Alles in einer Straße: Wenn die Kruste kracht

Im Nieheimer Culinarium: Auf der westfälisch-kulinarischen Erlebnismeile gibts neben Käse, Korn, Bier, Pumpernickel und Schinken grunzende Schweine per Endlosschleife vom Band

Nieheimer Käse Bild: Ovenhausen

Anreise: Aus Richtung Dortmund oder Kassel mit dem Intercity bis Altenbeken, dann mit der S-Bahn bis Steinheim. Von dort mit dem Taxi ins acht Kilometer entfernte Nieheim. Mit dem Auto über die A 44 (Ausfahrt Paderborn), weiter über die A 33 bis Paderborn, über die B 64 bis Bad Driburg, die letzten Kilometer in Richtung Nieheim über die Dörfer.

Unterkunft: Hotel Berghof, Tel. (0 52 74) 3 42), Doppelzimmer 70 €, Landgasthaus Nolte im Ortsteil Erwitzen, Tel. (0 52 74) 6 96, Doppelzimmer 26 bis 31 € www.erwitzen.de

Weitere Unterkünfte und alles zu dem heilklimatischen Kurort: www.nieheim.de

Käsetage: 6. Deutscher Käsemarkt vom 5. bis 7. September 2008. 70 Aussteller präsentieren mehr als 500 Käsesorten aus ganz Europa. Dazu gibt es prämierte Spitzenweine aus deutschen Anbaugebieten.

Mennes Nieheimer Schaukäserei: www.dieschaukaeserei.de.

Acht Käsewirte bieten Gerichte mit und aus Nieheimer Käse an: www.kaesewirte.de

Auskunft: Westfalen Culinarium, Lange Straße 12, 33039 Nieheim, Tel. (0 52 74) 9 52 92 41, täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt 9 € (Kinder 4,50 €) inklusive 1 Freigetränk, 1 Käse am Stiel, 1 Erinnerungsgeschenk. www.westfalen-culinarium.de

Wie schmeckt Westfalen? Nach Pumpernickel! Pumpernickel ist das westfälische Brot schlechthin. Ein herzhaftes Vollkornbrot aus Roggenschrot, Wasser und Salz. Für den Poeten Voltaire war es jedoch nur "ein harter schwarzer und klebriger Stein".

Vor uns liegt ein übergroßes Ausstellungsbrot aus Holz - mit schwarzen Scheiben, die man mit einem Griff herausziehen kann. Auf einer dieser Brotscheiben lesen wir, dass "pumpern" von mittelhochdeutsch furzen kommt und "Nickel" ein Kobold war. Mit seinen Blähungen trieb Nickel viel Schabernack unter den Menschen.

Ein paar Brotscheiben weiter ist eine andere interessante Pumpernickel-Entstehungstheorie zu lesen: Französische Soldaten sollen das Schwarzbrot ihren Pferden zum Fraß vorgeworfen haben. Nickel hieß das Pferd Napoleons. Aber Westfalen schmeckt nach mehr als nur nach Pumpernickel. Davon können sich Besucher leibhaftig in der "WestfälischKulinarische Museums- und Erlebnismeile GmbH", kurz Westfalen Culinarium, überzeugen.

Lange Straße in Nieheim. Links und rechts reihen sich vier Museen mit fünf "Erlebniswelten" zum Riechen und Fühlen, Sehen und Hören. Und natürlich zum Schmecken. Die geballte Vielfalt westfälischer Bauern- und Hausmannskost auf insgesamt 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Jedes Museum widmet sich einer anderen Spezialität: eines dem Brot (Lange Straße 22-24) und eines dem Käse (Nr. 11), das dritte dem Schinken (Nr. 12) und das vierte schließlich dem Bier und dem Schnaps (Nr. 5). "Wir bieten ihnen in Nieheim ein Zuhause", sagt Theo Reineke, der Motor des touristischen Großprojekts.

Im Atrium des Schinkenmuseums, in dem die Kasse untergebracht ist, hängt der westfälische Himmel voller Schinken. An einer Wand prangt das großformatige Foto von Luise, dem berühmten Polizeispürschwein, mit seinem Herrchen, dem 1. Hauptkommissar Werner Franke. Auf einer Infotafel lesen wir bisher Unbekanntes: "Schweine sind mit 7 Monaten geschlechtsreif. Bis zu 20 Minuten Sex ist keine Besonderheit." In Audioschleifen lauschen die Besucher dem Grunzen der Schweine, auf Monitoren gucken sie die multimediale "Schweinevision".

In der Erlebniswelt Käse recken die Milchspender Ziege, Kuh und Schaf den Besuchern ihre Hinterteile entgegen. Dreikäsehochs können auf dem Melkschemel ihr Zapftalent am künstlichen Kuheuter ausprobieren. Ilse Niehörster, die Wirtin im Käsemuseum, kocht "nur mit Zutaten der alten westfälischen Küche", mit Biogemüse, handgemachter Butter und Wurst vom Düppeler Weideschwein. In acht Käse-Separées können die Gäste "Westfälische Handgreiflichkeiten" und "Westfälischen Schweinkram" kosten.

