SPD-Experte über Finanzkrise: "Man muss gemeinsam gegensteuern"

Der SPD-Finanzexperte Ortwin Runde unterstützt das Rettungspaket der Bundesregierung - und glaubt, dass es eine Regulierung des internationalen Finanzsystems geben wird.

Bürgschaft und Stützung des Geldflusses zwischen den Banken hält Runde für den richtigen Umgang mit der Krise. Bild: dpa

taz: Herr Runde, ist dieses Rettungspaket richtig?

Orwin Runde: Ja. Wir haben keine Immobilienblase wie in den USA. Deshalb muss man hier zulande nicht in erster Linie wertlose Kredite absichern, sondern per Bürgschaft und durch Stärkung des Bankeneigenkapitals den Geldfluss zwischen den Banken sichern.

Viele Bürger haben trotzdem den Eindruck, dass hier verantwortungslosen Bankern und einem System, das Verantwortungslosigkeit honoriert, Geld hinterher geworfen wird.

Richtig ist, dass die Steuerzahler das Risiko tragen. Deshalb haben in den USA die Kongressabgeordneten nur zugestimmt, wenn es staatliche Kontrolle und Steuerungsmöglichkeiten gibt. Und die Steuerzahler müssen auch an Sanierungserfolgen beteiligt werden. Fehlt das, kann man so eine Rettungsaktion den Bürgern nicht klar machen.

Ist dies in Deutschland gegeben?

Bei den Bürgschaften für das Interbankengeschäft ist das möglich über Gebühren, die so um zwei Prozent liegen werden.

Reicht das?

Nein. Bürgschaften und Garantien müssen mit anderen Auflagen verbunden sein. Das betrifft etwa die Höhe der Gehälter für Manager und ihre Abfindungen, aber auch Einflussnahmen auf die Geschäftspolitik.

Aber das sind nur Möglichkeiten des Finanzministers. Ob er sie nutzt, liegt allein in seinem Ermessen. Stimmt das Parlament nicht einer Blankovollmacht zu?

Mit dem Gesetz soll Stabilität in das System gebracht und bisherigen Fehlentwicklungen in den Banken entgegengewirkt werden. Es wäre absurd, wenn der Finanzminister nicht mit harten Maßnahmen seine Möglichkeiten nutzen würde. Ich gehe ferner davon aus, dass das Parlament über die Rechtsverordnungen noch vor der Verabschiedung des Gesetzes informiert wird.

Für das zur Verfügung gestellte Geld bekommt der Staat ja Anteile an den Unternehmen. Laut Gesetz können das aber auch Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sein. Reicht das?

Die verschiedenen Varianten einer möglichen "Beteiligung" an einem Geldinstitut haben einerseits mit den unterschiedlichen Rechtsformen zu tun, andererseits mit einer nötigen Flexibilität. Aber die hohe öffentliche Aufmerksamkeit wird schon sicherstellen, dass staatlicherseits die für den Steuerbürger beste Lösung durchgesetzt wird.

Also wird der Staat das Geschäftsmodell von Banken, denen er Kredit gewährt, verändern?

Ja, das geht sowohl bei Bürgschaften als auch bei Eigenkapitalbeteiligungen. Wer das Geld gibt, kann damit Auflagen verbinden. Das ist nichts Ungewöhnliches.

Und das ist Teil des Gesetzes, das das Parlament am Freitag verabschieden wird?

Ja. Der Staat muss bei solchen Summen Einfluss haben.

Und dieser Einfluss endet am Ende 2009, wenn das Gesetz ausläuft?

Nein, die Bürgschaftsgarantien laufen ja über mehrere Jahre. Das ist dann der Rahmen für staatlichen Einfluss. Wichtig ist, dass dies eben kein Feuerwehreinsatz ist, bei dem man sagt: Der Brandschutz kommt später. Wir brauchen jetzt schon den Übergang zu einer neuen Finanzarchitektur.

Was heißt das konkret?

Das Anreizsystem für Manager, Vorstandsmitglieder und Händler muss von kurz- auf mittel- oder langfristige Erfolge umgestellt werden. Die Eigenkapitalunterlegung bei riskanten Geschäften muss größer werden. Denn so kann man Pyramidenkredite verhindern. Rating Agenturen dürfen nicht mehr bewerten, wen sie auch beraten. Und Banken, die riskante Produkte weiterverkaufen, müssen einen Teil selbst behalten müssen. Vor allem brauchen wir Regeln auch für Zweckgesellschaften und Hedgefonds.

All das klingt wünschenswert. Aber ist dies - von Hedgefonds bis zu Zweckgesellschaften - der Grund für diesen Crash?

