AfD als stärkste Partei in Sachsen: Verliebt in die Angst

Wirklich regieren soll die AfD nicht, sagen viele in der Lausitz. Die Partei müsse aber mitreden und anderen „auf die Finger kloppen“.

Eine Menschenmenge mit AfD-Transparent, einige Menschen zeigen den Mittelfinger

Verspottet und verhasst: Wahlkampfauftritt von Angela Merkel in Sachsen am 17. August 2017

GROßDUBRAU/ GROßHARTAU taz | Nur ein einziges Wahlplakat hängt zwei Tage nach den Wahlen noch in Großdubrau, einem Ort in Ostsachsen, nördlich von Bautzen. Es stammt ausgerechnet von der NPD. „Arm trotz Arbeit“ steht darauf, ein Slogan, der auch von der Linken stammen könnte. Denen ist zumindest die Ernst-Thälmann-Straße erhalten geblieben, wie die Hauptstraße von Großdubrau bis heute heißt. Bei der Bundestagswahl hat die Linke hier nur noch elf Prozent der Zweitstimmen bekommen. Und auch wenn die Gaststätte „Sonne“ seit Jahren geschlossen ist, deutet äußerlich sonst nichts darauf hin, dass die AfD hier mit 42, 4 Prozent eines ihrer Spitzenergebnisse in Sachsen erzielen konnte.

Wen man auch anspricht, niemand fühlt sich abgehängt hier im zweisprachigen sorbischen Siedlungsgebiet, niemand klagt über wirtschaftliche Probleme. Mal abgesehen von den typischen Klagen über die Benachteiligung der Ostdeutschen bei Löhnen und Renten, und abgesehen davon, dass alles, was östlich von Dresden liegt, sich vom Freistaat Sachsen ohnehin stiefmütterlich behandelt fühlt. Obschon Ministerpräsident Stanislaw Tillich aus der Gegend stammt.

„Besser geht es nicht!“, antwortet geradezu euphorisch ein sehr rüstiger 80-jähriger Mann auf die Frage nach der Infrastruktur. Seinen Beruf als Malermeister übt er noch immer aus. Viele Selbständige gebe es im Ort, wer wolle, finde Arbeit; zwei Supermärkte, drei Gaststätten, Ärzte, Apotheker, Kindergarten, eine Grundschule. Die 2006 geschlossene Mittelschule hat als Freie Pestalozzi-Oberschule wieder eröffnet. Bahnstrecke und Bahnhof wurden 1998 endgültig stillgelegt, aber Bautzen liegt nur zehn Kilometer entfernt. Und nur zwei Kilometer entfernt haben schon DDR-Bürger gerne an der „Blauen Adria“ Urlaub gemacht, einer ehemaligen Kaolin-Grube.

Wälder umgeben die insgesamt 20 Ortsteile Großdubraus bis heute. Etwa 4.200 Menschen leben hier. Der Ortsname leitet sich vom sorbischen „Dubrawa“ ab, was man mit „Eichenwald“ übersetzen könnte. Etwas vom Wald verdeckt finden sich am Ortsrand doch Ruinen.

„VEB Elektroporzellan“ hieß die Margarethenhütte zu DDR-Zeiten, und der Malermeister erhielt vom Werk als privater Handwerker reichlich Aufträge. Einer der Vorzeigebetriebe der DDR, der als Hersteller von Hochspannungsisolatoren zur Weltspitze gehörte und für gute Devisen vier Fünftel seiner Produktion in den Westen exportierte. Nach der Währungsunion 1990 galt er somit aber auch als lästiger Konkurrent für den Westen und wurde von der Treuhand unter Umständen plattgemacht, die die einst tausendköpfige Belegschaft bis heute empören.

