Aktionswoche gegen "Extremismus": Applaus sogar von Neonazis

Der "Bunte Herbst" in Wilhelmshaven richtet sich so diffus gegen jeden Extremismus, dass das örtliche "Netzwerk gegen Rechts" nichts mehr damit zu tun haben will. Das wiederum freut die NPD.

Keine Antwort mehr vom Organisator: Stadtchronist Wolf-Dietrich Hufenbach zeigt seinen Film zur Wilhelmshavener NS-Geschichte nun auf eigene Faust. Bild: Simone Schnase

WILHELMSHAVEN taz | Mindestens 100 Veranstaltungen „gegen Rassismus und für Toleranz“ hatte sich Wilhelmshaven für die Aktion „Bunter Herbst“ vorgenommen. Knapp 60 haben in dieser Woche vorwiegend Schulen, Sportvereine und Kirchengemeinde auf die Beine gestellt, und ihre Farbigkeit wird wohl mancher in Frage stellen. Denn nicht jeder darf an der Aktionswoche teilnehmen.

Freiwillig ausgestiegen ist dagegen das Wilhelmshavener „Netzwerk gegen Rechts“: Man wolle nicht Teil einer Veranstaltung „gegen jede Form von Extremismus“ sein, erklärte das Bündnis aus diversen Parteien, Gewerkschaften, Kulturschaffenden, Initiativen und Einzelpersonen. Weniger Probleme mit dieser Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus hat derweil die NPD.

„Wir haben hier momentan keine erwähnenswerten Probleme mit Rechtsradikalen“, sagt Carsten Feist, Jugendamtsleiter und Organisator des Bunten Herbstes. Von 37 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund im vergangenen Jahr „bestand der überwiegende Teil aus Propagandadelikten wie Hakenkreuzschmierereien“. Straftaten in Verbindung mit anderen Formen von Extremismus gab es Feist zufolge keine. „Und weil wir die auch nicht wollen, veranstalten wir den bunten Herbst.“

Michael van den Berg sitzt für die Grünen im Stadtrat: „Wir haben im Januar eine Resolution gegen rechts eingebracht und sind davon ausgegangen, dass die ohne Diskussionen abgenickt wird.“ Wurde sie nicht: Die schwarz-rote Koalition setzte eine „AG Extremismus“ durch, die schließlich auch den bunten Herbst koordinierte. „Da sind“, so van den Berg, „Nettigkeiten am Start wie Laternen basteln – jeder harte Rechte lacht sich darüber kaputt!“ Anders als Feist sieht der Grüne durchaus „ein Problem mit Rechtsextremismus. Die Polizei vermutet in Wilhelmshaven einhundert Nazis, die im Untergrund aktiv sind“.

SchirmherrIn der Aktionswoche sind die Ratsvorsitzende Ursula Glaser (CDU) und Ülka Kaya vom türkisch-islamischen Kulturverein.

Der Kulturverein richtet allerdings keine der über 50 Veranstaltungen aus. Auch der "Verein der Spanier in Wilhelmshaven" ist nicht vertreten.

Oberbürgermeister Andreas Wagner (CDU) über die Aktionswoche: "Wenn sich Menschen unterschiedlicher Herkunft (...) kennenlernen, bleibt für Rassismus und Extremismus kein Platz."

Auch van den Berg wollte einen Beitrag zum bunten Herbst beisteuern, gemeinsam mit Wolf-Dietrich Hufenbach. Der betreibt seit sechs Jahren im Internet das kritische „Bürgerportal Wilhelmshaven“, für das er nicht nur schreibt oder zeichnet, sondern auch filmt: Seine Videos veröffentlicht er bei Youtube. Auch zum bunten Herbst sollte so eine Dokumentation entstehen, Thema: die lokale Aufarbeitung der NS-Zeit, dazu eine begleitender Ausstellung mit anschließender Diskussion.

Doch Organisator Feist lehnte das ab: Aus Hufenbachs Anmeldung lasse sich die erwünschte „präventive Zielrichtung“ nicht ersehen. Hufenbach legte Widerspruch ein – und bekam keine Antwort mehr. Von vornherein keine Reaktion erhielt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). Sie hatte einen Diskussionsabend zum Thema „Revolutionäre sind keine Extremisten“ angemeldet, nachdem das „Netzwerk gegen Rechts“ seine Teilnahme abgesagt hatte. Die Mitglieder des Netzwerks hatten allesamt gehofft, dass sich der bunte Herbst doch noch klar gegen Rechtsextremismus positionieren würde. „Als das nicht geschah, sind wir ausgestiegen“, sagt Dorothee Jürgensen (DGB). „Es ist unerträglich, gerade um den 9. November herum eine Veranstaltung zu machen, die rechts und links gleichsetzt.“

Das sieht die NPD Ostfriesland / Friesland mit Sitz in Wilhelmshaven ganz anders. Auf ihrer Internetseite attackiert sie das Netzwerk als „antideutsche Selbsthasser“, die „die über 100 Millionen Toten kommunistischer Gewaltherrschaft“ ausblendeten. Eben das sei der Grund, warum die Stadt Wilhelmshaven „dauerhaft alles versucht, der Aktionswoche den Stempel des allgemeinen Extremismus – also links wie rechts – zu geben“.

Hufenbachs Film ist mittlerweile fertig. „Ausgegrenzt“ heißt er und handelt von Wilhelmshavens NS-Vergangenheit, von der Arbeit des Netzwerks gegen Rechts – und vom bunten Herbst, der aus Sicht vieler keiner ist. Er wird ihn morgen zeigen, auf eigene Faust in einem leeren Ladenlokal in der Nordseepassage. Auch das Netzwerk zieht seine Veranstaltungen durch – „und zwar ausschließlich“, sagt Jürgensen, „gegen rechts“.

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