Doch, das sind wesentliche Gründe. Bei der sächsischen Landesbank war es die unkontrollierte Zweckgesellschaft im Niedrigsteuerstaat Irland, bei der Hypo Real Estate war es die Depfa, ebenfalls in Irland. Bis vor einem Jahr hieß es allerorten: Die Sparkassen sind doch renditeschwach. Sie müssen sich ein Beispiel an den Privatbanken nehmen, an den berühmten 25 Prozent Eigenkapitalrendite, die Ackermann von der Deutschen Bank verlangte. Und die regulierten Banken haben unkontrollierte Zweckgesellschaften gegründet, um mithalten zu können. Dieses ganze System ist endgültig gescheitert.

Was bedeutet das konkret?

Es wird keine Bereiche außerhalb von Regulierung mehr geben. Das betrifft Zweckgesellschaften, Hedgefonds und Steueroasen. Wir brauchen eine umfassende Regulierung. Wie die Banker so hübsch sagen: Es darf keine Regulierungsarbitrage geben

..will sagen: willkürliche Regeln...

Von Willkür kann keine Rede sein, wenn demokratische legitimierte Regierungen Märkte so regeln, dass sich so ein Crash nicht wiederholt. Dafür bedarf es einer globalen Finanzaufsicht, die der Internationalität der Märkte angemessen ist und global player kontrollieren kann. Dabei kann der IWF einiges leisten.

Wird diese Finanzkrise denn das Verhältnis von Politik und internationaler Finanzindustrie wirklich grundlegend verändern? Oder ist dies eine zwar schlimme, aber doch vorübergehende Baisse, die die Struktur des globalen Finanzsystems unangetastet lassen wird?

Die Hohepriester des Finanzkapitalismus haben sich als Hütchenspieler entpuppt. Es wird nach dieser Krise keine Rückkehr zum Status quo ante geben. Denn wir brauchen eine Architektur, die so eine Krise verunmöglicht. Das bedeutet auch, dass es die Kluft zwischen den Renditen in der Finanz- und der Realwirtschaft, die es in den letzten Jahren gab, nicht mehr geben wird. Für diese Kluft gibt es keine Akzeptanz mehr - nicht bei den Steuerzahlern und auch nicht bei der Realwirtschaft.

Die Zinsen sind gesenkt worden, einzelne Banken sind gerettet worden. Ist dieses Rettungspaket jetzt das letzte Mittel der Politik?

Das hängt davon ab, was noch kommt. Denkbar ist im schlimmsten Fall ein Bankrott von Staaten, etwa von Island oder Ungarn, das in Schwierigkeiten steckt. Das kann außer Kontrolle geraten. Deshalb sind die Zusagen von IWF-Chef Strauss-Kahn, dass der IWF dann einspringt derzeit so wichtig. Die Rolle des IWF kann sowieso kaum überbewertet werden. Zentral ist, dass alle Länder per IWF diese Systemkrise des Finanzkapitalismus zu lösen versuchen - also nicht nur die G7, sondern auch Länder wie China, Indien und Brasilien. Denn dies ist eine Systemkrise, die man nicht mit Einzelfalltherapien kurieren kann. Richtig ist auch, dass es jetzt abgestimmte Lösungen auf EU-Ebene gibt.

Reicht denn die staatliche Absicherung des Banksystems - oder muss der Staat auch gegen die Rezession etwas tun?

Die Trennung zwischen Finanz- und Realwirtschaft ist künstlich. Ich glaube nicht, dass die EU und Deutschland die Rezession ignorieren können. In den USA werden Industriesparten bereits massiv gestützt...

Merkel sagt: Es gibt kein Konjunkturprogramm...

Das halte ich für falsch. Wir brauchen, wie im Finanzwesen, rechtzeitig ein international abgestimmtes Programm zur Stabilisierung der Märkte. Die Konjunktur geht in der EU runter. Da muss man gemeinsam gegensteuern.

Und das trauen Sie der Großen Koalition zu?

Ja, weil, die Große Koalition am Anfang doch beides, Wachstum und Finanzkonsolidierung, erfolgreich auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Warum soll das nicht jetzt, da es dringend erforderlich ist, wieder gehen? Und zwar auf EU-Ebene.

Klingt nach Oskar Lafontaine. Weiß Peer Steinbrück schon davon?

Jeder, der sich die Konjunkturentwicklung der wichtigen Wirtschaftsräume anschaut, kann das begreifen. Wir müssen Mehreres zusammen denken: die Finanzkrise, die Rezession und was wir gegen den Klimawandel tun müssen. Und da hat die Große Koalition mit der Förderung energieeffizienter Häuser die richtige Richtung gewiesen. Man kann Krisenbewältigung und Ökologie sinnvoll verbinden.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

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