15 Jahre Afghanistan-Einsatz: Ein zutiefst uneiniges Land

15 Jahre nach Beginn der „Operation Enduring Freedom“ spüren die Afghanen wenig vom Frieden. Die Taliban erstarken. Warum? Eine Analyse.

Soldaten

Hoffnung? Nach 15 Jahren Einsatz ist die Zukunft Afghanistans noch immer offen Foto: reuters

BERLIN taz | 15,2 Milliarden Dollar für die nächsten vier Jahre: So viel haben internationale Geber, allen voran die USA, EU und Japan, den Regierenden Afghanistans gerade bei der sogenannten Geberkonferenz in Brüssel versprochen. Das Geld ist für zivile Zwecke vorgesehen und soll den Politikern in Kabul – die derzeit etwa zwei Drittel des Landes kontrollieren – die Weiterarbeit erlauben.

Die Hilfszusage erfolgt fast auf den Tag genau 15 Jahre, nachdem die USA und ihre Verbündeten das Land am Hindukusch angegriffen hatten. Damals beherrschten die Taliban rund 90 Prozent Afghanistans.

Zur Erinnerung: Ziel der Militärintervention, die am 7. Oktober 2001 unter dem Titel „Operation Enduring Freedom“ (OEF) startete, war es, das Terrornetzwerk al-Qaida in Afghanistan zu zerschlagen. Vom Hindukusch sollten nie wieder Anschläge auf die Vereinigten Staaten ausgehen. Dieses Ziel hat der US-Militäreinsatz erreicht. Trotzdem ist die Bilanz dürftig – gemessen an den damals geschürten Erwartungen und angesichts von über einer Billion Dollar, die seither geflossen sind. Stabile und friedliche Verhältnisse sind in den meisten Regionen nicht entstanden. Das ist aber auf längere Sicht die Voraussetzung dafür, dass Terrorgruppen nicht erneut das Machtvakuum eines „failed state“ für sich nutzen.

Wie instabil und wenig friedlich Afghanistan derzeit aber ist, haben die Taliban erst in den vergangenen Tagen mit ihrem erneuten Angriff auf die nördliche Provinzhauptstadt Kundus demonstriert.

Wieder mehr Soldaten am Hindukusch

Nach ihrer Niederlage 2001 waren die Taliban seit 2003 militärisch wieder stärker geworden. Die USA hatten bewusst darauf verzichtet, sie in die neue politische Ordnung einzubinden. Inzwischen steigt die Zahl ziviler und militärischer Opfer ständig an. Dabei beendeten die längst Afghanistan-müden USA und ihre Verbündeten schon 2014 offiziell die „Operation Enduring Freedom“ und den parallel verlaufenden Einsatz der International Security Assistance Force (Isaf).

Anfang: Am 7. Oktober 2001 begannen die USA, in Afghanistan Stellungen der Taliban und des Terrornetzwerks al-Qaida zu bombardieren. Damit reagierte die Regierung von Georg W. Bush auf die Terroranschläge vom 11. September, als dessen Urheber sie Osama bin Ladens Terrornetz ausgemacht hatten.

Name: Der US-Angriff hieß zunächst „Operation Infinite Justice“, wurde aber nach religiösen Protesten in „Operation Enduring Freedom“ (OEF, „Dauerhafte Freiheit“) umgetauft.

Ablauf: Im Dezember 2001 waren die Taliban militärisch besiegt, übergelaufen oder geflohen.

Mehr zu Afghanistan lesen Sie hier.

Mittlerweile jedoch sind wieder mehr internationale Soldaten – rund 13.000 – am Hindukusch als geplant. Dass sie dort eine militärische Wende erreichen, glaubt niemand, nachdem das zuvor schon mit der zehnfachen Anzahl nicht gelang. Bestenfalls dürften sie – und die Transferzahlungen aus dem Ausland – dafür sorgen, das militärische Patt zwischen Armee und Taliban weiter aufrechtzuerhalten.

Die Warlords sind oft nicht besser als die Taliban

Gelöst werden kann der Konflikt wohl nur durch Verhandlungen, zu denen die Taliban allerdings derzeit nicht bereit sind. Auch für die Regierung würde eine Einigung aber schmerzhafte Zugeständnisse bedeuten.

Auch politisch sind die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan gescheitert: Das nach 2001 installierte demokratische System funktioniert kaum. Die Präsidentschaftswahlen 2014 endeten gar ohne offizielles Endergebnis, und eine „Regierung der nationalen Einheit“ – die alles andere als einig ist – kam nur nach wochenlangem Druck der USA zustande. Für die seit Mai 2015 überfälligen Parlamentswahlen gibt es bis heute keinen Termin. Angesichts von Gewalt und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit fliehen viele Afghanen ins Ausland.

Lange hatten die USA nur auf den prowestlich scheinenden Hamid Karsai gesetzt. Weil die damalige Regierung von George W. Bush lange einen direkten Draht zu ihm hatte, verzichtete man darauf, politische Institutionen zu stärken, und zentralisierte die Macht in Karsais Händen. Auf die in einer Demokratie üblichen „checks and balances“ wurde verzichtet.

