Alternative Verleger über Comics: "Sonst müssen alle Quatsch machen"

Die Macher des wichtigsten deutschen Alternativ-Comicverlags Reprodukt über den Graphic-Novel-Boom, Traditionalisten und die Perspektiven deutscher Zeichner.

Dirk Rehm im Verlagslager - gezeichnet von Mawil, der ebenfalls von Reprodukt verlegt wird. Bild: mawil.net

taz: Dirk Rehm, in diesem Jahr wurde Reprodukt 20 Jahre alt. Bekannt geworden seid ihr als alternativer Comicverlag - etwa durch umfangreiche Graphic Novels und komplexe Stoffe. Gegründet wurde Reprodukt 1991 als Einmannunternehmen. Was war damals deine Motivation?

Dirk Rehm: Amerikanische Comics, die ich in den späten Achtzigern gelesen hatte und großartig fand - die es in Deutschland aber so nicht gab, etwa "Der Tod von Speedy" von Jaime Hernandez, die erste Reprodukt-Veröffentlichung. Das war das erste Mal, dass Zeichner aus meiner Generation ihr Leben, ihre Träume, ihre Projektionen thematisiert haben und Comics machten, mit denen ich mich identifizieren konnte, die mich berührten, inhaltlich und grafisch.

Wie sah die deutsche Comiclandschaft denn damals aus?

Rehm: Sie orientierte sich am amerikanischen oder frankobelgischen Mainstream: Superhelden-Comics, Funnies, Science-Fiction-, Fantasy-, Krimi-, Abenteurer-Comics. All das gab es zuhauf, aber dazu so gut wie keine Alternativen, keine Stoffe, die aus dem Leben gegriffen waren.

Michael Groenewald: Zu den bekanntesten frankobelgischen Stoffen zählen sicherlich "Asterix" und "Spirou und Fantasio".

Dirk Rehm,

48, gründete 1991 den Verlag Reprodukt. Neben seiner Verlegerschaft ist er auch als "Letterer" tätig - Rehm bringt die Buchstaben in die Sprechblasen.

Michael Groenewald,

42, war von 2002 bis 2010 als Comic-Redakteur für den Carlsen Verlag tätig und arbeitet nun für Reprodukt und als freier Lektor.

Und wie ist die Lage heute?

Rehm: Heute gibt es in Deutschland ein so umfangreiches Angebot wie noch nie zuvor. Graphic Novels, Manga für Jugendliche, jede Menge Superhelden-Comics, Frankobelgisches in allen Spielarten, auch Klassiker werden neu aufgelegt. Zudem hat sich das inhaltliche Spektrum der Comics verändert, viele Zeichner nehmen Einflüsse von überallher auf. Sie reflektieren Geschichte, Kunst, Politik, verarbeiten autobiografische und biografische Stoffe, dazu kommen Literaturadapationen. Dadurch sind Comics im Begriff, als normales Unterhaltungsmedium wahrgenommen zu werden, wie Literatur oder Film.

Konnte Reprodukt von dieser Entwicklung profitieren?

Rehm: Die ersten dreizehn Jahre hatten wir weder den Anspruch noch daran geglaubt, dass wir von der Verlagsarbeit unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Bis Mitte der Neunziger haben wir ein bis zwei Bücher im Jahr veröffentlicht, später waren es vielleicht sechs bis zehn. Seit 2003 ging es dann eigentlich langsam, aber stetig bergauf. Inzwischen produzieren wir zwischen dreißig und vierzig Comics im Jahr und sind zu siebt.

Wie sicher seid ihr dabei finanziell aufgestellt? Könntet ihr auch einen Flop überleben?

Rehm: Flops müssen wir ständig überleben. Aber da haben wir über die Jahre einen ganz guten Erfahrungsschatz gesammelt, und es passiert eher selten, dass wir uns wahnsinnig verschätzen. Wobei bis auf unsere neue Vertriebsfrau alle nebenbei noch freiberuflich im Comicbereich arbeiten. Wir müssen alle ein zweites Standbein haben, soviel wirft der Verlag nicht ab. Es funktioniert alles gerade so.

Daten: Der wichtigste deutsche Independent-Comicverlag wurde 1991 gegründet. Heute veröffentlicht er 30 bis 40 Bände pro Jahr.

Schwerpunkte: Autobiografische und lebensnahe Stoffe, oft in Form von Graphic Novels. Außerdem setzt Reprodukt stark auf deutsche Zeichnerinnen und Zeichner.

Autoren: Zu den von Reprodukt verlegten Künstlern zählen Daniel Clowes, Craig Thompson, Lewis Trondheim, Arne Bellstorf, Anke Feuchtenberger, Guy Delisle, Fil, Mawil und Sascha Hommer.

Untrennbar mit eurem Verlag verbunden ist Boom der Graphic Novels. Wie ging das los?

Groenewald: Der Startschuss in Deutschland fällt in meinen Augen ins Jahr 2004, als Marjane Satrapis "Persepolis" in der Edition Moderne herauskam. In der Folge gab es eine kleine Ballung von Büchern und Stoffen, die ins Hier und Jetzt greifen oder historische Themen abdecken. Die haben relativ viel mediale Aufmerksamkeit bekommen und haben sich auch noch verhältnismäßig gut verkauft. Da hat bei den Verlagen mehr oder weniger schnell die Denke eingesetzt, dass man mit so was tatsächlich neue Leserinnen und Leser erreichen kann - es aber besser wäre, eine neue Begrifflichkeit zu haben, um ihnen die Vorbehalte zu nehmen, die sich mit dem Begriff "Comic" noch immer verbinden. Und das wurde vom Handel und den Medien extrem dankbar aufgenommen, diese zwei Wörtchen "Graphic Novel".

