Interview Wirtschaftshistoriker zur Finanzkrise: "Ohne Nationalstaat geht nichts"

Die Finanzkrise von heute erinnert an den Börsencrash von 1931, meint der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Um künftige Crashs zu vermeiden, braucht es die erweiterte Tobin-Steuer.

Millionen verloren ihr Vermögen: Eine Menschenmenge steht am 24. Okt. 1929 in der Wall Street in New York vor der Börse. Bild: ap

taz: Herr Abelshauser, gleicht die Finanzkrise der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933?

Werner Abelshauser: Ja, es gibt Parallelen, etwa bei den Banken. 1931 geriet eine europäisch vernetzte Bank, die Österreichische Creditanstalt, in die Krise. Heute würde man sagen: eine Systembank. Doch statt sie zu sanieren, ließen die europäischen Finanzmächte sie pleitegehen. Die Bank of England konnte nicht, Frankreich wollte nicht helfen. Danach brach mit der Danatbank eine weitere Großbank zusammen. Damals war vor allem die Deutsche Bank der Ansicht, es sei gar nicht schlecht, wenn dieser Konkurrent verschwindet.

Und das war ein Fehler?

Ja. Die Commerzbank, die Dresdner Bank und die Deutsche Bank waren kurz darauf in der gleichen Lage und wurden teilverstaatlicht. Ersetzen Sie die Österreichische Creditanstalt durch Lehman Brothers, dann sehen Sie, was ähnlich ist: die Mechanik des Bankencrashs, weil plötzlich das Vertrauen schwindet. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Politik kam 1931 immer einen Schritt zu spät. Heute ist sie, jedenfalls bis jetzt, immer einen voraus.

Wie groß ist die Gefahr, dass dies so wie nach 1929 trotzdem in eine globale Rezession führt?

Ich glaube, niemand kann seriös beurteilen, ob dies nur eine heftige, aber normale Konjunkturkrise ist, oder ob wir es mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun bekommen. Sicher ist nur eines: In unzähligen Universitätsseminaren wurde nachgewiesen, dass der Nationalstaat im Prozess der Globalisierung aufgehoben wird. Man hätte sich diese Seminare schenken können. Der Nationalstaat ist der Akteur. Er ist souverän, im Sinne von Carl Schmitt, weil er über den Ausnahmenzustand gebietet. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass im Ernstfall nur der Nationalstaat handlungsfähig ist - sonst niemand. Das spricht nicht gegen internationale Abkommen. Auch der Finanzgipfel der G 20 diente ja der Koordination von Nationalstaaten.

In den westlichen Industriestaaten sind Banken teilverstaatlicht worden. Als Nächstes ist die Autobranche dran. Verschieben sich die Gewichte damit bleibend vom Markt zum Staat?

Das ist schwer vorherzusagen. Beim New Deal 1933 in den USA gab es diese Machtverschiebung Richtung Staat - bis sie in den Fünfzigerjahren zum Halt kam und in den Achtzigerjahren unter Reagan der backlash folgte. Ob wir im Moment wirklich eine Zeitenwende erleben? In Politik und Wirtschaft haben doch noch immer jene zu sagen, die uns jahrelang erklärt haben, wie rückständig das deutsche Modell ist - und wie großartig der liberalisierte Standardkapitalismus.

Viele Konservative reden jetzt, als wären sie bei Attac. Ist das nur Opportunismus?

Nein. Gerade viele Konservativen sind ja dem deutschen Modell mit einem starken Staat und kooperierenden Akteuren verpflichtet - aber unter dem Eindruck des Anpassungsdrucks der Globalisierung und des neoliberalen Mainstreams glaubten sie, nicht anders zu können. Ob dieser Flügel Oberwasser bekommt, wird davon abhängen, wie schnell sich die Lage normalisiert. Wenn sich die Wirtschaftslage rasch stabilisiert, werden sich jene durchsetzen, die wollen, dass sich der Staat wieder schnell aus der Wirtschaft zurückzieht.

Wie stehen die Chancen, dass aus der Krise etwas Neues entsteht? Die G-20-Staaten sind ja dabei, ein - noch unverbindliches - internationales Regelwerk zu entwickeln. Wächst da eine mit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 vergleichbare neue Weltfinanzordnung?