Relative Stabilität

Sachsens Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping (SPD) kam auf einer ihrer Kummerkastentouren im Frühjahr auch hier vorbei. Ein Museum, flankiert von zwei imposanten Isolatoren aus Keramik, erinnert an die vergangene Zeit. Ehrenamtliche Helfer haben Blumen in die Öffnungen gepflanzt, als handele es sich um ein Grab oder Ehrenmal.

Ein älterer Herr, der hier einst als Forschungsingenieur gearbeitet hat, geht nicht zu den Kummertischen der SPD. „So ein Blödsinn, sich die alte Zeit zurückzuwünschen“, knurrt er. Die neue Zeit, das ist das Apfelfest am 8. Oktober, für das er gerade am Kastanienhof im Ortskern plakatiert. Seine Begleiterin empört sich, wie nach dem Einzug der AfD in den Bundestag über die Partei hergezogen wird. Und dass Angela Merkel einfach so weitermachen will.

Was sie ihr konkret vorwerfen?

Klagen wollen beide über die wirtschaftliche Situation im Ort eigentlich nicht, und das drohende Ende der Braunkohle weiter nördlich beunruhigt in Großdubrau auch niemanden. Aber dieser relative Wohlstand sei hart erarbeitet worden, finden sie, einen Marshallplan und ein Wirtschaftswunder habe es im Osten schließlich nie gegeben.

Für die Ausländer hingegen werde alles getan. „Wer reinkommt kriegt, ohne einen Handschlag zu tun, alles“, wettert der ehemalige Ingenieur. „Plötzlich sind Milliarden da“, fügt seine Begleiterin hinzu.

Wo denn die Flüchtlinge konkret stören?

„Gottseidank“ gibt es im Ort oder in der Umgebung gar keine, „aber man sieht ja in Bautzen, was passiert, wenn Flüchtlinge kommen“, spielt der Mann auf die Zusammenstöße am Kornmarkt zwischen Einheimischen und Flüchtlingen an. Auf keinen Fall wollen sie die mühsam errungene Stabilität aufs Spiel setzen, schon gar nicht No-go-Areas wie in anderen Bundesländern bekommen. Staaten im Staate, wohin sich kein Polizist mehr traue. „Deutschland zuerst für Deutsche“, sagt der Rentner.

„Ein Deutscher will Klarheit“

Großhartau, circa 30 Kilometer entfernt, liegt an der B6, zwischen Dresden und Bautzen. SPD-Bürgermeister Jens Krauße rechnet den Ort noch zum Dresdner Speckgürtel, weil viele vor hohen Mieten und Immobilienpreisen ins Umland fliehen. Krauße ist ein sympathisch wirkender Typ, mit dem man ebenso gern ein Bier trinken würde wie mit den beiden Männern von der freiwilligen Feuerwehr nebenan. Auch ihnen geht es materiell gut. „Überhaupt nicht abgehängt“, sagt der eine, „und trotzdem unzufrieden“. Womit unzufrieden? Er grübelt etwas. „Es geht um die große Politik!“ Die Flüchtlingskrise gehört dazu, obwohl der hauptberufliche Krankenpfleger beste Erfahrungen mit ausländischen Hilfskräften und syrischen Ärzten gemacht hat. „Aber es kommt auch viel Mist rein“, äußert er und verweist auf „Terroristen und Wirtschaftsflüchtlinge“. Und schlecht informiert gefühlt hat er sich 2015. „Ein Deutscher will Klarheit“, sagt er.

Alles solle bleiben wie gewohnt und vor allem sicher, sucht Großhartaus Bürgermeister Krauße nach einer Erklärung. Die Verunsicherung der Menschen angesichts der bedrohlichen Weltlage sei mit Händen zu greifen. „Die Leute hatten sich nach dem Systemwechsel langsam eingerichtet, und nun geht es schon wieder um große Veränderungen.“ Da seien die Ostdeutschen in der Tat besonders leicht zu beunruhigen, meint Krauße, sie entwickelten schnell Zukunftsängste – vor Moscheen ebenso wie vor weiteren Flüchtlingsströmen. „Ein eingefrorenes politisches System holt die Bürger mit ihren Befürchtungen nicht mehr ab.“ Die im Osten besonders unsichere Rente zieht er als innenpolitisches Beispiel heran.