Mögt ihr den Begriff eigentlich?

Rehm: Ich mag ihn nicht so wirklich, weil ich ihn als reines Marketinginstrument betrachte. Wir machen das, seit der Verlag existiert, bloß hieß es früher Comic und jetzt nennt man es Graphic Novel. Letztlich hat da eine Idee aus den USA gegriffen: Dort gab es schon in den Neunzigern in den Buchhandlungen Abteilungen für Graphic Novels. Aber klar, das Publikum findet den Begriff super. Und wenn das hilft, Comics populärer zu machen, finde ich ihn auch sinnvoll.

Findet ihr es denn gut, dass Comics sich durch die Feuilleton-Befeuerung auch in Richtung intellektueller Mainstream entwickelt? Oder ist es es eher störend, dass jetzt jeder Hanswurst auch ein paar Graphic Novels neben den Suhrkamp-Bänden im Regal stehen hat, weil das jetzt so dazugehört?

Groenewald: Ich finde das nicht speziell wegen des intellektuellen Aspektes toll. Sondern weil viel mehr und auch andere Leute auf Comics aufmerksam werden. Denn wir wollen ja keine Bücher machen, die nur eine kleine Gruppe von Fans sammelt und sich ins Regal stellt.

Rehm: Ich habe mich auch nie als Teil einer sehr speziellen Subkultur empfunden. Also es gibt natürlich im deutschen Comicbereich verbohrte Traditionalisten, die denken, man muss Alben genau so machen, wie Alben immer gemacht wurden. Die finden es schon komisch, dass man überhaupt ein kleineres Buchformat als DIN A4 wählt und längere Geschichten als auf 48 Seiten erzählt. Das sind Fraktionen, die die Graphic-Novel-Entwicklung auch sehr negativ beäugen.

Wollen die Szeneinsider lieber in ihrem kleinen Comic-Dorf unter sich bleiben?

Rehm: Ja, so ein bisschen, die sind schon sehr stolz darauf, für einen kleinen eingeweihten Kreis zu produzieren. Das hat natürlich seinen Charme, aber ich sehe das nicht als Perspektive. Uns geht es auch darum, dass die Zeichner von ihren tollen Arbeiten ihren Lebensunterhalt zumindest zum Teil bestreiten können. Sonst müssen die alle irgendwelchen anderen Quatsch machen, nur um am Feierabend Comics zeichnen zu können.

Wie ist denn euer Verhältnis zum Rest von Comic-Deutschland? Sind die Traditionalisten böse, weil ihr die Sache verraten habt?

Rehm: Nein, das ist ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Die haben sich da eher auf so einen Verlag wie Carlsen eingeschossen. Dass sich jetzt ausgerechnet Carlsen der Graphic Novel geöffnet hat und dafür französische Stoffe zurückstellt, wird eher kritisch beurteilt.

Zugleich springen auch Buchverlage auf den Graphic-Novel-Zug auf. Besteht die Gefahr, dass sie Zeichner abwerben?

Groenewald: Ich habe den Eindruck, dass - mal abgesehen von Suhrkamp, die tatsächlich Eigenproduktionen machen wollen - das Meiste, was bei den belletristischen Verlagen passiert, für uns ohnehin nicht so interessant ist. Zuweilen macht es den Anschein, Graphic Novels müssten immer nur Literaturadaptionen oder Biografien sein. Die größeren Verlage setzen halt auf ein Thema, das zieht - das scheint wichtiger als ein gutes Buch.

Rehm: Ich sehe das zwiegespalten. Dass Comics jetzt in der Hochkultur ankommen, zeigt ja auch dem Buchhandel: "Schaut mal her, das könnt ihr verkaufen, dafür müsst ihr euch nicht schämen." Auf der anderen Seite besteht natürlich die Gefahr von Abwerbungen, weil wir mit den Vorschüssen, die große Belletristikverlage zahlen, nicht mithalten können. Ich bin aber guter Dinge, dass wir das hinkriegen.

Und wie geht es jetzt mit Comic-Deutschland weiter?

Groenewald: Für mich ist es zentral, mit deutschen Autoren und Autorinnen zu arbeiten. Da hat sich in den letzten Jahren viel Positives entwickelt. Es ist toll zu sehen, dass da gerade eine neue Generation heranwächst, die nicht aus den Ecken kommt, wo man sie vermutet - zum Beispiel Aisha Franz, die in Kassel studiert hat. Man merkt tatsächlich, dass die Bemühungen fruchten und die Leute mittlerweile mit ihren Büchern ein bisschen Geld verdienen können. Dass sich immer mehr Felder auftun, etwa Vorabdrucke in Zeitungen, dass die Stoffe auch im Ausland auf immer mehr Interesse stoßen. Mein Wunsch ist, diese Entwicklung zu festigen und auszubauen.

Gibt es noch weitere Wünsche?

Rehm: Was mir fehlt, ist ein Verlag, der ähnliche Ziele verfolgt. Die meisten Verlage, die eine ähnliche Idee von Comics haben wie wir, sind mit dem zufrieden, was sie haben. Da orientieren wir uns im strategischen Denken inzwischen mehr an Literaturverlagen. Ich hätte gern ein wenig Konkurrenz, die das Geschäft belebt und an der man sich ein bisschen reiben kann. Das klingt vielleicht etwas vermessen.

Groenewald: Ich staune.

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