Die Chance für mehr internationale Regeln gibt es - aber nur so lange der Leidensdruck da ist. Der Vergleich mit Bretton Woods zieht aber nicht.

Warum nicht?

Weil es 1944 mit den USA einen Hegemon gab, der die neuen Regeln durchsetzt konnte.

Und den gibt es heute Ihrer Meinung nach nicht mehr?

Wer sollte das sein? Die USA sperren sich sowieso gegen mehr Regeln für den Finanzmarkt. Selbst wenn dies anders wäre, könnten sie nichts diktieren. Die G 7 haben sich in dreißig Jahren nicht auf Regeln einigen können. Bei 20 Akteuren mit verschiedenen Interessen wird es nicht einfacher, einen Konsens zu finden.

Weil der Leidensdruck durch die Krise nicht groß genug ist?

Noch nicht groß genug. Denn was ist denn bis jetzt passiert? Aus wirtschaftshistorischer Sicht: nicht viel. Die Gefahr einer tiefen globalen Krise ist groß - aber diese Krise ist noch nicht da.

Was wäre denn das effektivste Mittel, um langfristig den Finanzkapitalismus zu zähmen?

Auf dem globalen Kapitalmarkt werden täglich hunderte von Milliarden Dollar dazu verwandt, um winzigste Preisunterschiede auszunutzen. Das ist ein kaum steuerbares Gefahrenpotenzial, das permanent einzelne Länder oder auch das gesamte System gefährden kann. Dagegen gibt es ein einfaches, wirksames Instrument: die Tobin-Steuer im Sinne einer geringen Finanzumsatzsteuer. Damit könnte man das Gros dieser hochspekulativen Gewinne unterbinden - und den Finanzmarkt wieder an die Realwirtschaft rückkoppeln.

Aber die Finanzumsatzsteuer hätte die Finanzkrise nicht verhindert, die durch Derivate und den US-Immobilien-Crash ausgelöst wurde.

Ja, aber es geht jetzt nicht darum, die Finanzmarktkrise rückwirkend zu verhindern, sondern künftige Krisenpotenziale zu bekämpfen. Dass der Handel mit "kreativen" Finanzprodukten kontrolliert werden muss, ist inzwischen abgehakt. Jetzt gilt es, andere Gefahren vorherzusehen und zu vermeiden.

Die Marktradikalen argumentieren, dass zu viele Regeln verhindern, dass Start-up-Unternehmen Risikokapital bekommen und so die Wirtschaft leidet. Stimmt das?

Nein. Wir haben doch öffentliche Finanzinstitute, die diese Rolle spielen könnten. Ich weiß, dass öffentliche Banken oft zu konservativ Geld verleihen. Aber das kann man ändern. Im 19. Jahrhundert haben Sparkassen auf staatlichen Wunsch genau dies getan: Risikokapital verliehen. Außerdem gibt es gravierende Unterschiede zwischen der US-amerikanischen Produktionsweise, die viel stärker auf schnelles Risikokapital angewiesen ist, und der deutschen, die mehr geduldiges Kapital braucht.

Warum?

Die USA haben einen ungeduldigen Kapitalmarkt - auch weil dort kein mit Deutschland vergleichbarer Sozialstaat existiert. Dort gibt es riesige institutionelle Anleger, die Pensionsfonds. In Deutschland hingegen gibt es rund 7.000 Milliarden Euro Anwartschaft auf staatliche Renten. Diese Summe ist nicht auf dem Kapitalmarkt - anders als in den USA, wo die institutionelle Anleger mit etwa 30.000 Milliarden Euro permanent auf der Suche nach Renditechancen sind.

Woher speist sich dann Ihr Optimismus, dass die Tobin-Steuer durchsetzbar ist?

Warum denn nicht? Wir sind doch nicht die USA.

Die Tobin-Steuer kann aber nur global funktionieren. Ein Finanzplatz, der Tobin allein einführt, kann dichtmachen.

Nein, dass stimmt nicht. Die EU könnte jederzeit eine Tobin-Steuer einführen, ohne Schaden zu nehmen. Sie hat dazu die Macht, weil ihr Kapitalmarkt weltweit am attraktivsten ist. Die Frage ist nicht, ob wir uns die Tobin-Steuer leisten können, sondern ob wir uns weiter den Risiken eines hochspekulativen Standardkapitalismus aussetzen wollen.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

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