80er Indie und Dinosaur Jr.: Rumnölen mit Perfektion

Menschen von 30 bis 60 Jahren freuen sich noch heute den Arsch ab, wenn Dinosaur Jr. auf Tour kommt. Eigentlich ist vieles wie Ende der 80er, nur wuchtiger produziert.

Wir brauchen das Verschrobene, das Nerdige: J Mascis (l.) mit Dinosaur Jr.. Bild: Promo / Brantley Gutierrez

J Mascis kommt langsam in den Raum geschlurft. Genauso langsam setzt er sich, genauso langsam rührt er in dem Grünen Tee, den er vor sich auf dem Tisch postiert. Er guckt geradeaus, meditiert in Richtung des Teeglases. Mascis sitzt im Backstageraum des Berliner Postbahnhofs, kurz vor einem Auftritt. Lange, graue Haare, rosa Hornbrille. Er redet leise, nölig. Fast so, wie er singt.

Zu Beginn sagt er Sätze, die exakt aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehen. Kein schmückendes Beiwerk. So etwas wie: „Ich höre keine Instrumental-Musik.“ Oder: „Yes, I’m into HipHop.“ Oder: „Ich mag den Schnee.“ Dabei muss ich an die Worte der Promoterin denken, die vor dem Interview gefragt hat: „Du weißt schon, dass J nicht der allergesprächigste in Interviews ist?“

Aber es ist ja wohl gerade das, was diesen Typen auszeichnet. Mascis, mit vollem Namen Joseph Donald Mascis Jr., ist Sänger, Gitarrist und Kopf der Indierock-Band Dinosaur Jr., die es von 1984 bis 1997 und nun wieder seit 2005 gibt. Insbesondere die Alben „You’re living all over me“ und „Bug“ wurden in den späten 80ern Klassiker. Das Trio aus Massachusetts prägte damals einen ganz eigenen Gitarrensound, der stark verzerrt, live oft übersteuert war. Viel Distortion, viel Fuzz-Sounds, ein wenig Wah-Wah.

Nach schwächeren Werken wie dem Reunion-Album „Beyond“ (2007) waren die jüngeren Alben „Farm“ (2009) und „I bet on sky“ (2012) wieder Ereignisse in der Musikwelt. Mit dem letztjährigen Album kommen Dinosaur Jr. nun nochmals auf Tour.

Musik wie Ende der 80er

Warum eigentlich genießen sie diesen Ausnahmestatus, wo sie doch grundlegend nichts anderes machen als Ende der 80er? Warum freuen sich Menschen von 30 bis 60 Jahren noch heute den Arsch ab, wenn sie auf Tour kommen und Songs wie „Freak Scene“, „Little Fury Things“ oder „In a jar“ spielen?

„Wir versuchen schon, diesen Sound immer neu zu definieren“, sagt J Mascis leise, die Fünf-Worte-Grenze nun überschreitend und immer noch in den Raum starrend. „Vieles an 60er- und 70er-Musik wird auch nicht langweilig, Neil Young wird auch nicht schlechter“, sagt er und nennt damit den Mann, mit dem er am häufigsten verglichen wird.

Der Grund scheint aber eher: Wir brauchen das Verschrobene, das Nerdige, das J Mascis und die Band verkörpern und das dabei nicht wie eine stilisierte Pose wirkt, die sich ein Musikmanager ausgedacht hätte. Heute sind die Großen der Branche, dessen Teil Indie-Rock längst geworden ist, genauso akribisch durchkomponiert wie ihre Songs. Das muss zwar nicht per se schlecht sein, aber Dinosaur Jr. erscheinen in dieser Hinsicht eben wie ein Anachronismus. Also: Nostalgie dürfte bei vielen ein weiterer Grund sein.

Mit J Mascis etwa könnte man sich wahrscheinlich zehn Stunden über Effektgeräte, Verzerrer – „oh, ich habe einige hundert zuhause“ – oder über Gitarrenbau unterhalten, während er keine große Lust hat, über Texte oder Theorien zu sprechen. „Ich gebe nicht so viel auf Texte“, sagt er, „mir geht es eher um das Gefühl, das mit der Musik rüberkommt.“

Der Wir-kommen-um-uns-zu-beschweren-Impetus

Auf „Farm“ wie auf „I Bet On Sky“ hat Mascis das Nölertum weiter perfektioniert. Über einen breiten, verzerrten Soundteppich jault Mascis kehlig vor sich hin. Eigentlich ist vieles wie Ende der 80er, nur wuchtiger produziert. Die Wechsel zwischen fast cleanem und verzerrtem Sound kommen noch genauso unvermittelt daher. Man hat nicht das Gefühl, der 47-Jährige würde sich noch mal neu erfinden, in dieser Hinsicht Neil Young ähnelnd. Aber auch dem gelangen ja noch große Alben.

