25 Jahre Mauerfall: Wie die DDR Vertrauen schafft

Als Kind im Osten fantasierte man ständig vom Westen, im Westen hatte man vom Osten keine Ahnung. Ist das bis heute so geblieben?

Detlev Buck als Volkspolizist in „Sonnenallee“: Viele Westjugendliche haben ihr Ostbild aus dem Fernsehen. Bild: dpa

Kennen Sie eine Westdeutsche? Haben Sie sich schon mal einen Ostdeutschen getroffen? So richtig von Angesicht zu Angesicht?

Wenn Sie zufällig aus Westdeutschland stammen und zwischen 16 und 29 Jahren alt sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering, dass sie Ostdeutsche vor allem aus dem Fernsehen kennen. Das ergibt eine Umfrage des Forschungsinstituts Forsa. Ostler machen sich von Westlern deutlich häufiger ein Bild „aufgrund eigener Erfahrung“, wie Forsa mit einer Befragung herausfand. Immerhin 67 Prozent der Ostdeutschen geht es so. 43 Prozent der Westdeutschen geben dagegen die Antwort mit dem Fernsehen.

Ostler? Westler? 25 Jahre nach dem Mauerfall könnte man das auch für überkommene Kategorien halten. Vielleicht kommen die Zahlen auch nur so zustande, dass diese Westdeutschen gar nicht wissen, wie viele Ostdeutsche sie kenne, weil das eben bei diesen Nachgeborenen kaum noch eine Rolle spielt.

19 Prozent noch nie im Osten

Sie sind zwei der besten deutschen Schriftsteller: Jochen Schmidt stammt aus Ostdeutschland, David Wagner aus der alten Bundesrepublik. In der neuen taz.am wochenende vom 11./12. Oktober 2014 erzählen sie über Kindheit und Jugend im geteilten Deutschland, 25 Jahre nach dem Mauerfall. Außerdem: Boris Palmer ist grüner Oberbürgermeister von Tübingen. Ehrgeizig, nicht nur beliebt - jetzt möchte er wiedergewählt werden. Was hat er erreicht? Und: Ab Samstag talkt Ina Müller wieder im Ersten. Ihr Studio ist eine Kneipe im Hamburger Hafen. „Sabbeln und Saufen läuft“, sagt sie. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Hauptaussage der Forsa-Befragung ist schließlich die: Die meisten jungen Leute sehen deutlich mehr Verbindendes als Trennendes, wenn es um die Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Je später nach dem Mauerfall sie geboren wurden, desto häufiger geht ihnen das so.

Trotzdem, es gibt auch andere Zahlen, die einen in den Tagen der Festreden und Unrechtsstaatsbekräftigungen nachdenken lassen: 19 Prozent der Westdeutschen beispielsweise waren noch nie im Osten, hat //:das Umfrageinstitut Info GmbH einmal festgestellt. Nur ein Prozent der Ostdeutschen war noch nie im Westen.

Auch der Schriftsteller Jochen Schmidt, aufgewachsen in Ost-Berlin, hat sich den Westen nach dem Mauerfall einmal angesehen. Er beschloss dann aber, seine alte Heimat lieber nicht mehr zu verlassen: „Die ersten Reisen in den Westen hatten ja gezeigt, dass es dort überall wie in alten Derrick-Folgen aussah. Berlin war mein Zuhause, in meiner Hinterhofwohnung lebte ich wie in einer Berghütte, mit Blick auf eine malerische Schlucht und mit einem Kohlefeuer, das mich im Winter wärmte. Die Miete machte mir keine Kopfschmerzen. So hätte es, von mir aus, für immer bleiben können.“

Mit seinem Autorenkollegen David Wagner, aufgewachsen in Bonn, hat Schmidt gerade das Buch „Drüben und drüben“ veröffentlicht, in dem sie sich an ihre Kindheiten in der DDR und der BRD erinnern. Für die Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 11./12. Oktober 2014 schreiben Schmidt und Wagner nun über die „Kindheit des anderen“. Schmidt stellt sich vor, wie es gewesen wäre, wenn er an Wagners Stelle im Westen gewesen wäre – mit Milchschnitte, Putzfrau und Pizza mit dem Käse im Rand.

„Damals verschwendete ich keinen Gedanken an den Osten“

„Wo“, fragt der dann, „kann man heute schon noch in einem anderen Gesellschaftssystem aufwachsen? In dem Geld kaum eine Rolle spielt?“ Seine Herkunft werde ihn immer prägen: „Und unsere Schutzmacht, das klingt für mich immer unbegreiflicher, war die Sowjetunion. Ihre Kulturangebote und Sprache hat man damals als lästig empfunden, während ich die Berührung damit heute als Horizonterweiterung schätze, schon weil ich mich dadurch in Osteuropa überall zu Hause fühle, wo die Menschen oft mehr Vertrauen haben, sobald geklärt ist, aus welchem Deutschland man stammt.“

David Wagner wiederum, der im vergangenen Jahr für sein Buch „Leben“ den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, kann sich auch im Nachhinein schwer vorstellen, wie das im Osten gewesen wäre. „Damals, als ich Kind war, verschwendete ich keine Gedanken an den Osten. Wir wussten fast nichts von der DDR“, schreibt er in der taz.am wochenende. „Wir wussten, dass es sie gab, ja, sie kam hin und wieder in den Nachrichten vor - wieder Schüsse an der innerdeutschen Grenze, neue Selbstschussanlagen installiert, politische Gefangene freigekauft -, ansonsten aber existierte sie eher nicht. Filme und Serien spielten in Amerika, in Frankreich, Italien oder England, einige auch in einem Land, das Tschechoslowakei oder CSSR hieß. Nie jedoch in der DDR. Halt, eine Ausnahme: Präsent war die DDR bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, die nichts mit Fußball zu tun hatten.“

Spiegelt sich in diesem Ungleichgewicht der Kindheitserinnerung von zwei Schriftstellern ein Ungleichgewicht der gesamtdeutschen Erinnerungskultur? Sollten sich Leute in Westdeutschland mehr für den Osten interessieren? Oder sind Kategorien wie Ost und West längst im gesamtdeutschen Alltag aufgegangen?

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Die Titelgeschichte „Die Kindheit des anderen“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. Oktober 2014.

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