Im Brotmuseum mit angeschlossener Schaubäckerei steht die alte, frisch gestrichene Teigknetmaschine. Mit Buchenholzscheiten heizt Bäckermeister Ansgar Westerwelle den neu gebauten, riesigen Königswinterofen. Bei 350 bis 400 Grad kracht die Kruste so richtig. Zuerst backt der Schaubäcker Kleingebäck und Brezeln, dann westfälischen Streusel- und Zuckerkuchen, im dritten Schritt Brote, vor allem das klassische runde Steinofenbrot - und schließlich bei abgekühlten 210 Grad Hartgebäck wie Mandel- und Nussecken.

Bier ist global. "Prost" steht einladend in 60 Sprachen im Entrée des Biermuseums. Eine Etage höher lernen wir, dass früher die einfachen Leute in Westfalen von Brot und Bier lebten. Die Zubereitung von beidem war Frauensache, und ein Sudkessel gehörte selbstverständlich zur Mitgift. Eine Schwarzbrennerei und ein Hopfengarten, ein künstliches Hopfenfeld auf echter Nieheimer Erde, runden die Erlebniswelt Bier ab.

Das Westfälische Abendmahl mit Schinken, Bier und Pumpernickel ist die Abbildung eines Kirchenfensters der Kirche St. Maria zur Wiese in Soest aus dem 16. Jahrhundert. Es dient den vier Museen als optische Klammer. Der Besucher solle nicht mit Informationen gefüttert, "sondern emotional im Bauch berührt werden", sagt Peter Neudert, dessen Erlanger Planungsfirma Impuls die Erlebniswelten gestaltet hat.

Auf der Erlebnismeile Bild: Stadt Nieheim

Ohne die geplante Giftmülldeponie wäre das Westfalen-Culinarium vielleicht gar nicht entstanden. In die Tongrube einer ehemaligen Ziegelei, direkt gegenüber einem Naturschutzgebiet, wollte die nordrhein-westfälische Landesregierung unter Johannes Rau vor 25 Jahren ihren Sondermüll deponieren. Nicht bei uns, meinten die Nieheimer, gründeten eine Initiative und prozessierten bis zum Bundesverwaltungsgericht. Mit Erfolg. Als die Deponie endgültig vom Tisch war, fragten sich die pfiffigen Köpfe der Bürgerinitiative: Was nun? Wie können wir unsere Energie zum Wohl Nieheims einsetzen? Im Tourismus, hieß die Antwort. Nieheim wurde Luftkurort - und ist inzwischen sogar heilklimatischer Kurort. Aber von der guten Luft allein konnte Nieheim nicht leben. "Wir wollten keine Bali-Therme in unsere westfälische Landschaft bauen, sondern etwas Authentisches für die Gegend und die Menschen hier machen", sagt Theo Reineke. "Doch wir hatten keine Seen, keine hohen Berge, einfach nichts." "Wir haben doch den Nieheimer Käse", warf plötzlich jemand ein. "Das ist es!", rief enthusiastisch der damalige Geschäftsführer einer Münchner touristischen Consultingagentur, "dann bauen wir in Nieheim ne Fressmeile." "Der kleine Nieheimer", rund und goldig, ist ein Sauermilchkäse mit Kümmel. Lange fristete er ein tristes Dasein, nun sollte er als "Nieheimer Gold" zum Markenzeichen des Städtchens werden. Die Heimatforscher kramten heraus, dass es um 1900 einen regionalen Käsemarkt gab und 80 Hauskäsereien.

Flugs besannen sich die Nieheimer ihrer verschütteten Tradition - und schufen "in einem Anfall von Hybris", wie Theo Reinecke rückblickend sagt, im Jahr 1998 den ersten Deutschen Käsemarkt. In Nieheim war Land unter, an drei tollen Tagen strömten über 50.000 Besucher herbei, erstmals tauchte das ehemalige Ackerbürgerstädtchen im Verkehrsfunk auf, "die Ostwestfalenstraße B 252 im Bereich Nieheim bitte großräumig umfahren". Seitdem findet der Nieheimer Käsemarkt mit 70 bis 80 handwerklich produzierenden Käsern aus ganz Europa alle zwei Jahre statt - im Wechsel mit den Nieheimer Holztagen.

Die Käse-Idee war schon gut, die Käse-Tage sind einmalig, aber die Nieheimer gingen noch weiter in sich: Was hat denn Westfalen außer Käse noch zu bieten? Pumpernickel, na klar, Korn sowieso, Bier ist urwestfälisch, und der westfälische Knochenschinken, natürlich. Um diese fünf Eckpfeiler westfälischer Lebensart wurde die kulinarische Meile errichtet.

Mit zusätzlichen Leckerlis versuchen die Museumsmacher jetzt, neue Besucher nach Nieheim zu locken. Zum Beispiel durch den alten Brauch "Westfälischer Schinkentag". Wenn im Mai der Kuckuck ruft, wird der luftgetrocknete Knochenschinken aus dem vergangenen Herbst angeschnitten.

Andere Aktionen sind Genusswerkstätten mit bekannten Köchen, allerlei Literaturgenüsse ("Zu Tisch bei Annette von Droste-Hülshoff") und Kochevents für Manager als Teambuilding-Maßnahmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.