In gewisser Weise stützt Mascis seine Aussage, Texte seien ihm nicht so wichtig, durch seine Art des Singens. Der quäkige Singsang mit Wir-kommen-um-uns-zu-beschweren-Impetus käme vielleicht auch ohne Lyrics aus.

Außer bei Dinosaur Jr. spielt Mascis derzeit noch bei den rockigeren Sweet Apple, in einer neu gegründeten Oi!-Punk-Band und bei Heavy Blanket, bei denen er sich noch mehr als bei Dinosaur Jr. mit Soli austobt.

Die Soli wird ihm auch niemand mehr abgewöhnen können, das wäre wie Messi das Dribbeln absprechen zu wollen: Soli sind ein Teil von Dinosaur Jr. und Mascis. Man spielt sie eben, weil man sie spielen kann. Dabei wirkt es weniger poserhaft als dass es bloße Lockerungsübung für die Finger wäre.

Zu Dinosaur Jr.s Bandgeschichte gehört auch, dass sich die beiden Protagonisten, Mascis und Bassist Lou Barlow, der auch einige Songs schreibt, nicht ausstehen können. Niemand hatte wohl geglaubt, dass die beiden, deren letztes gemeinsames Album im Jahr 1988 „Bug“ war, noch mal zusammen Musik machen würden. 2005 war es dann soweit.

Sie glauben an die Kunst

Heute hassen sie sich, aber das ist auch gut so: „Ich weiß nicht, wer auf die Idee gekommen ist, dass in einer Band unbedingt dicke Buddies zusammen Musik machen müssen“, sagt Mascis, der nun doch etwas gesprächiger wird. Schließlich weiß er auch, wie der Zwist entstand: „Lou hat nicht wirklich geredet am Anfang, vielleicht war es deshalb harmonischer... Dann hatte er irgendwann eine Freundin, das gab ihm mehr Selbstvertrauen und er begann ununterbrochen zu reden. Von da an klappte es irgendwie nicht mehr.“ Drummer Murph, der Dritte im Bunde, fülle mittlerweile gut die Rolle des Puffers aus.

Die Musikerkollegin Kim Gordon von Sonic Youth hat mal über den Erfolg ihrer Band gesagt, sie seien eben einfach nur fünf Menschen, die an sich selbst und an das, was sie tun, glaubten. Ähnlich ist es bei J Mascis und Lou Barlow: Mögen sich die beiden Bandkollegen noch so spinnefeind sein, sie glauben unerschütterlich an die Kunst, die sie betreiben.

„Darum geht es ja in Bands: Dass viele verschiedene Persönlichkeiten zusammenkommen“, sagt Mascis, „wenn Du nur einen hast, der sagt, wo’s lang geht, wird’s meist nicht so spannend.“ Ob man ihm das dann aber so abnehmen kann, ist fraglich, schließlich soll er ja die Linie von Dinosaur Jr. lange sehr dominant vorgegeben haben.

Gegen Ende des Gesprächs kehrt Mascis, der mit einer Berlinerin verheiratet ist und einen fünfjährigen Sohn mit ihr hat, wieder zur verbalen Reduktion zurück. Auf die Frage, welche deutschen Bands er schätze, ist ihm dann doch noch etwas Überraschendes zu entlocken: „Ich mag EA80.“ Die eigenbrötlerische, alte Deutschpunkband und Mascis, das passt.

Mascis schlurft genauso wieder heraus wie er gekommen ist, eine Stunde später steht er an dem vielleicht einzigen Ort auf der Welt, an dem er sich wirklich wohlfühlt. Auf einer Bühne vor großen, fetten Marshall-Boxen.

Dinosaur Jr. auf Tour: Samstag, 29. Juni: Düsseldorf, Open Source Festival; Sonntag, 30. Juni: Hamburg, Uebel + Gefährlich; Dienstag, 02. Juli: München, Theaterfabrik; Mittwoch, 03. Juli: Schorndorf/Stuttgart, Manufaktur.
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