Abgelehnter Frieden in Kolumbien: Kommt jetzt der Krieg zurück?

Eine sehr knappe Mehrheit hat das Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen abgelehnt. Die einen können es nicht fassen, die anderen jubeln.

Ein Junge rennt mit einer mit weißen Fahne

Im Krieg geboren: ein Junge mit weißer Fahne in Bogotá Foto: dpa

BOGOTÁ taz | Es ist kurz vor 17 Uhr am Sonntag, als der TV-Moderator das Wort zum ersten Mal in den Mund nimmt: Ungewissheit. Das Nein scheint zu gewinnen, es beginnt eine Phase, in der keiner im Land weiß, was passieren wird.

Ein paar hundert Leute verfolgen die Übertragung auf dem großen Bildschirm im Parque de los Hippies in Bogotá, viele haben weiße Fahnen mitgebracht. Sie kamen, um ein Friedensfest zu feiern. Und jetzt trauern sie. Denn bei der Volksabstimmung lehnt eine Mehrheit der Kolumbianer das Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen ab.

Relativ schnell ist klar, dass das nötige Quorum von 13 Prozent Ja-Stimmen erreicht wird. 37 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben, Ja und Nein sind fast gleichauf. Die Befürworter des Abkommens haben lange noch Hoffnung, dass es sich dreht. Aber der grüne Balken steigt nicht so weit wie der rote.

Umfragen hatten die Befürworter klar vorne gesehen, aber es gab im Land sehr viele Bedenken zum Friedensprozess. Als vor einer Woche das Abkommen unterzeichnet wurde, wurde gefeiert, als sei alles schon entschieden. Der Bürgerkrieg ist vorbei, endlich! Das 297-seitige Abkommen sah die Entwaffnung der Rebellen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft vor und sollte auch eine Landreform vorantreiben.

Aber da hatte das Volk noch nicht gesprochen. Und das sagt Nein, wenn auch sehr knapp.

Wie konnte die Intoleranz gewinnen?

Im Parque de los Hippies können sie es nicht fassen. Noch nie war man bei Verhandlungen mit der Farc so weit gekommen. Vor der Fernsehwand weinen Eltern vor ihren Kindern, denen sie ein friedlicheres Land wünschen. Freunde liegen sich in den Armen, eine Radioreporterin hat sich mit Tränen in den Augen auf den Boden gesetzt. Viele Blicke gehen ins Nichts.

„Es ist völlig absurd“, sagt Walter Abondano. Wie kann es sein, dass Intoleranz und Rachegedanken gewinnen konnten? 53 Jahre ist er alt, Lehrer von Beruf, seinen Schülern hat er immer versucht, Hoffnung zu vermitteln. „Das kann ich jetzt nicht mehr. Für die Zukunft sehe ich schwarz.“

Das „Nein“ war eine Option, an die keiner gedacht hat. Offenbar auch die Spitzenpolitiker nicht. Kurz vor der Abstimmung hat der für die Umsetzung des Friedensabkommen zuständige General im taz-Interview mit Humor auf die Frage reagiert, was passieren wird, wenn das Abkommen abgelehnt wird. „Dann ziehen wir wieder in den Krieg“, hatte er gesagt „Ich bin vorbereitet, hier habe ich die Granaten und die Gewehre.“ Er hat Schießgeräusche gemacht und gelacht; er war sich sicher, dass das Ja gewinnt.

Jetzt hat das Volk Nein gesagt. Kommt nun der Krieg zurück?

Kolumbianerin über das Ergebnis

„Wir sind im Krieg geboren, der neuen Generation soll es nicht so ergehen.“

Zuletzt hat die Farc-Guerilla versucht, Vertrauen zu gewinnen. Sie haben versprochen, dass sie alle ihre Vermögen offen legen und für Reparationszahlungen zur Verfügung stellen werden. Vor allem gingen Farc-Kommandeure auf Versöhnungstour. In der Woche vor der Volksabstimmung besuchten hochrangige Guerilleros drei Orte, an denen besonders viele Opfer zu beklagen waren und baten um Entschuldigung für das Leid, das sie verursacht haben.

In Bojayá, eines der schlimmsten Massaker der Farc stattfand, 79 Tote in einer Kirche, stimmten 96 Prozent für das Friedensabkommen. Überhaupt war die Zustimmung in den Gegenden, die am meisten unter den Farc zu leiden hatten, am größten. Und in Städten, die von der Guerilla nicht viel mitbekommen, gab es mehr Ablehnung.

Der Frieden hat nicht gewonnen

Das offizielle Sí-Lager hat im Hotel Tequendama im Zentrum von Bogotá den „Roten Salon“ gemietet, eine Veranstaltungshalle. Sie haben alles für die Feier vorbereitet: T-Shirts verteilt und sich einen Hashtag für die sozialen Netzwerke überlegt: #GANÓLAPAZ, #DerFriedenhatgewonnen. Aber das hat er nicht.