Clevere AfD-Aufbauarbeit

Zurück in Großdubrau bestätigt eine das Laub vor ihrem Häuschen fegende Rentnerin diesen Aspekt. „Ohne meinen Mann müsste ich jetzt unter der Brücke kampieren“, sagt sie. Zu DDR-Zeiten hat sie wegen ihrer Kinder nicht voll gearbeitet. Die AfD hat sie trotzdem nicht gewählt, sondern ist der CDU treu geblieben, die in den katholischen Sorben immer eine Hausmacht hatte. Eine junge Frau mit Kinderwagen hat das AfD-Ergebnis auch nur kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Auch sie lebt gern hier, genau so wie die auf den Bus wartenden Schüler der Oberschule. Auffallend wortkarg und meinungslos sind sie, aber einem etwa Zwölfjährigen entfährt dann doch ein „AfD – die ist cool!“.

Warum die AfD? Weiß nicht. Cool eben.

Ein älterer Mann steht vor seiner Garage. „Direkt schlecht geht es mir nicht“, sagt er. Aber Stagnation beklagt er. „Es kümmert sich ja keiner mehr.“

Was ihn stört? Wucherndes Schilf, ungepflegte Wegeränder, die früher ABM-Kräfte sauber hielten. Unsauber und stinkend ist oft auch die Luft, die der Hütten-Zulieferer Alsical auf dem Gelände der ehemaligen Margarethenhütte verbreitet. Und die Angst vor dem Wolf geht sowieso um in der Lausitz.

Einen Denkzettel verpasst

An den Außentischen des „Sächsischen Jäger“ sprechen zwei Radler aus der Region beim Bier von einer „Denkzettelwahl“. „Mit Ansage“, erinnert sich die Linken-Abgeordnete Caren Lay an ein Forum der Bundestagskandidaten, das Anfang August im Saal der Gaststätte stattfand. Lay hat hier ihren Wahlkreis. Gefühlt zwei Drittel Zustimmung hätte es für den AfD-Kandidaten Karsten Hilse gegeben, der geschickt und wohlorganisiert von eigenen Leuten aus dem Publikum befragt worden sei. Seit der Bundestagswahl 2013 hätte die AfD gezielte Aufbauarbeit gerade in der vermeintlichen Krisenregion Ostsachsen betrieben, glaubt Lay. Und 2017 hätten die digitalen Medien eine besondere Rolle gespielt. Die AfD-Propaganda falle auf fruchtbaren Boden. „Wo ein Wahlkampf mit Angst und Emotionen geführt wird, kann man ihm kaum mit rationalen Argumenten begegnen“, sagt Lay, die über die Liste in den Bundestag eingezogen ist. Das Direktmandat ging an Karsten Hilse, AfD.

Die Wirtin des blumengeschmückten „Sächsischen Jäger“ legt Wert auf Neutralität und die Feststellung, dass es sich bei der Kandidatenbefragung im August nicht um eine AfD-Veranstaltung gehandelt habe.

Paradoxerweise gehen auch die glühendsten AfD-Wähler zugleich auf Distanz. Die neue Partei werde und solle auch nie an die Macht kommen, sagt der Ingenieur der Margarethenhütte. „Aber punkten und mitreden und anderen auf die Finger kloppen“ müsse sie schon. Der um sein Heimatgefühl bangende Malermeister kann wiederum AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland überhaupt nicht ausstehen. Und der Rentner vor seiner Garage erwartet von der AfD überhaupt keine Abhilfe. „Eigentlich hätte man sie gar nicht wählen dürfen“, sagt er, „denn die AfD hat kein richtiges Programm, keine Lösungen und ist gespalten.“

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