Ebenso katastrophal wirken sich zudem die gültigen Steuervergünstigungen aus, die Hausbesitzern winken und diese zu immer weiteren Investitionen ermunterten. Daran sind nicht allein die Republikaner schuld. Auch die demokratische Politik unter Präsident Bill Clinton förderte unkritisch den Hausbesitz, was bereits zum frühzeitigen Aufblähen der beiden Hypotheken-Giganten Fannie und Freddie führte.

Kurz gesagt, die US-Finanzpolitik der letzten Jahrzehnte schuf einen Wust an Gesetzen und eine Lust am Geldausgeben - aber wenig sinnvolle Prioritätensetzung und wenig vorausschauende Schadensbegrenzung. Nicht, dass es niemanden gegeben hätte, der davor gewarnt hätte.

Aber nur wenige Abgeordnete und Senatoren beider Parteien waren daran interessiert, kurzfristige Erfolge, wie die steigende Vorzeigerate an Hausbesitzern, einzutauschen gegen die Abwehr langfristiger Risiken. Hinzu kam, dass neuartigen Finanzinstrumenten wie Hedge Fonds und anderen exotischen Geldvermehrungsanlagen weitestgehend freie Bahn gelassen wurde.

Beide US-Präsidentschaftskandidaten haben sich in dieser Woche rhetorisch kraftvoll regulatorischen Reformen verschrieben. Barack Obama, der demokratische Kandidat hatte sich, das sei erwähnt, bereits im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen.

John McCain hat das Thema erst so richtig diese Woche entdeckt, nachdem er am Montag noch behauptet hatte, die US-Wirtschaft stünde auf "starken Fundamenten".

Die Reform des Finanzplatzes USA zu einer Priorität einer neuen Regierung zu machen, das wird trotz der aktuellen Bekenntnisse eine schwierige Aufgabe bleiben. Denn diese abstrakte Weise, das Finanzproblem anzugehen und die verwickelten Regularien zu entwirren, wird von den Wählern kaum als Hilfe wahrgenommen werden.

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