Dabei waren viele so optimistisch, als sie ihr Kreuzchen setzten. Kurz nach Öffnung der Wahllokale etwa, im Stadtteil La Soledad. Eine junge Mutter verlässt mit ihrer in eine Filzjacke eingepackte Tochter das Wahllokal. „Ich habe für sie mit Ja gestimmt, sagt sie. „Wir sind im Krieg geboren, der neuen Generation soll es nicht so ergehen.“

Regierungspolitiker Armando Bedetti

„Das Ergebnis ist eine wahre Schande vor der internationalen Gemeinschaft.“

Im „Roten Salon“ im Hotel Tequendama sind viele Fernsehkameras da, aber nicht mehr viele Politiker. Der Senator Armando Bedetti von der Regierungspartei gibt Interviews, er ist einer der vordersten Kämpfer für das „Sí“. Das Land befinde sich nun in einer politischen Krise, sagt er. Diese müsse nun von allen gemeinsam überwunden werden. Und er richtet den Blick auch nach außen. „Das Ergebnis ist eine wahre Schande vor der internationalen Gemeinschaft.“

Präsident Juan Manuel Santos hatte selbst darauf gedrängt, dass das Volk über das Abkommen abstimmt und ist damit ein hohes Risiko eingegangen – was die Umsetzung des Friedensplans angeht und auch seine politische Zukunft. Eigentlich wollte er hier im Saal vor seinen Mitstreitern und Anhängern sprechen. Aber jetzt bleibt er im Präsidentenpalast und hält eine Krisensitzung ab. Im „Roten Salon“ ist um viertel vor Sieben ist die Friedensfeier, die keine war, vorbei.

Der Präsident ist dann im Fernsehen zu sehen, es ist wohl der schwerste Auftritt seines Lebens. Santos redet genau drei Minuten, neben ihm stehen schweigend seine Minister wie auf einem Familienfoto. Er versucht es mit versöhnlichen Worten: Alle Kolumbianer wollten doch den Frieden, sagt er. Deshalb bleibe auch der Waffenstillstand bestehen. Und schon am nächsten Tag werde er sich mit allen politischen Akteuren treffen und das weitere Vorgehen besprechen.

Ohne die Gegner geht nichts mehr

Die Gegner des Abkommens treffen sich vor dem Parteisitz des Centro Democrático, Uribes Partei. Hinter einem schmiedeisernen Zaun stehen sie dichtgeträngt und rufen den „Sí se pudo!“, wir haben es geschafft. Das war der Slogan der Befürworter. Für sie ist das Ergebnis ein Triumph. Die Demokratie hat gesiegt, so sehen sie es und vor allem ihre Partei, rechte Opposition.

„Wir sind sehr zufrieden“, schreit die 26-jährige Catalina Suárez gegen die Lautsprecher an. Mit Freundinnen hat sie Wahlkampf für das „Nein“ gemacht. Nicht gegen den Frieden, sondern gegen dieses Abkommen. Weil es schwere Verbrecher straflos davon kommen lasse. Weil die Farc nie ihre Kindersoldaten freigelassen habe. Und außerdem bekämen die Guerilleros 2 Millionen Peso im Monat ausbezahlt, ergänzt die junge Frau neben ihr. Dass das nicht stimmt, spielte bei der Kampagne offenbar keine Rolle. Es hat funktioniert.

Es gehe doch darum, einen dauerhaften Frieden zu schaffen, sagt Suárez und nicht darum „auf die Schnelle einen Nobelpreis zu gewinnen“. Wenn die Farc wirklich den Frieden wollen, müssten sie eben weiter verhandeln.

Auf der Großbildleinwand spielt das Fernsehen ein Statement des Farc-Chefs Timochenko ab. Er spricht von Kuba aus, es sind nur ein paar Sätze. Die Guerilla wolle nicht wieder zu den Waffen greifen, sagt er. „Das kolumbianische Volk, das von Frieden träumt, kann auf uns zählen.“

Die Hoffnung nicht verlieren

Präsident Santos hat angekündigt, gleich am Montag seine Verhandler nach Kuba zu schicken. Vor der Abstimmung hat er immer ausgeschlossen, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Das klingt nun anders.

Uribes Leute wissen, dass ohne sie nun nichts mehr geht. Im Hof der Parteizentrale schauen sie zu, wie sich ihr Chef zu Wort meldet. In grelles Scheinwerferlicht getaucht schlägt Uribe einen „großen nationalen Pakt“ vor. Probleme hat er besonders mit der politischen Beteiligung der Farc und der Übergangsjustiz. Seine Anhänger jubeln.

Ein paar Kilometer von der Parteizentrale des Centro Democrático entfernt stehen am späten Sonntagabend rund zweihundert Menschen auf dem breiten Grünstreifen zwischen zwei Fahrbahnen, die meisten sind zwischen 20 und 30. Musik ist zu hören, einige schwenken weiße Flaggen, manche trinken Bier, obwohl das bis zum nächsten Morgen eigentlich verboten ist.

Sie hätten sich spontan per WhatsApp verabredet, hierher zukommen, sagt eine junge Frau. Man dürfe doch die Hoffnung nicht verlieren. Man müsse Präsenz zeigen. Auf dem Boden haben sie mit brennenden Kerzen ein großes Wort gelegt. Paz. Frieden.

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