Unter US-Präsident Barrack Obama ging der zunehmend erratische Karsai dann immer mehr auf Abstand zu Washington.

Die Warlords wurden als Verbündete aufgewertet

Hatte sich Bush zunächst geweigert, in den afghanischen Staatsaufbau zu investieren, erwies sich die eingeleitete halbherzige Demokratisierung gar als kontraproduktiv. Weil die USA und ihre Verbündeten 2001 möglichst keine eigenen Bodentruppen einsetzen wollten, bewaffneten sie die – 1996 von den Taliban entmachteten – lokalen Warlords. Diese füllten dann das politische Vakuum nach dem Sturz des Taliban-Regimes.

Statt vor Gericht gestellt zu werden, wie es die Warlords verdient hätten, wurden sie als US-Verbündete aufgewertet. Sie bekamen dann noch demokratische Legitimität, als sie 2002 den Übergangspräsidenten und die Verfassung mitbestimmen und sich dann sogar ins Parlament wählen lassen durften. So wurden Kriegsverbrecher mit US-Hilfe zu Ministern, Provinzgouverneuren und Polizeichefs, die sich fortan an der Militär- und Entwicklungshilfe bereicherten und noch mächtiger wurden.

Für Washington waren gute Beziehungen zu den Warlords, welche die Taliban kleinzuhalten versprachen, stets wichtiger als zivile demokratische Gruppen. Die Warlords unterscheiden sich aber in punkto Korruption, Drogenhandel und religiösem Extremismus kaum von den Taliban.

Die Glaubwürdigkeit der USA sank mit jedem Bomben- und Drohnenangriff, der zivile Opfer forderte. Die Jagd auf Terroristen beeinträchtigte auch die zunächst humane „Stabilisierungsmission“ Isaf, bis auch diese immer mehr zu einer aggressiveren Aufstandsbekämpfungsmaschine wurde.

Die Korruption ist außer Kontrolle

Den meisten Afghanen blieben die Unterschiede zwischen beiden ohnehin unklar. Hinzu kam, dass der US-Angriff auf den Irak ab 2003 – wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen des Regimes von Saddam Hussein – Washingtons „Krieg gegen den Terror“ als imperialistische Machtpolitik entblößte. Zudem lenkte er die Aufmerksamkeit in den USA von der längst nicht geklärten Lage in Afghanistan ab.

Dort gerieten inzwischen die Korruption und der Drogenanbau außer Kontrolle.

Weil der Nachbar Pakistan nie wirksam in die US-Politik eingebunden war und der von Washington hofierte Diktator Pervez Musharraf ein Doppelspiel trieb, konnten die Taliban sich dort neu gruppieren – und mit Duldung, wenn nicht gar Förderung Islamabads Afghanistan erneut destabilisieren. Unter Obama konnte dann selbst die als „surge“ („anschwellen“) bezeichnete Entsendung von bis zu 130.000 US-Soldaten die Aufständischen in Afghanistan nicht mehr entscheidend schwächen.

Obamas größter Fehler – abgesehen von der Ausweitung des Drohnenkrieges – war, dass er aus innenpolitischen Motiven den Abzug der US-Truppen für Ende 2014 ankündigte. Mittlerweile sind die Amerikaner des Krieges am Hindukusch so überdrüssig und parteiübergreifend zugleich so ratlos, dass Afghanistan 15 Jahre nach dem 11. September im derzeitigen US-Wahlkampf überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Auch Alternativen hätten womöglich nicht funktioniert

Um ihre Truppen am Hindukusch stark verringern zu können, haben die USA in den vergangenen Jahren in den Aufbau überdimensionierter afghanischer Streitkräfte investiert. Deren Kosten kann die Regierung in Kabul aber nicht schultern. Das macht sie auf Jahre entweder weiter vom Ausland abhängig oder wird dazu führen, dass es künftig zahlreiche bewaffnete Banden gibt.

Allerdings: So einfach es heute ist, den USA und ihren Verbündeten im Nachhinein Fehler und Versäumnisse am Hindukusch vorzuhalten, so muss fairerweise gesagt werden, dass mögliche Alternativen vielleicht auch nicht funktioniert hätten.

Der Verzicht auf die Bewaffnung der Warlords hätte wohl bedeutet, schon 2001 mehr Truppen der USA und ihrer Verbündeten nach Afghanistan zu schicken. Dazu wäre aber kaum ein Land bereit gewesen. Eine spätere Entmachtung der Warlords hätte das Risiko einer starken Destabilisierung bedeutet.

Viele Afghanen haben nach Intervention gerufen

Klar ist inzwischen: Ein kriegszerrüttetes und von Gewaltakteuren beherrschtes Land wie Afghanistan zu befrieden ist extrem schwierig und langwierig. Das liegt auch daran, dass die afghanische Gesellschaft sich nicht einig ist, sondern bis heute von tiefem ethnischen Misstrauen und von Stammesrivalitäten geprägt wird.

Viele Afghanen haben nach Interventionen der USA gerufen. Gab es dann aber Probleme, schimpften sie auf Washington – und ignorierten eigene Unzulänglichkeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.