Der lange Atem des V-Manns

Mehr als zehn Jahre prozessierte das Land gegen einen ehemaligen Spitzel des Verfassungsschutzes auf Rückgabe von rund 230.000 Euro. Der Mann war in den 70ern auf Anarchisten angesetzt und in einen Fememord verwickelt. Später setzte er sich nach Italien ab. Doch Berlin hat den Prozess verloren

VON OTTO DIEDERICHS

Selbst die längste Geschichte findet irgendwann einmal ein Ende. So auch jene unrühmliche um den früheren V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes Volker Weingraber Edler von Grodeck. Seit 1994 prozessierte das Land Berlin in mehreren Verfahren gegen seinen Exspitzel. Es forderte die Rückzahlung von umgerechnet rund 230.000 Euro zu Unrecht erhaltenen Agentenlohnes. Zwar fand bereits im November 2005 vor dem Appellationsgericht in Florenz die Schlussverhandlung statt. Zu den Spezialitäten italienischer Finanzgerichte gehört es jedoch, dass es einzig und allein in der Hand des Richters liegt, wann ein Urteil ergeht. Inzwischen ist es gefällt, in Berlin angekommen, übersetzt und ausgewertet: Berlin hat verloren – man wird das Geld also nie wiedersehen.

Den Grund für den jahrelangen Rechtsstreit kennen heute nur noch wenige: Unter dem Tarnnamen „Wien“ arbeitete der damalige Zuhälter und Kleinkriminelle in den frühen Siebzigerjahren als Informant für das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und lieferte vor allem Informationen über die anarchistische Gruppe „Schwarzer Juni“. Seine Verwicklung in den Fememord um den 1974 als mutmaßlichen Verräter erschossenen Studenten Ulrich Schmücker ist bis heute ungeklärt. Zumindest aber kam „Wien“ noch in der Tatnacht an die Mordwaffe und gab sie seinem Verbindungsmann beim LfV weiter.

Skandalreiche Geschichte

Damit hatte der Verfassungsschutz ein echtes Problem, denn auf der Waffe befanden sich jetzt auch die Fingerabdrücke „Wiens“ und seines Agentenführers. Aus diesem Grunde – und um ihren V-Mann nicht zu enttarnen – ließen die Verfassungsschützer den Revolver im Panzerschrank verschwinden – bis heute ist dies das düsterste Kapitel in der skandalreichen Geschichte des Berliner LfV. Nachdem Weingrabers Spitzeltätigkeit 1979 schließlich bekannt geworden war, erhielt er vom Berliner Landesamt rund eine halbe Million Mark, um unterzutauchen und sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen.

„Wien“ wählte Italien und kaufte sich in der Toscana ein Weingut. Doch diese Tarnung flog 1986 auf. Da die Berliner Nebelkrieger trotz all der vergangenen Jahre Racheakte gegen ihren Exspitzel befürchteten, erhielt er 1987 für einen erneuten Identitätswechsel noch einmal 450.000 Mark.

Die nahm Weingraber gern an, blieb ansonsten, wo er war, und steckte das Geld in den Ausbau seines Landguts. Da sich seine früheren Auftraggeber nicht weiter um die Sache kümmerten, ging der Coup zunächst gut – bis sich 1990 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der ganzen „Schmücker-Mord“-Geheimdienstaffäre befasste und dabei unter anderem auch die Waffe wieder fand. Mit mehrjähriger Verspätung fühlte sich Berlin daraufhin übers Ohr gehauen und strengte 1994 einen Prozess gegen den Exagenten an.

Das Verfahren wurde im Frühjahr 2002 verloren. Ein erneutes Untertauchen sei ihm unmöglich gewesen, erklärte Weingraber, denn nur er selbst habe neue Papiere erhalten; nicht jedoch seine Frau und deren Sohn, wie dies vereinbart gewesen sei.

Angeblicher Formfehler

Gegen dieses Urteil legte das Land Revision ein. Diese wurde nun wegen eines „angeblichen“ prozessualen Formfehlers – darauf besteht Matthias Kolbeck, Sprecher des verhandlungsführenden Berliner Finanzsenators – auch verloren. Eine inhaltliche Befassung mit der Klage hat es also gar nicht gegeben. Mit der Innenverwaltung, so Kolbeck, sei man sich jedoch einig, „keine weiteren Rechtsmittel einzulegen“, schließlich gebe es selbst bei einem eventuellen Sieg in weiteren etlichen Jahren erhebliche „Vollstreckungsprobleme“.

Das ist wohl wahr. Denn rechtzeitig vor Beginn des ersten Prozesses hatte „Wien“ das Weingut auf seine Lebensgefährtin überschrieben; seither ist er arm wie eine Kirchenmaus. Spannend bliebe also nur noch die Frage, was der obskure Landedelmann Berlin am Ende insgesamt gekostet hat. Die jedoch lässt sich derzeit nicht beantworten, da noch keine Abrechnungen vorliegen.