Abfall in Nord- und Ostsee: Planschen im Plastik-Meer

Naturschützer sind besorgt. Bei Sammelaktionen fanden sie viel Kunststoff-Müll, der für Tiere besonders gefährlich ist. Auch die Überfischung ist weiter ein großes Problem.

Plastik, Metall, Scherben: schöner Urlaub an deutschen Küsten. Bild: dpa

HAMBURG taz | Am Strand gibt es fast alles, was da nicht hingehört. Plastiktüten, Joghurtbecher und Badelatschen, aber auch Konservendosen und Textilien – die Strände an Nord- und Ostsee drohen zu Müllkippen zu werden. Vor allem Kunststoffe gefährden Fische, Vögel und Meeressäuger: Sie verschlucken scharfkantige Teile, verheddern sich in Leinen und ertrinken oder verenden langsam an den in Plastik enthaltenen Giftstoffen. „Mehr Müll als Fische im Meer“ war das Schreckensszenario des Meeresbiologen Kim Detloff vom Naturschutzbund (Nabu), als er im Mai vorigen Jahres an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste das Modellprojekt „Fishing for Litter“ startete (siehe Kasten).

Mehr als 700 Kilogramm Müll haben seitdem die Kutter der Küstenfischer-Genossenschaft aus Heiligenhafen und Burgstaaken auf der Insel Fehmarn mit an Land gebracht, berichtete Malte Siegert am Sonnabend im Hamburger Rathaus. Der Leiter des Nabu-Vogelreservats Wallnau auf Fehmarn legte bei einer Konferenz der Grünen zur Fischereipolitik der EU die Bilanz dieses Modellprojekts vor. Und das sei „durchweg erfolgreich“ gewesen, so Siegert, und soll auch in diesem Jahr fortgesetzt werden.

Begleitend ließ der Nabu an Aktionstagen von Freiwilligen die Strände nach angespültem Unrat absuchen. Auf mehreren Abschnitten auf Fehmarn wurden im vorigen Jahr etliche Tonnen Müll gesammelt, pro 100 Meter Küstenlinie lassen sich übers ganze Jahr hunderte Müllteile am Spülsaum finden.

2011 starteten der Naturschutzbund (Nabu), das Duale System Deutschland (DSD) und die Genossenschaft Küstenfischer Nord aus Heiligenhafen an der Ostsee das Modellprojekt "Fishing for Litter".

Die Fischer werfen den Abfall, den sie in ihren Netzen finden, nicht mehr wieder ins Meer, sondern bringen ihn mit in den Hafen.

Für Lagerung und Transport an Bord erhalten sie kostenlos spezielle strapazierfähige Müllsäcke ("Big Bags").

Im Hafen sorgen der Zweckverband des Landkreises Ostholstein und DSD für die sachgerechte und kostenlose Entsorgung.

Abtransport und Verwertung sind für die Fischer umsonst. Der Abfall wird vom DSD sortiert, gewogen und analysiert, anschließend wird er recycelt oder in Müllverbrennungsanlagen verbrannt.

Entscheidend ist für Siegert aber die Zusammensetzung: Mehr als 60 Prozent aller Müllteile dort bestanden aus Plastik und Styropor – für Meeresbewohner hochgefährliche Stoffe. Etwa ein Viertel machten Glas, Papiere und Pappen aus, zudem fanden sich Metalle (4,1 Prozent), Gummi (2,2 Prozent) und sogar 1,8 Prozent zumeist benutzte Hygieneartikel, etwa Toilettenpapier, Tampons und Kondome.

Der Abfall wird auch immer stärker zu einem ökonomischen Problem: Für die Reinigung ihrer Strände haben allein die Ostseebäder an der Lübecker Bucht zwischen Fehmarn und Travemünde im Jahr 2010 etwa 1,2 Millionen Euro ausgeben müssen. Nach Schätzungen des Nabu gelangen Jahr für Jahr jeweils etwa 20.000 Tonnen Müll in die Ostsee und die Nordsee. Vermutlich befinden sich bereits bis zu 600.000 Kubikmeter Müll auf dem Meeresboden der beiden vielgenutzten kleinen Meere.

Die werden auch durch die Fischerei vor den deutschen Küsten übernutzt. Von den rund elf Kilo Fisch, die in norddeutschen Haushalten durchschnittlich im Jahr verzehrt werden, stammen bereits mehr als 80 Prozent aus Fanggebieten in allen Weltmeeren. Denn in Nord- und Ostsee und den anderen Fanggründen der Europäischen Union in Nordatlantik, Mittel- und Schwarzem Meer sind bereits 74 Prozent der Fischbestände überfischt.

„Wir brauchen eine bestandsschonende Fischerei“, forderte deshalb Marnie Bammert vom Marine Stewardship Council (MSC), der die Gütesiegel für nachhaltigen Fischfang vergibt, auf der Konferenz in Hamburg. „Verbraucher können mit ihrem Verhalten Druck auf Handel und Industrie ausüben“, sagte Bammert. „Nachhaltigkeit ist zu einem immer größeren Faktor für die Branche geworden“, bestätigte Jürgen Marggraf, Vizechef der Frosta AG in Bremerhaven und stellvertretender Vorsitzender des Fischgroßhandelsverbands: „Deutschland ist am weitesten in Europa, und wir werden diesen Weg konsequent fortsetzen.“

Dazu gehöre auch der Abbau von Überkapazitäten der EU-Fischflotten, befanden Fischer und Meeresschützer gleichermaßen. Das Beispiel Polen habe gezeigt, dass das sinnvoll ist. Nach dem EU-Beitritt musste das Land die Hälfte seiner Flotte ausmustern und die Piratenfischerei etlicher Kutter eindämmen. Seitdem haben sich die Bestände von Dorsch, Hering und anderen Ostseefischen wieder erholt.

„Die Überfischung und die Zerstörung der Meeresumwelt müssen jetzt gestoppt werden“, fordert Rebecca Harms, grüne Europaabgeordnete aus Niedersachsen und Mitveranstalterin der Konferenz: „Sonst werden unsere Meere in weniger als 50 Jahren leer sein.“

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