12. Triennale Kleinplastik: Neues Sehen durch Gurkengläser

Grandiosen Entwürfen wird misstraut: Die 12. Triennale Kleinplastik in Fellbach bei Stuttgart schneidet Utopien lieber auf ein menschliches Maß zu.

Kontemplative Weide: Luis Camnitzer, "Landscape as an Attitude" (1979). Bild: Alexander Gray Associates, New York

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Mit diesem Spruch pflegte Kanzler Helmut Schmidt Ende der siebziger Jahre seine linken Kritiker abzukanzeln. Die Utopieskepsis des pragmatischen Sozialdemokraten mag zu Zeiten notorischer Zukunftshoffnung provoziert haben. Doch wer sich heute an einem Plädoyer für die rar gewordene Substanz Utopie versucht, ist gut beraten, das gut zu begründen.

Zwar will der Homo sapiens irgendwie immer über sein tägliches Klein-Klein hinaus. Im historischen Rückblick ist das 20. Jahrhundert aber eines der blutig gescheiterten Großentwürfe. Da liegt die Frage zwingend nahe, wie neue Utopien ohne humanitäre Katastrophen zu realisieren wären.

Bei diesem Dilemma kam Angelika Nollert und Yilmaz Dziewior die Kleinplastik zu Hilfe. Einerseits reizte es die beiden Ausstellungsmacher, die Kunst, dieses grandiose Reservelager der Utopien, neu zu öffnen. Andererseits liegt dem schnell als „niedlich“ unterschätzten Format die historisch gebotene Vorsicht dem Grandiosen gegenüber sozusagen im Blut.

Utopisches Kapital

Doch wie sich daraus utopisches Kapital schlagen lässt, zeigt die Fellbacher Triennale für Kleinplastik besonders anschaulich. Die Direktorin des Neuen Museums in Nürnberg und der Chef des Kunsthauses Bregenz haben die 12. Ausgabe der 1980 gegründeten Schau in diesem Jahr gemeinsam kuratiert.

Ganz verschwunden sind die großen Utopien nicht. So jedenfalls könnte man Yutaka Sones Arbeit „Green Jungle“ von 1999 interpretieren. Der 1965 geborene Künstler hat aus befeuchtetem Seegras und Rinde eine Installation geformt, die die Ahnung einer Natur-Utopie in die Alte Kelter von Fellbach bringt.

Die Arbeit des Japaners nimmt auch das charakteristische Motiv der Insel auf, das Thomas Morus in seinem Roman „Utopia“ von 1516 vorgab. Der Berliner Architekt Arno Brandlhuber hat die Stellwände der letzten Ausstellung einfach um 90 Grad gedreht. Nun kann man die Werke der 55 internationalen Künstler in Fellbachs Alter Kelter quasi auf einem 3.000 Quadratmeter großen Parcours hölzerner Inseln umschiffen.

In mehrere Teile zersägt

Heute käme gewiss niemand mehr auf die Idee, ein fünf Meter hohes Modell zur Lobpreisung der kollektiven Produktivkraft zu errichten wie Wladimir Tatlin 1918 in Petersburg sein „Monument der Dritten Internationale“. Demonstrativ hat Danh Vo seine titellose Skulptur von 2008 in mehrere Teile zersägt und diese in Reisetaschen und Rollkoffer verstaut: Der gebürtige Vietnamese macht seine im Internet ersteigerte Skulptur des heiligen Josef aus dem 16. Jahrhundert zum Symbol der Demontage des utopischen Fetischs.

Ganz ausgedient als zentraler Referenzpunkt für die Utopie hat die Russische Revolution aber noch nicht, wie man an der Arbeit „Ciudad Roblada (Red)“ des kubanischen Künstlers Carlos Garaicoa. Aus 96 revolutionsroten Bristolkartons hat der 1967 geborene Künstler auf vier Tischen architektonische Grundformen wie Brücken oder Türme ausgeschnitten und aufgeklappt: Der Betrachter ist aufgefordert, sich die Stadt der Zukunft aus diesem Arsenal selbst zusammenzusetzen.

Die Ausstellung besticht, weil sie sich auf keinen Utopiebegriff festlegt. Die Spanne reicht von den poetischen Kosmen Günter Haeses aus den 60er Jahren – filigranen Gebilde aus Drähten und Spiralen – bis zu den Trapezen, Kegeln und Platten aus dem Jahr 2013, die Rita de León ausgebreitet hat. Bei der Peruanerin wird die Utopie zur lebenslangen Gemeinschaftsarbeit.

Zahllose Möglichkeiten

Wie sehr die Utopie aber zu einer Art allgemeinen Denkhaltung mutiert, zeigen Michaela Melián und Hague Yang. Die Münchnerin hat transparente Objekte wie Gläser oder CD-Hüllen auf einen Tisch gestellt. Der Diaprojektor mit dem rotierenden Prisma, der sie durchleuchtet und ihre Umrisse an die Wand wirft, erinnert an Lázló Moholy-Nagys Idee vom Neuen Sehen, das neue Räume erschließt. Und die Gurkengläser und Fischdosen, die die koreanische Künstlerin mit Selbstgestricktem ummäntelt hat, lassen die Spannung aufscheinen zwischen dem, was diese „Can Cosies“ normalerweise repräsentieren, und den zahllosen Möglichkeiten, die man in sie hineinprojizieren kann.

Fellbach ist eine schläfrige Kleinstadt wohlhabender Bürger im Speckgürtel von Stuttgart. Die Mischung aus provinziellem Standort und utopischem Bewusstsein, das Nollert und Dziewior in der Alten Kelter der Winzerstadt ausgebreitet haben, ergibt eine reizvolle Dialektik. Das Schönste an der Ausstellung jedoch ist, dass sie zwar politisch ist, dass sich diese Haltung aber immer über die Form ausdrückt. Wie beide eine unvergleichliche Melange eingehen, kann man an dem thailändischen Künstler Pratacha Phintong sehen.

Der Künstler hat aus den bei der verheerenden Flut von 2011 in seiner Heimat zerstörten Computern das darin verarbeitete Gold recyclet. Und es zu zwei Ringen verarbeitet, die die Aufseher in Fellbach tragen. In dem ungewöhnlichen Kunstwerk vereint sich die Kritik am Ressourcenraubbau mit der Utopie der Nachhaltigkeit zu einem Moment unkommentierter Schönheit. So passgenau, wie die winzigen Objekte auf das menschliche Maß zugeschnitten sind, würde diese Utopie vielleicht sogar Helmut Schmidt überzeugen.

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