An der syrisch-libanesischen Grenze: Der Krieg rückt näher

Einst heirateten die Bewohner auf beiden Seiten der syrischen Grenze untereinander. Jetzt wächst die Angst. Viele suchen Schutz bei der Hisbollah.

Von hier aus sollen syrische Rebellen agiert haben: Hermel im libanesichen Bekaa-Tal. Bild: reuters

HERMEL taz | Bassem Taha sitzt nach vorne gebeugt auf der Kante seines Sessels. „Die Menschen haben Angst wegen der Angriffe“, sagt er. Viel mehr mag er nicht sagen. Seine Schwester, die neben ihm sitzt, hat weniger Bedenken: „Im Fernsehen haben sie einen Bericht über den Raketenangriff gezeigt“, platzt es aus ihr raus. „Sie haben verschwiegen, wer sie abgeschossen hat, aber es waren die Dschihadisten.“

Taha ist Ortsvorsteher in Hermel. Die libanesische Kleinstadt liegt nahe der Grenze zu Syrien. Sie ist eine Hochburg der schiitischen Hisbollah, die zunehmend in den Bürgerkrieg in Syrien involviert ist und auf der Seite der Regierung von Baschar al-Assad gegen die vorwiegend sunnitische syrische Opposition kämpft. Letztere rächt sich, indem sie Hermel mit Raketen beschießt.

Von außen betrachtet, scheint hier alles seinen gewohnten Gang zu gehen: Kinder fahren auf der Straße Fahrrad, Gemüsehändler bieten auf Holzkarren ihr Obst an, und Restaurants servieren frische Kibbeh. Doch die Hisbollah hat ihre Aktivitäten merklich intensiviert. Als Mischung aus politischer Partei, Wohlfahrtsorganisation und paramilitärischer Truppe genießt sie hohes Ansehen in der Bevölkerung. Ihre gelb-grünen Flaggen säumen die Straßen.

Der internationale Syrienbeauftragte Lakhdar Brahimi will offenbar das Handtuch werfen: Der frühere algerische Außenminister stehe kurz davor, sein Amt als Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga niederzulegen, sagten UN-Diplomaten am Mittwoch in New York.

Sein Rückzug wäre ein weiterer Rückschlag für die Bemühungen um eine diplomatische Lösung des blutigen Konflikts. Brahimi hatte den Auftrag im August von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan übernommen, der sein Mandat zuvor niedergelegt hatte. US-Außenminister John Kerry versuche aber noch, Brahimi zum Bleiben zu bewegen, hieß es aus Diplomatenkreisen.

Anlass ist den Quellen zufolge ein Streit mit der Arabischen Liga. Diese hatte Ende März der syrischen Regierung die Mitgliedschaft entzogen und sie an die Opposition vergeben. Syriens Machthaber Baschar al-Assad kündigte daraufhin jede Kooperation mit Brahimi auf. Dieser habe nun den Eindruck, dass die Liga einen anderen Weg eingeschlagen habe als die UNO, hieß es. (afp, taz)

„Das Blut der Märtyrer wird siegen“, steht auf einer Wand gegenüber von Tahas Haus. Gelegentlich sieht man ein Plakat mit dem Porträt von Syriens Präsident Baschar al-Assad. Dessen Baath-Partei ist hier beliebt und engster Partner der Hisbollah.

Man kennt sich

Ortsvorsteher Taha ist zwar kein Mitglied der Hisbollah, ohne deren Einverständnis könnte er jedoch nicht reden; sie kontrolliert genau, was in ihrer Stadt passiert.

Die offizielle Grenze zwischen beiden Ländern ist praktisch unsichtbar. Nur ein kleiner Fluss zerschneidet das karge, gelbe Grass auf der Hochebene, die sich von hier nach Syrien erstreckt. Al-Kusair auf der anderen Seite wurde vor einem Jahr von syrischen Oppositionellen eingenommen. „Wir hier in Kasr und die Menschen in al-Kusair, drüben in Syrien, waren immer wie eine einzige Gemeinschaft“, sagt Hassan Zeater, Bürgermeister von Kasr, einem Dorf unweit von Hermel. „Wenn wir einkaufen wollten, dann sind wir eher rübergefahren statt in eine andere libanesische Stadt.“

Man kennt sich. Die Familien heirateten über die Grenze hinweg. Schmuggel brachte ein verlässliches Einkommen. Doch seit einem Jahr gibt es nur noch wenig Kontakt. Die Schiiten in Hermel und die Sunniten in al-Kusair erwarten, dass der Konflikt zwischen ihnen eskaliert.

Bild: taz

In der libanesischen Politik verläuft der Graben entlang der gleichen Linien wie zwischen Hermel und al-Kusair. Die beiden großen Parteienbündnisse „8. März“ und „14. März“ unterstützen jeweils eine Seite im syrischen Bürgerkrieg. Offiziell grenzen sie sich gegen den Bürgerkrieg in Syrien ab. Zu frisch sind die Erinnerungen an den eigenen 15-jährigen Bürgerkrieg, der erst 1990 endete; zu groß ist die Angst in der Bevölkerung vor einer Neuauflage.

Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten

Doch das schiitisch dominierte Bündnis „8. März“ unterstützt offen Baschar al-Assad und das vorwiegend sunnitische Bündnis „14. März“ die Opposition. Mehrere sunnitische Salafistenführer im Libanon haben zum Dschihad gegen Assad und die Hisbollah aufgerufen und Milizen gegründet. Ahrar al-Sham, ein islamistischer Zweig der syrischen Opposition, hat die Gründung eines Ablegers im Libanon bekannt gegeben. Seine Kämpfer können es nicht mit der Hisbollah aufnehmen. All das verstärkt die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten.

„Die Situation ist immer schlechter geworden, seit die ausländischen Kämpfer nach al-Kusair gekommen sind“, sagt Zeater, der hauptberuflich als Zahnarzt arbeitet. Ein Bild von dem Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah in seiner Praxis zeigt, auf welcher Seite er steht. „Dschihadisten aus Pakistan, Tschetschenien, Libyen und anderen Ländern spielen eine immer größere Rolle.“

In seinen Augen kontrollieren syrische und ausländische Islamisten die Opposition. In wahllosen Massakern würden sie Christen und Schiiten töten. Die Hisbollah greife nur ein, um Unschuldige zu verteidigen. „Wir reagieren bloß auf die Angriffe und greifen nicht selbst an“, sagt Zeater und bläst den Rauch seiner Lightzigarette in die Luft.

Raketen auf die Hisbollah

Seit einigen Wochen mehren sich jedoch die Berichte vonseiten der syrischen Opposition, dass sich die Hisbollah auch an Offensiven der syrischen Armee beteilige. An der andauernden Belagerung von al-Kusair seien tausende Hisbollah-Kämpfer beteiligt. Für die syrische Regierung und die Hisbollah ist die Schlacht um al-Kusair von großer strategischer Bedeutung: Die Stadt liegt unweit eines Straßenkreuzes, das sowohl Damaskus als auch Hermel mit der syrischen Küste verbindet.

Für die Versorgung ist der Zugang zu den Häfen unerlässlich. Das gilt sowohl für die syrische Regierung im Kampf gegen die Opposition als auch für die Hisbollah im Kampf gegen Israel.

Im Gegenzug hat die syrische Opposition sich entschlossen, die Hisbollah in ihrer libanesischen Heimat, in Hermel anzugreifen. „Erst vor zwei Tagen sind wieder zwei Raketen in der Nähe eingeschlagen“, berichtet der Zahnarzt. Syriens Opposition schießt nach eigenen Angaben nur auf militärische Stellungen der Hisbollah. Doch die Raketen sind ungenau, Opfer der Angriffe waren Zivilisten. Sicherheitshalber wurden hier die Schulen für einige Tage geschlossen.

Vom libanesischen Staat kommt keine Hilfe

Gleichzeitig sind Tausende syrische Familien nach Hermel geflohen, was die Spannungen zusätzlich verstärkt. „Wir haben Volkskomitees gegründet, um den Flüchtlingen zu helfen“, sagt Taha. „Wir helfen ihnen bei der Evakuierung und bieten Erste Hilfe.“ Die Dörfer sind überfordert, vom libanesischen Staat kommt keine Hilfe. Bis auf ein paar Armeecheckpoints an den Landstraßen hat er sich schon lange von hier zurückgezogen. Ohne die Hisbollah, sagt Taha, können sie nichts ausrichten.

Zeater hofft, dass Syriens Regierungstruppen bald al-Kusair einnehmen, damit Hermel wieder Ruhe hat. „Meine Quellen sagen mir, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die syrische Armee al-Kusair einnimmt. Der Countdown läuft.“ Assads Armee soll bereits mehrere Dörfer in der Gegend eingenommen haben. Oppositionelle fürchten nun Massenfestnahmen.

In dieser Atmosphäre der Angst und des Misstrauens erhält die Hisbollah regen Zulauf. Die Menschen in Hermel rücken näher zusammen. Schon jetzt, sagt der Zahnarzt, verkaufen Bewohner entlang der Grenze ihr Hab und Gut, um sich zu bewaffnen. „Wir erwarten, dass der Krieg kommt. Wir hatten das schon mal für 15 Jahre – in unserem eigenen Bürgerkrieg.“

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